7060491-1991_34_09.jpg
Digital In Arbeit

Im „neuen" Rumänien herrscht die alte Angst

19451960198020002020

Eineinhalb Jahre nach den unterschiedlich verlaufenen Revolutionen in Rumänien und in der Tschecho-Slowakei ziehen Kirchenvertreter beziehungsweise Statistiker Bilanz über die verheerende Wirkung der 40jährigen KP-Ära auf die Religion. Der mittlerweile zum Bischof avancierte Siebenbürgener Pastor Laszio Tökes zeichnet im FUR-CHE-Gespräch eine triste Situation in seiner Heimat. Neueste Umfragen in der CSFR bezeugen den Rückgang der Religion in beiden Landesteilen.

19451960198020002020

Eineinhalb Jahre nach den unterschiedlich verlaufenen Revolutionen in Rumänien und in der Tschecho-Slowakei ziehen Kirchenvertreter beziehungsweise Statistiker Bilanz über die verheerende Wirkung der 40jährigen KP-Ära auf die Religion. Der mittlerweile zum Bischof avancierte Siebenbürgener Pastor Laszio Tökes zeichnet im FUR-CHE-Gespräch eine triste Situation in seiner Heimat. Neueste Umfragen in der CSFR bezeugen den Rückgang der Religion in beiden Landesteilen.

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Bischof Tökes, denken Sie, daß man die Ereignisse in Rumänien im Herbst 1989 wirklich als Revolution bezeichnen kann?

BISCHOF LÄSZLÖ TÖKES: Die Ereignisse begannen zunächst als Revolution, jedoch wurden sie späterhin willkürlich von einer kontrarevolutionären Gruppe gesteuert. Die bekanntesten Personen dieser den Kommunisten nahestehenden Machtbasis sind Petre Roman und Ion Ilies-cu. Ich nenne die Ereignisse vom Dezember 1989 daher lieber eine Volkserhebung, eine spontane Bewegung - ohne revolutionäres Programm, getragen von der großen Unzufriedenheit der Bevölkerung.

FURCHE: Stimmt es, daß dieser Volksaufstand sich an Ihrer Person entzündete?

TÖKES: Ich muß ergänzen, daß ich nicht eine einzelne Heldenfigur war, die ganze Gemeinde, die Presbyter der reformierten Kirche widersetzten sich gemeinsam gegen den Druck der Kirchenleitung des opportunistischen Bischofs der Kirche, Läszlö Papp, der die Botschaft Christi buchstäblich verriet. Bis dahin war es üblich, daß die Bevölkerung Rumäniens vor dem Druck der Securitate zurückwich. Doch das Ungewöhnliche damals war, daß die Zahl der Kirchenbesucher von Sonntag zu Sonntag zunahm. Auch angesichts des brutalen Terrors versammelten sich die Leute und flüchteten nicht. Dazu gesellten sich noch Mitglieder anderer Kirchen und Minoritäten um die Reformbewegung zu unterstützen.

FURCHE: Was empfanden Sie, als Sie hörten, in welcher Weise Nicolae Ceausescu und seiner Frau Elena der Prozeß gemacht worden ist und wie man sie vor den Augen der Öffentlichkeit hingerichtet hat? TÖKES: Ich bin der Ansicht, daß in einem zivilisierten Land Europas eine Hinrichtung nach nur zweitägiger Untersuchung nicht vorkommen dürfte. Ich bin zudem ein Gegner der Todesstrafe. Doch wegen der besonderen Umstände - das Iliescu-Regi-me schätzte die Situation als sehr gefährlich ein - dachte man, durch die Hinrichtung von Präsident Ceausescu und seiner Frau könnte ein weiteres Blutvergießen in der Bevölkerung verhindert werden. Damals erschien diese Argumentation als eine plausible Erklärung. Erst ein halbes Jahr später stellte sich heraus, daß es ein Putsch gegen den Diktator war und kein gerechter Prozeß stattgefunden hatte.

FURCHE: Wie beurteilen sie die Lage jetzt, haben sich die Lebensbedingungen in Rumänien verbessert?

TÖKES: Nein, unsere Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Einige Monate später realisierten wir, daß die Gruppe der Putschisten von Ion Iliescu und Petre Roman gar keine radikalen Veränderungen in der Gesellschaft wollten. Die gesamte hohe Nomenklatura und die Securitate waren ihre Verbündeten bei diesem Machtwechsel. Von Anfang an wollten sie ihre Positionen behalten, um ihre Privilegien in eine neue sogenannte Pseudo-Demokratie hinüber-zuretten. Im Wesentlichen hat sich nichts verändert, nur an der Oberfläche - sie kleiden ihre Politik in demokratische Gewänder. Doch die Krise, in der sich Rumänien zur Zeit befindet, macht das Beibehalten alter Machtstrukturen untragbar.

FURCHE: Sie haben sich mutig für die Menschenrechte und für die Belange der Minderheiten eingesetzt. Hat sich in diesen Bereichen irgendetwas verbessert?

TÖKES: Ich bin zunächst dankbar, daß wir nun in der Lage sind, die Wahrheit zu sagen und unsere Stimme für die Menschenrechte zu erheben. Ich erregte weltweit Aufsehen, als ich erklärte, es müsse die Mauer des Schweigens niedergerissen werden. Und dies ist nun geschehen. Jetzt kann jeder, der mutig genug ist, die Wahrheit aussprechen und zu seiner Meinung stehen. Denn die Einschüchterungen gehen weiter und die Reflexe der Angst gibt es immer noch. Doch traurigerweise wird Freiheit manchmal mit einer Art negativem Liberalismus gleichgesetzt, in dem jeder tun und lassen kann, was er will. In eineinhalb Jahren haben keine grundlegenden Veränderungen stattgefunden - wir haben die Ebene der bloßen Worte bisher nicht verlassen.

