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Sind die Psse zugestellt?

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Warum nun in der deutschen Sowjetzone der offene Kampf gegen die Kirche, und noch dazu nicht gegen die zahlenmäßig leichter zu „bewältigende“ katholische, sondern gegen die evangelische Phalanx losgebrochen ist, muß vorläufig noch ein Rätsel bleiben. Die sich aufdrängende zynische Deutung, daß die Einstellung der Kirchenverfolgung nicht zu den Voraussetzungen für eine Verständigung mit dem Westen gehört und also nicht vordringlich eingestellt werden müßte, wenn man in Moskau auf „Ausgleich“ umschalten sollte, wollen wir hier nicht ausführen. Der Gedanke liegt 2war nahe, daß Malen-kow aus dem Beispiel Titos entnommen haben könnte, brutale Kirchenvcrfolgung sei an sich noch kein Grund, von einem Lunch bei Ihrer britischen Majestät ausgeschlossen zu werden, aber die Konsequenz, daß es demzufolge, einem Wort des aufrichtigen Zynikers Fouche folgend, nicht einmal ein allzu störender Fehler sei, in der eigenen „Machtsphäre“ die Christen zu verfolgen, ist doch etwas zu weitgehend. Die Hintergründe der sowjetischen Machthaber, die eine solche Großaktion gegen die „Junge Gemeinde“ der evangelischen Christen kaum ohne Genehmigung des Kreml einleiten können, bleiben also dunkel. Und wir überlassen es anderen, an ihnen herumzurätseln.

Die Fakten als solche sind ja auch hinlänglich bekanntgeworden. Der offizielle Reichsjugendführer der kommunistischen FDJ, Honnecke r, hat, unwidersprochen von seiner Regierung, die Junge Gemeinde der offiziellen evangelischen Kirche für staatsfeindlich erklärt und ... das Justizministerium hat sich, wenn auch wohl nicht ausdrücklich, aber auf Grund der uns vorliegenden Urteile in der eindeutigen Praxis der . Anklageerhebung und Urteilsbegründung dieser Auffassung angeschlossen. Es haben mehrere Pfarrer- und Jugendführerverhaftungen stattgefunden, ein Teil der Fälle wurde in öffentlichen Verfahren behandelt, die teilweise mit Zuchthausstrafen abschlössen, wie sie unser Gesetzbuch für Raubmord vorsieht. Man ist derzeit mit dem üblichen Mechanismus der spontanen Resolutionen befaßt, die nun die Regierung als Manifestationen des „Volkszorns“ unter Druck setzen sollen, damit sie endlich gegen dieses staatsfeindliche Treiben einschreitet. Die aus den Hitler-Jahren bekannte obligate Erklärung des damals faschistischen, heute bolschewistischen Machthabers — diesmal heißt er Grotewohl, damals hieß er Goebbels —, daß es sich natürlich um keine Kirchenverfolgung, sondern nur um einen Kampf gegen einzelne kriminelle Elemente handle, ist auch bereits erfolgt. Die Datenkonstellation für einen Kirchenkampf ist also gegeben, der diesmal wahrscheinlich noch wesentlich schwerer werden wird als in den Jahren des Nationalsozialismus.

Aber nicht ron diesen Dingen soll hier weiter die Rede sein, sondern von einem geistigen Geschehnis, das einen wahrhaft atemberaubenden Wendepunkt in der Geschichte des evangelisch-protestantischen Bekenntnisses darstellt. Denn dieser Akt des Widerstandes, den der evangelische Oberkirchenrat zu Berlin und die große Synode gesetzt haben, läßt sich in der Tat mit keiner anderen Form des Widerstandes, ja nicht einmal mit irgendeiner Aktion der neueren evangelischen Kirche vergleichen. Der Kampf von gestern ■ war, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, immer noch ein kirchenpolitischer Streit innerhalb eines Staates, dessen Grundlagen selbst im Letzten nicht angezweifelt wurden. Das berühmte 13. Kapitel des Römerbriefes hatte seine magische Wirkung lähmender Art seit den Tagen des 16. Jahrhunderts auch da noch behalten. Der reformierte Einfluß kalvinischer Tradition, der ja, wie etwa der bekannte Brief Professor Karl Barths an den tschechischen Rektor Hromadka bewies, ein ganz anderes Verhältnis zum aktiven Widerstand gegen den glaubensfeindlichen Staat seit den Tagen der Geusen verkörperte, war im eigentlichen deutschen Kernland doch nie so ausschlaggebend geworden. Unausgesprochen stand die Widerstandsfrage zwischen Lutheranern und Helvetiern, völlig unausgesprochen zwischen Katholiken und Lutheranern, bis in das qualvolle geistige Ringen unter den Männern des 20. Juli, zwischen den beiden Polen Stauf-fenberg-P. Delp und dem Kreisauer Kreis Graf M o 11 k e s. Und auch der heutige Akt des Widerstandes, der mit einer soeben

Und jetzt wird noch einmal mit ganz wenigen schweizerisch nüchternen Linien das Fundament nachgezeichnet, auf dem sich Barth mit den Kommunisten zu finden hoffte, jenes Fundament, das beide Partner betreten konnten, ohne ein Jota ihres Wesens aufzugeben, jenes Fundament der „Zehn Gebote“, auf dem er mit Wilhelm Pieck zu sprechen begann, damals, im fernen Jahr 1946.

Dann aber wird Stein um Stein abgetragen. Und Hülle um Hülle fällt. Was nach dieser in ihrer beherrschten Vornehmheit um so schonungsloseren Analyse als Skelett übrig bleibt, ist genau das gleiche Totengerippe des weltanschaulichen — antichristlichen — Totalstaates, das er im Jahre 1938 vom nationalsozialistischen Leviathan entwarf. Am Ende aber steht die t*+ „dringende Frage: ob Sie und die ganze Regierung der DDR sich der Gefahr bewußt sind, die heraufzubeschwören Sie im Begriff stehen? — und ebenso kurz die dringende Bitte, die ergriffenen Maßnahmen aufzuhalten . bzw. rückgängig zu machen...“

Ein unpathetisches, geschäftlich-nüchternes Schreiben im Amtsdeutsch, einer Sammlung dokumentarischer Haft- und Urteilsprotokolle vorangestellt. Keine Greuelerzählung, kein flammendes Manifest, keine pathetische Weltanrufung. Ein Bericht. Wozu also der Lärm, wozu der Aufwand eines Artikels im fernen Wien? Das wahrhaft Dramatische ist nicht die Frage der evangelischen Kirche, das Entscheidende ist die Antwort der andern Seite: Sie hieß Schweigen und erneute Verschärfung der Verfolgung, die ja erst Wochen nach dem Brief Professor Barths in voller Wucht einsetzte. Und gerade diese Antwort auf einen Brief, der das vielleicht letzte große Zeugnis für den Versuch ist, zwischen den beiden kaum mehr sichtbaren Ufern die Brücke der Zehn Gebote als Gesprächsfundament zu schlagen, ist ein Zeichen, das kein Christ übersehen kann.

Professor Karl Barth war der letzte große christliche Gesandte in der ostzonalen Deutschen Republik. Ist das Schweigen gleichbedeutend mit der Zustellung der Pässe gewesen?

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