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Kehrtwendung in Peking?

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Peking begräbt das Kriegsbeil und reicht die Friedenspfeife herum. Onkel Sam, bis vor kurzem noch der Kriegsverbrecher und Kapitalist number one, wird umworben. Die katastrophale wirtschaftliche Lage des Landes verlangt eine Umstellung.

Soll man an eine wirkliche Kehrtwendung glauben? Hat man aus der ungarischen Lektion gelernt? Fürchtet man, den Bogen zu überspannen? Eine Erhebung des chinesischen Volkes ähnlich der in Ungarn müßte für das gesamte kommunistische System unabsehbare Folgen haben. Anzeichen sprechen dafür, daß man sich von der russischen Bevormundung freimachen will. Man tritt für die Ideen Titos ein, aber wie Tito hält man nach wie vor an der kommunistischen Ideologie bis zum letzten I-Tüpfchen fest. Man stellt andere Atrappen ins Schaufenster. Die Aushängeschilder werden mit freundlicheren Sprüchen übermalt. Die Taktik ändert sich, das Ziel bleibt. Und man bewahrt sich jederzeit die Freiheit, zu den alten Methoden zurückzukehren, wie der Fall Ungarn zeigt.

Zu den neu adjustierten Attraktionen gehört auch die Religionsfreiheit. Unter andern Errungenschaften des Kommunismus wird sie gerne als ein besonders nettes und gelungenes Schaustück ausländischen Gästen vorgeführt, die in den letzten Jahren scharenweise nach China eingeladen wurden. Man ist zuvorkommend zu den Besuchern, zeigt ihnen gutbesuchte Gotteshäuser, gestattet ihnen — angeblich völlig zwanglos —, kirchliche Persönlichkeiten zu interviewen. Die Regierung weiß ganz genau, wer sich für ein solches Interview eignet. Es sind die Priester der Nationalkirche. Sie sind genügend umgeschult, um nicht aus der Schule zu plaudern. Sie wissen, was sie sagen dürfen — und was nicht.

Da ist Generalvikar Li kuen wu von Peking. In ihrem Bestreben, die katholische Kirche parteihörig zu machen, fand die Regierung in ihm ein willkommenes, nur allzu willenloses Werkzeug. Ein anderer ist Li yin tao, Führer der nationalen Kirche, von Rom namentlich exkommuniziert. Die Herren behaupten zwar, sie blieben mit der römischen Kirche im Gehorsam verbunden. Daß sie die Absicht hätten, eine Nationalkirche zu gründen; sei; hur- eine'Verdächtigung ihrer- ausländischer! Konfratres, die zudem wie feige Mietlinge ihre Herde verlassen hätten.

Aber ist es mit diesen Beteuerungen schon getan? Wer die Tatsachen der letzten Jahre ignoriert oder die kommunistischen Informationen als bare Münze nimmt, kann sich unmöglich einen Begriff davon machen, welchen Problemen die Kirche in China sich gegenüber sieht, auch gesetzt den Fall, man wäre zu einer wirklichen Koexistenz bereit, wie man das neuerlich beteuert.

Heute leugnet man die Existenz einer Nationalkirche. Schon das allein ist ein Zeichen von LInaufrichtigkeit. War es doch die Kommunistische Partei selbst, welche diese Nationalkirche ins Leben gerufen und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Machtmitteln gefördert hat. Man zwang den Gläubigen die dreifache Autonomie auf (in Verwaltung, Finanzierung, Lehrtätigkeit). Man nahm der rechtmäßigen kirchlichen Obrigkeit jede Möglichkeit und jede Freiheit, für die gottgewollte Ordnung in der Kirche zu sorgen. Bischöfe und Priester, die pflichtgemäß ihre Stimme gegen das Unrecht erhoben, wanderten in die Gefängnisse oder wurden von den Gläubigen isoliert und unter Hausarrest gestellt.

Den nationalen Geistlichen und Gläubigen war die Rolle des Judas in der Kirche zugedacht. Um die dreißig Silberlinge einer zweifelhaften persönlichen Sicherheit hatten sie als willenlose Werkzeuge der roten Zersetzungspolitik zu dienen. Sie mußten ihre eigenen Bischöfe und Priester anklagen, sobald die Polizei es forderte, mußten bei den Volksgerichten die Schreier und Henker machen. Sie mußten zum Beispiel durch LInterschriften und in Versammlungen die Landesverweisung des Internuntius, Exzellenz R i b e r i, fordern, mußten die Legion Mariens als reaktionäre Organisation brandmarken — eben, well die Polizei es befahl.

Als der Märtyrerbischof Exzellenz Cyrillus J a r r e, Erzbischof von Tsinan, der Hauptstadt Shantungs, feststellen mußte, daß sei Generalvikar Tung wen lung mit den Neuerern ging, setzte er ihn ab und ernannte einen Nachfolger. Prompt wanderte dieser letztere ins Gefängnis, und auch der Bischof wurde bald nachher verhaftet. Noch heute spielt sich Tung wen lung als das Oberhaupt der Kirche von Tsinan auf.

Der gesamte Klerus, auch der loyale, wurde finanziell von ihm abhängig gemacht. Die Regierung zahlt Tung wen lung von den „geliehenen“ kirchlichen Gebäuden und Anstalten einen Zins, wovon er allen Priestern ein bescheidenes Gehalt auslegen kann.