FURCHE:Stimmt es.daßSieselbst und Ihre Familie weiterhin bedroht werden?

TÖKES: Wir müssen immer noch von Leibwächtern bewacht werden. Einer unserer Leibwächter hat sogar mit der Sicherheitspolizei zusammengearbeitet und mußte ausgetauscht werden. Ständig leben wir unter Bedrohung. Einerseits beschützt uns die Polizei, andrerseits wird unser Telefon überwacht und unsere Post kontrolliert. Die Geheimpolizei, ich weiß nicht genau, wie ich sie bezeichnen soll - Securitate oder ein Überbleibsel der Securitate - bedient sich weiterhin der alten Methoden.

FURCHE: Was sind das für Leute, die ein Interesse haben, Sie in dieser Weise einzuschüchtern?

TÖKES: Das gegenwärtige Regime hat Angst vor jeglicher Opposition - nicht nur vor mir. Obwohl ich und einige andere Personen, die während der Revolution aktiv waren und daher populär sind, an vorderster Stelle stehen. Die momentane Regierung zeichnet sich besonders durch fehlendes Prestige aus. Es fehlt ihnen an Glaubwürdigkeit, an Authentizität und an moralischer und politischer Autorität. Daher müssen alle Mitglieder der Opposition, die das Vertrauen der Bevölkerung genießen, auf die eine oder andere Weise zerstört, angegriffen und kompromittiert werden. Wir haben natürlich mit dem alten Regime die schlimmsten Erfahrungen gemacht, wie man Opponenten verschwinden lassen kann. Und auch jetzt noch haben wir jeden Anlaß, uns zu ängstigen. Es besteht für uns ständig die Gefahr einer völligen Einschränkung oder moralischen Diffamierung. Falls die Regierung Erfolg haben sollte, uns moralisch und politisch zu zerstören, können wir nichts mehr unternehmen. Weiterhin nehmen 70 Prozent der Securitate-Mit-glieder wichtige Positionen ein; die Nomenklatura hat eine neue Bedeutung gewonnen, sie konnte ihre politische Macht durch ihre wirtschaftliche Macht retten. Sie hatte nämlich das Geld, daher hat sie alles aufgekauft, was durch die Privatisierung gekauft werden konnte. Durch Korruption besorgten sie sich die angebotenen Posten und behielten auf diese Weise ihre Macht. Für diese Gruppe stellen wir eindeutig eine Gefahr dar.

FURCHE: Ihr ehemaliger Vorgesetzter, Bischof Papp, hat sich nach dem Volksaufstand nach Frankreich abgesetzt. Was ist aus ihm geworden ?

TÖKES: Bischof Läszlö Papp verkörperte in Fragen der Kirche und der Minoritäten die Person Ceausescu. Es ist daher kein Zufall, daß er mit Ceausescu zusammen gestürzt worden ist. Er mußte vor der Bevölkerung fliehen. Das ist sehr bezeichnend für die Kirchenhierarchen, die Opportunisten waren und dem Regime gedient haben. Sie hatten mit dem Christentum überhaupt nichts mehr gemein. Bischof Papp kann nicht nach Hause zurückkehren - er hat keinen Platz unter den reformierten Ungarn. Wir wollen keine Rache nehmen, aber es wäre an der Zeit solche Kollaborateure offiziell für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen. Aber augenblicklich ist das unmöglich.

FURCHE: Die ungarischsprachige Reformierte Kirche Siebenbürgens umfaßt eine Million Gläubige. Wie ist ihr Verhältnis zu der viel größeren Orthodoxen Kirche, der sechzehn Millionen Gläubige angehören?

TÖKES: Unser Verhältnis ist sehr von der Vergangenheit belastet. Das macht es sehr schwierig, einen ökumenischen Dialog anzufangen. Das Problem ist: der ehemalige Klerus nimmt in überwiegender Mehrheit immer noch die alten Ämter ein. Der Patriarch und sein Hilfsbischof wurden während der Revolution von den orthodoxen Gläubigen abgesetzt. Aber nach den März-Ereignissen sind sie wieder zurückgerufen worden. Das zeigt doch in klarer Weise, welchen Verlauf die Dinge genommen haben. Sogar mein ehemaliger Bischof Papp hat einen Brief an Petre Roman geschrieben, in dem er mich bezichtigt, ich sei ein Landesverräter. Wir haben uns sehr darum bemüht, unser Verhältnis zur orthodoxen Kirche zu normalisieren, aber es fand ein Komplott gegen die Reformen statt. Wir können nicht akzeptieren, wie die unierten griechisch-katholischen Gläubigen unterdrückt wurden; diese Kirche ist beinahe von den Orthodoxen assimiliert worden. Die Orthodoxen sind auch Verbündete des Iliescu-Regimes und unterstützen es. Aber auch in unserer eigenen Kirche konnten einige Kirchenhierarchen ihre Positionen beibehalten.

FURCHE: Welche Motive hatte ihrer Ansicht nach jemand wie ihr Vorgänger Bischof Papp, Geistlicher zu werden?

TÖKES: Am Anfang seiner Pfarr-tätigkeit war er ein geachteter Mann. Und er hat gute Arbeit geleistet. Nachdem er aber an die Macht gekommen war, wurde er größenwahnsinnig. Ich glaube, daß er von der kommunistischen Macht korrumpiert worden ist. Es muß eine völlige Veränderung in seinem Leben stattgefunden haben.

Mit Bischof Läszlö Tökes sprach Felizitas von Schönborn.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung