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Hinter der Mauer

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„Eine Kirche unter dem Kreuz" — sc nannte Kardinal Döpfner in einer ergreifenden, aber von jeder Sentimentalität freien Abschiedspredigt vor seiner Abreise nach München seine inzwischen vom Schicksal der Spaltung betroffene Diözese Berlin. Sie steht stellvertretend für die Katholiken dei gesamten Sowjetzone.

Etwa zur gleichen Zeit veröffentlichte die Vereinigte Lutherische Kirche Deutschlands unter dem Titel „Der Christ in der DDR“ eine sogenannte „Handreichung“ für die Protestanten im atheistischen Staat.

Diese beiden Fakten, denen sich sehr viele andere an die Seite stellen ließen, symbolisieren die Gemeinsamkeit einer Situation, der sich die Christen beider Bekenntnisse heute jenseits der Zonen- und Sektorengrenze Deutschlands ausgesetzt sehen. Mag es vor einigen Jahren noch hin und wieder so ausgesehen haben, als gäbe es ein von kommunistischer Seite ferngesteuertes Gegeneinander der beiden Konfessionen, ein Nachleben längst historisch gewordener Rivalitäten und Gegensätzlichkeiten: heute ist dies längst vorbei. Die gemeinsame Not hat Katholiken und Evangelische so zusammengeschweißt wie einst in den Tagen der nationalsozialistischen Kirchenverfolgung. Dennoch sind die Antworten, die diese Lage herausgefordert hat, in ihrer Struktur verschieden. Ehe wir uns aber ihnen zuwenden, ist es wichtig, sich das Gesicht des Gegenübers zu vergegenwärtigen.

Schweigen genügt nicht

Der Staat Ulbrichts hat eine zwar oktroyierte und nie durch echte Wahlzustimmung bestätigte, aber immerhin geltende Verfassung. Sie sieht ausdrücklich die Glaubensfreiheit vor und spricht sogar vom Recht der staatlich zugelassenen Religionsgemeinschaften, zu öffentlichen Angelegenheiten’ Stellung zu nehmen. Nun ist gerade mit diesem zu Anfang von verschiedenen Beobachtern sogar begrüßten „Recht“ etwas verbunden, was zur Zeit seiner Proklamation niemand voraussehen konnte. Dieses „Recht“ gibt nämlich den Instanzen des Staates und der auch in den sogenannten „Ausschüssen der Nationalen Front“ dominierenden und allmächtigen Sozialistischen Einheitspartei die Handhabe, pausenlos öffentliche Stellungnahmen kirchlicher Stellen zu den Maßnahmen des Staates zu erpressen. Darin liegt das Neue der gegenwärtigen Situation. Das Ulbricht- System ist keine Diktatur alten Stils, deren Bestreben darin liegt, die Kirche möglichst vollständig auszuschalten und von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Es ist überhaupt nicht mit einem Polizeistaat des 19. Jahrhunderts zu vergleichen, dem das gehorsame Schweigen der Untertanen und die möglichst lautlose Einfügung in die Staatsmaschinerie das Idealziel bedeutete. Das Ulbricht-System des deutschen Kommunismus verlangt pausenlose Mitarbeit jedes einzelnen, begnügt sich nicht mit einer ein für allemal geäußerten Loyalitätserklärung, sondern fordert permanente Bestätigung. Davon sind die Kirchen ebensowenig aus-

genommen wie Theater und Sportvereine, Kindergärten, und Ferienheime. Die These Ulbrichts, die er Anfang des Jahres in einer öffentlichen Aussprache mit einigen sorgfältig ausgesuchten protestantischen Theologen und Kirchenmännern formulierte, lautet nun: Das oberste Ziel der DDR ist die Erhaltung des Friedens, der durch die Tätigkeit der Bonner Regierung gefährdet ist. In der Arbeit für den Frieden, dessen Herbeiführung das in der DDR herrschende sozialistische System — als ein Mittel zum Zweck — dient, können die Bestrebungen von Christen und Atheisten zusammenlaufen. Von den Kirchen wird daher in der — von Ulbricht interpretierten — praktischen Erfüllung des Liebes- und Friedens-

gebots eine aktive Mitarbeit am Staat und an der Gesellschaft gefordert. Die Verweigerung dieser Mitarbeit stellt nicht nur ein Vergehen gegen die Ethik der Gesellschaft, sondern auch … gegen das christliche Hauptgebot dar. Die eigentliche Auseinandersetzung mit dem Atheismus wird dabei bewußt ausgeklammert und auf ein scheinbares Nebengeleise geschoben. Es gibt aus gutem Grund heute in der DDR weder einen Freidenkerverband noch eine kämpferische Gottlosenbewegung im frühbolschewistischen Stil. Der Frontalangriff gegen die Religion, der eine Reaktion zwangsläufig herausfordern würde, wird peinlich vermieden. Der Atheismus fungiert unter dem Titel „Wissenschaft" als unbestrittene und unbestreitbare Staatsdoktrin, mit der es eine Auseinandersetzung nicht gibt. Von dieser atheistischen Staatsdoktrin her wird auch die Aufgabe des Christlichen festgelegt. Nicht einmal dagegen gibt es einen Widerspruch. Als etwa der protestantische Bischof von Greifswald, der bekannte Theologe Dr. Krummacher, in einem höflichbrüderlichen offenen Brief an einen anderen Theologen — den greisen Professor Emil Fuchs, der als Hauptvertreter der Staatstheologie dieses „neuen“ Stils anzusehen ist — sich dagegen verwahrte, die gesamte christliche Ethik auf die staatlich bestimmte aktuell-politische Friedensarbeit einschränken zu lassen, wurde er öffentlich gerügt und mit der kaum verdeckten Drohung bedacht, in Zukunft als „Reaktionär und Friedensfeind" angesehen zu werden. Kein Mensch argumentierte dem Bischof gegenüber atheistisch. Es fanden sich in den Reihen der sowjetzonalen CDU, aber auch unter den Pfarrern und Theologen Federn, die dies mit theologischen Argumenten besorgten. Vor den am 17. September — mit vorauszusehendem 99,9prozentigem positivem Ergebnis — durchgeführten Scheinwahlen zu den Gemeindevertretungen der Zone steigerte sich diese christliche Regimepropaganda bis zur offenen Blasphemie. Ein Mecklenburger Domprediger namens Kleinschmidt verglich die Sektorensperre mit dem Evangelium vom barmherzigen Samariter und stellte fest:

„Wer hat die Straße gesperrt? (Die von Jerusalem nach Jericho, auf der man unter die Räuber fällt.) Barmherzige Samariter, um zu verhüten, daß Menschen darauf zu Schaden kämen, solange sie noch unsicher ist. Ich bin für solche barmherzige Samariter und werde sie wählen…"

Ohne Frontlinie

Das Bild rundet sich von Tag zu Tag deutlicher. Der Atheismus ist völlig gleichgesetzt mit dem Staat. Er ist so total, daß er keiner Kampagne und keiner Propaganda mehr bedarf. Der Kirche ist auch die Flucht in das passive Schweigen, in die völlige Verborgenheit verwehrt. Demgegenüber treten die rein administrativen Maßnahmen mehr und mehr in den Hintergrund.

