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Neugestaltung der evangelischen Kirche in Deutschland

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Eine Begebenheit von so tiefgreifender kirchengeschichtlicher Bedeutung, wie sie die Tagung des ökumenischen Rates in Amsterdam darstellt, mußte begreiflicherweise das Interesse der Öffentlichkeit an den übrigen kirchenpolitischen Geschehnissen unserer Tage in den Hintergund treten lassen. Und doch hat sich fast gleichzeitig eines ereignet, das, wiewohl zunächst unmittelbar nur von Belang für den verhältnismäßig engen Bereich eines konfessionell wie national begrenzten Kirchentums, um der von ihm in Hinkunft zu erwartenden Fernwirkungen willen es wohl verdient, nicht nur registriert, sondern auch eingehender gewürdigt zu werden: die Mitte Juli dieses Jahres in Eisenach erfolgte Neukonstituierung der evangelischen Kirche in Deutschland. Denn so, als die, wenn schon von neugewonnenen theologischen Einsichten aus sich vollziehende Wiederherstellung eines vordem in Geltung stehenden Status, nicht als Gründung einer neuen Kirche, will das Werk der verfassunggebenden Synode verstanden und beurteilt sein. Daß es notwendig geworden war, erklärt sich aus den schweren Erschütterungen, die die Kirche der Reformation in Deutschland in der Zeit des Kampfes mit ihren Siegen und Niederlagen hatte durchleben und er-

1 Wir haben kürzlich unsere Leserwelt über das Ergebnis des in der gesamten christlichen Welt, auch der katholischen, mit großer Auf- ryrksamkeit verfolgten Amsterdamer Kongresses durch einen Artikel des Kirchenrates Professor Dr, Fischer unterrichtet.

leiden müssen; daß es sich als ausführbar erwies, bezeugt die seither erfolgte innere Konsolidierung des deutschen Protestantismus.

Der Versuch des Nationalsozialismus, sich der bestehenden Verfassung der deutschen evangelischen Kirche als eines Mittels zur Verwirklichung seiner staats- und kulturpolitischen Ziele zu bedienen, war nach bescheidenen, überdies mehr scheinbaren al’ wirklichen Anfangserfolgen rasch gescheitert. Doch nun trat das Verhängnis ein, daß im kirchlichen Lager selbst eine Übereinstimmung darüber nicht zu erzielen wir, auf welchem Wege den Maßnahmen und Übergriffen der Staatsgewalt, in denen sich die bewußt antichristliche Haltung von Partei und Regierung immer unverhüllter offenbarte, zu begegnen sei. Allmählich wird die Spannung zwischen dem von der organisierten „Bekennenden Kir- c h e“, beziehungsweise deren Leitungsorgan, den Bruderräten, gesteuerten Kurs und den auf die Wahrung der Rechtskontinuität bedachten sogenannten „intakten" lutherischen Landeskirchen Bayern, Württemberg, Hannover so stark, daß darüber der noch vorhandene Rest des ehedem festgefügten Verfassungsbaues der Gesamtkirche ins Wanken zu geraten droht; ganz zu schweigen von der zunehmenden theologischen Entfremdung zwischen beiden Lagern, die ein brüderliches Gespräch mit dem Ziel einer Bereinigung der vorhandenen Gegensätze kaum mehr aufkommen läßt, ein überall in der gläubigen Gemeinde als verbindlich erkennbares Wort der Wegweisung aber vollends unmöglich macht.

Belastet mit diesem schweren Erbe eben erst vergangener Tage, sind dann im Frühherbst 1945 die verantwortlichen Männer der deutschen evangelischen Kirche in Treysa in Hessen zu Beratungen zusammengetreten. Soweit es nicht bereits geschehen war, wurde hier die Säuberung der Kirche von Amtsträgern, die in der Zeit der Entscheidung ihrer Verpflichtung zur Verkündigung des lauteren Evangeliums in kirchenzerstörender Weise zuwidergehandelt hatten, in Angriff genommen, beziehungsweise zum Abschluß gebracht. Folgenschwerer als diese sich von selbst verstehende Maßnahme aber war die Erklärung, daß die deutschen evangelischen Kirchen „in Abwehr der Irrlehren der Zeit und im Kampf gegen einen staatskirchlichen Zentralismus zu einer kirchlich gegründeten inneren Einheit geführt worden sind, die über den Kirchenbund von 1922 hinausreicht“. Damit schien dem Verlangen der bekenntniskirchlichen Kreise, den im Kirchenkampf gewonnenen grundlegenden Einsichten normierende Bedeutung für die Neugestaltung der Kirche in dogmatischer, wie rechtlicher Hinsicht zuzuerkennen, Rechnung getragen und jener Richtung, als deren markantester Vertreter der ehemalige Dahlemer Pfarrer und jetzige hessische Kirchenpräsident Martin Niemöller gelten darf, der maßgebende Einfluß auf die weitere Entwicklung gesichert zu sein. Allein, schon in kurzer Zeit ändert sich die Lage. Die streng konfessionellen Lutheraner, geführt von dem bayrischen Landesbischof D. M e i s e r, vermögen sich der Sorge nicht zu erwehren, daß unionisti- sche Tendenzen die Oberhand gewinnen könnten. Sie hatten in den Jahren der Entscheidung, aufbauend auf einer vertieften theologischen Interpretation des Gedankengutes und Lebenswerkes des Reformators, die Wesenseigentümlichkeit ihres von den Vätern überkommenen Bekenntnisses und dessen richtunggebende Kraft mit einer in solcher Eindrücklichkeit zuvor kaum gekannten Stärke erfahren, und waren weder gewillt, noch imstande, irgend etwas von diesem ihnen anvertrauten Gut preiszugeben oder auch nur durch scheinbar wenig belangvolle Konzessionen an die Auffassung gen der Gegenseite in Frage stellen zu lassen. Die Gegensätze verschärfen sich zusehends, jede Aussicht, eine gemeinsame Plattform für die Arbeit am Neuaufbau der Gesamtkirche zu finden, scheint nachgerade geschwunden zu sein.