Der Bischof von Süchow wurde mit vielen seiner Priester verhaftet, als er gegen die Neuerer die Exkommunikation ausgesprochen hatte. In einer andern Diözese wurde es der rechtmäßigen kirchlichen Obrigkeit unmöglich gemacht, einen Geistlichen, der im Konkubinat lebte, von seinem Posten zu entfernen. Die Polizei schützte ihn, weil er mit den Neuerern ging und bedrohte den Generalvikar, der ihm die Jurisdiktion entzogen hatte, mit Gefängnis. Diese Beispiele ließen sich nach Belieben vermehren.

In Peking hat, die Regierung alle Kirchen den Neuerern in die Hände gespielt, gegen den Widerstand fast der gesamten gläubigen Gemeinde. Die loyalen Priester, die früher in Schwesternklöstern und Nebenstationen mehr im Verborgenen tätig waren und einen großen Zulauf der Gläubigen zu verzeichnen hatten, wurden von der Polizei in ihre Heimatorte verwiesen, wo sie mehr oder weniger unter Aufsicht stehen.

Durch Kirchenzeitungen, von den Neuerern redigiert, und vor allem in oft geradezu pausenlosen Schulungskursen sucht man Klerus und Volk zur Anbetung der marxistischen Idole auf die Knie zu zwingen. Wie aus vielen Augenzeugenberichten feststeht, wurden nach der Verhaftung des Bischofs Kung von Schanghai am 8. September 1956 die Katholiken der Stadt und vor allem die Katholische Jugend den schwersten Schikanen unterworfen. Monatelang mußten sie oft viermal im Tag Versammlungen beiwohnen, Berichte und Diskussionen anhören. Manchmal dauerten die Versammlungen bis 1 Uhr. Wer nicht in den Beifall einstimmt, nicht anklagt, gilt als Konterrevolutionär. Treue Katholiken erhalten keine Aufnahme in Mittelschulen und Universitäten, sie sind von Arbeitslosigkeit und Hunger, von Gefängnis und Zwangsverschickung bedroht.

Einem Bericht aus Schanghai vom Sommer 1956 zufolge weist jede katholische Familie der Stadt mindestens zwei „Abwesende“ auf. Eine internationale Kommission hat in China 297 Zwangsarbeitslager namentlich festgestellt. Es ist kein Zweifel, daß die Katholiken ein starkes Kontingent in diesen Sklavenlagern bilden. Man hat Nachricht von Priestern und Laien, die in der Wüste Gobi, in Heilungkiang (der nörd-

lichsten Provinz der Mandschurei mit sibirischem Klima) Zwangsarbeit leisten. In einem Brief aus Schanghai, datiert vom 3. Mai 1956, heißt es: „Zahlreiche Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und Christen, wurden zu Gefängnis verurteilt und in die Mandschurei oder nach Nord-Kiangsu gesandt, um Zwangsarbeit zu leisten und ein Leben von Tieren zu führen.“ (Orbis Cath., Dez. 1956.)

Im Laufe des letzten Jahres ausgewiesene Missionäre schätzen ziemlich übereinstimmend die Zahl der in Haft befindlichen chinesischen Priester auf 600 bis 7 0 0. (Mittlerweile dürften viele wieder freigelassen worden sein.)

Unter den härtesten Druckmitteln hat die Polizei auch in Schanghai, nach Verhaftung des Bischofs Kung, den Katholiken einen sogenannten Kapitelvikar aufgezwungen — einen alten Priester, Chang tse liang mit Namen. Die äußere Leitung der Kirche ist völlig in den Händen der „patriotischen Vereinigung", ein neuer Name für die Nationalkirche.

Gewiß, es gibt in Schanghai und anderen Städten geöffnete Kirchen, wo die Gläubigen zu Zeiten sich zu den Gottesdiensten drängen. Aber sie wissen oft nicht, ob sie es mit exkommuni zierten oder loyalen Priestern zu tun haben und kommen in endlose Gewissenskonflikte. In der Provinz ist weitgehend religiöses Brachland, die Kirchen sind geschlossen, die Stationen oder Anstalten von der Partei besetzt. Ganze Diözesen sind ohne regelrechte Seelsorge. Priester gibt es wenig, oder sie sind in der Ausübung ihres Amtes aufs äußerste behindert. An Religionsunterricht, Vorbereitung der Kinder auf den Sakramentenempfang ist gar nicht zu denken. Viele Kinder werden nicht mehr getauft. Die Ehen sind in heilloser Verwirrung, da nur das staatliche Ehegesetz gilt, das die Scheidung ohne weiteres erlaubt.

Wo ist da die Religionsfreiheit? Pausenlos brauste der Sturm der Verfolgung in den letzten Jahren über die Kirche Chinas hinweg. Liquidation ihres Vermögens, ihrer Schulen und Anstalten, ihrer Presse, Verleumdungsfeldzüge ohne Zahl, mit den ungeheuerlichsten Anklagen. Einkerkerung von Bischöfen, Priestern und Gläubigen. Nicht wenige haben in Kerkern und Zwangsarbeitslagern Schwerstes erduldet und erdulden es noch. Andere sind ihren Leiden erlegen oder wurden hingerichtet. Heute gibt es nur noch eine Handvoll ausländischer Missionäre in China, die zudem völlig aktionsunfähig sind. Man hat mit allen Mitteln die kirchliche Organisation zerschlagen oder sie einer falschen und verräterischen Kirche in die Hände gespielt.

Wir Katholiken aber geben die Hoffnung nicht auf. Die Geschichte hat nie den Verleumdern und rohen Gewaltmenschen recht gegeben. Groß ist die Wahrheit: sie wird siegen.

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