Diese neue Situation zwingt nun beide Kirchen zum neuen Durchdenken ihrer Positionen. Die Protestanten können mit dem sogenannten Frontdenken, als dessen prominentester Sprecher der heute am Betreten des Ostsektors für immer gehinderte Bischof Dr. Dibelius galt, die volle Wirklichkeit nicht mehr meistern, weil sich die Atheisten nicht mehr in einer Front rangieren. Sie können aber auch den Dibelius entgegengesetzten, sich unmittelbar auf Luthers Obrigkeitslehre „von den zwei Reichen“ stützenden Standpunkt nicht mehr konsequent vertreten. Denn wenn man zur Zeit Luthers und in den Jahrhunderten darnach im Geist der Apostelbriefe von der „launenhaften und strengen" Obrigkeit sprach, der „um Gottes Willen“ Gehorsam zu leisten sei, so hatte man doch immer nur die menschliche Entartung, den unwürdigen Träger dieser Obrigkeit im Auge, der in christlicher Demut eben zu ertragen sei, nicht aber die heute zur täglichen Wirklichkeit gewordene totale Perversion, den atheistischen Totalstaat, der die Kirche nicht mehr bekämpft, sondern in tödlicher Umarmung umschlingt. Die hier bereits zitierte „Handreichung", ein wahrhaft erschütterndes Dokument, geht in ihren Formulierungen bis an die äußerste Grenze dessen, was ein Christ überhaupt noch zugestehen kann. Sie setzt das Staatswesen „DDR" nicht unter die in der Freien Welt heute noch üblichen ironischen Anführungszeichen. Sie erklärt eindeutig und ohne irgendwelche naturrechtliche Vorbehalte, daß „die Bedrängnisse der Christen nicht aus der gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Konzeption der Sowjetzone" resultieren, also die Frage nach dem Sozialismus keine Glaubensfrage darstellt. Aber selbst in dieser offenen Darstellung wird von der Möglichkeit des Martyriums bis zum Tode gesprochen, das im Bereich des für den Christen beute Möglichen liegt. -.iw

Man muß sich diesen ganzen Horizont vergegenwärtigen, der so neuartig ist, daß die herangezogenen Vergleiche der „Handreichung“ bis in die urchristlichen Tage Neros zurückgehen müssen, um ihn halbwegs verständlich zu machen, um die Worte ermessen zu können, die der neue katholische Bischof von Berlin, Doktor Alfred Bengsch, bei seiner Inthroni- sierungsfeier in West-Berlin gesprochen hat. Er formulierte sie in West-Berlin — bereits nachdem er im Ostteil von seiner Diözese Besitz ergriffen hatte — im Rahmen einer Feldmesse unter freiem Himmel und nicht in der Trutzburg eines Domes. Die Zonenbehörden hatten ihm überraschend die Erlaubnis zum Besuch des Westsektors erteilt. Sie glaubten, die anfangs unverständlich erscheinende Geste des Vatikans, der gegen dessen erklärten Willen den Kardinal Döpfner nach München transferierte, als eine Bereitschaft zum modus vivendi um der Menschen willen verstanden zu haben. Vor den zu Tausenden erschienenen Menschen West- Berlins sprach der junge, kaum vierzigjährige Berliner, der schon seit Jahren im Ostsektor wirkt und die Methoden des atheistischen Staates in der Gestalt von Abhörtonbändern in seiner Privatwohnung kennengelernt hat, nicht vom Kampf gegen einen „Feind“, der heute nicht mehr hinter einer Frontlinie steht, sondern bereits die Atemluft zu erfüllen droht. Er sprach von der Gefahr des „müden und erkalteten Herzens“, von der inneren Kapitulation der Christen: „Die wirkliche Kräfterechnung der Welt wird nicht bei wirtschaftlichen und politischen Konferenzen allein ausgehandelt. Jeder selbstlos Liebende ist eine Kraft in der Welt, und jeder Hassende hat seinen Teil an der Kraft nur dadurch, daß zuwenig geliebt wird.“

Hier formt sich die katholische Totalantwort auf die atheistische Totalumklammerung in den Grundzügen. In dieser Welt, die kaum mehr Fronten und Bollwerke aufweist, ist jeder einzelne zum Kriegsschauplatz geworden. Von ihm wird die letzte Hingabe verlangt, die allein den Kampf nicht nur bestehen, sondern auch nrt höherer Kraft überwinden ka.,n.

Der Sekretär der Zentralkommission für das Zweite Vatikanische Konzil, Erzbischof Felici, hält es nicht für ausgeschlossen, daß das Konzil am Festtag Mariä Empfängnis (8. Dezember) des kommenden Jahres eröffnet wird. Auf jeden Fall ist sicher, daß das Konzil nicht vor diesem Zeitpunkt stattfindet. Dies erklärte der deutsche Kurienkardinal Augustin Bea SJ. in Sasbach in der Erzdiözese Freiburg, wo er eine Heimschule besuchte, in der er vor 67 Jahren Schüler war. Der Kardinal hält sich derzeit im Jesuitenkolleg Sankt Blasien auf.

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