Unter diesen Umständen will es fast überaschen, daß man gleichwohl das vorgesteckte Hochziel keinen Moment aus dem Auge verlor. Sie alle, die berufen waren, mit Wort und Tat dem Werk zu dienen, wußten, daß es ein Wagnis war, was sie begannen. Wenn es gelungen ist, so darum, weil es ein Wagnis des Glaubens war. Die Prognose des nicht vom Lebensstrom der Kirche getragenen, innerlich unbeteiligten „nüchternen“ Beobachters, konnte für Eisenach kaum anders lauten als; Scheitern de£ Verhandlungen oder allenfalls ein künftige schwere Konflikte in sich bergendes Kompromiß. Statt dessen wurde eine Lösung gefunden, die zwar keineswegs allen den vielen ernsten Anliegen, von denen heute der deutsche Protestantismus bewegt ist, vollauf gerecht zu werden vermag, die aber um ihrer unbedingten Wahrhaftigkeit willen, wie wir glauben, die Gewähr der Dauer in sich trägt.

Was zunächst den äußeren Verlauf der Tagung anlangt, so kann er — gemessen mit den Maßstäben, die ahein angewendet werden dürfen, soll es zu einer richtigen Beurteilung evangelischer Lebensäußerungen kommen — als eindrucksvolle Manifestation kirchlichen Öffentlichkeitswillens gewertet werden. Es fehlte nicht jene gehaltvoll-feierliche Umrahmung, wie sie bedeutsamen Beratungen hoher geistlicher Amtsträger eigen zu sein pflegt. Mit Genugtuung wurde das Interesse vermerkt, das die Vertreter der Militärregierungen und der deutschen staatlichen Behörden durch ihre Teilnahme am Festakt auf der Wartburg für das kirchliche Geschehen bekundeten. Dabei war alles, was sich in diesen Tagen vollzog, gestimmt auf den Ton jenes Bußernstes, aus dem allein das Bewußtsein letzter Verantwortlichkeit zu erwachsen vermag. So blieb weder Raum für eine Beschönigung begangener Fehler, noch für gefährhche Illusionen im Blick auf die Zukunft.

Will man das schon heute greifbare Ergebnis, das die Arbeiten der verfassunggebenden Versammlung in Eisenach zeitigten, thesenartig kurz umreißen, so kann folgendes gesagt werden: 1. Die evangelische Kirche in Deutschland bekennt sich zu Jesus Christus als ihrem alleinigen Herrn. Damit ist die Grenzlinie gegenüber allem sogenannten Bindestrichchristentum, mag es nun deutsch-christlich oder wie immer heißen, klar und eindeutig gezogen. Fürderhin darf und wird das Anliegen der Gemeinde nicht mehr die Formung einer Synthese zwischen Christusglauben und irgendwelchen immanenten Werten sein, wie dies für die Reichskirche unseligen Angedenkens bestimmend war, sondern einzig die Gestaltgewinnung seines Leibes. Die im Kirchenkampf gefallene Entscheidung ist in ihrem ganzen Ernst erkannt und bleibt aufrecht. 2. Über alles Trennende hinweg reichen sich Lutheraner, Reformierte und Unierte die Hand in und zu glaubensbrüderlicher Gemeinschaft. Das bedeutet nicht den Versuch, gleichsam auf Umwegen dem Ärgernis des Kreuzes konfessioneller Aufgespalten- heit auszuweichen es sei nur auf die ungemein vorsichtigen und zurückhaltenden Bestimmungen über die Abendmahlsgemeinschaft verwiesen, sondern bezeugt lediglich die Tiefe des Wissens um letzte Gemeinsamkeit in seiner verpflichtenden Stärke und Neues schaffenden Kraft. 3. Territorial gesehen, umfaßt die evangelische Kirche Deutschlands das Gesamtgebiet dessen, was von dem einstigen Reich übriggeblieben ist. Indem sie keine Scheidung zwischen Ost und West kennt, richtet sie ein Zeichen auf, das beachtet sein will: Ideologien trennen, Christi Geist eint.

Und doch bleibt die Frage offen, ob jenes Gebilde, das in Eisenach geschaffen wurde, sich mit Fug und Recht Kirche nennen kann. Wir denken dabei nicht an das Unscheinbare des äußeren Baues, der errichtet wurde, und der nach einem treffenden Wort des greisen württembergischen Landesbischofs D. Wurm eher einer schlichten Baracke, denn einem ragenden Dom gleicht. Etwas viel Wichtigeres als die Schönheit ihrer sichtbaren Gestalt fehlt dieser Neuschöpfung, etwas, dessen als eines konstitutiven Merkmales Kircheseins sie, wie es scheint, schlechterdings nicht ermangeln dürfte: die Ein- heitderLehre. In der Tat: hier bricht eine Not auf, vor der kein bewußtes Glied dieser Kirche sich die Augen verschließen wird. Die Männer von Eisenach haben es am allerwenigsten getan. Und durften es doch immer wieder erfahren, daß über alles oft so ergebnisarme Bemühen um eine gedankliche Ausprägung der Heilswahrheit hinaus Gottes heiliger Geist unter ihnen spürbar war, der Geist, der die Seinen in alle Wahrheit leiten wird.

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