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Christusse und falsche Propheten

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Im Staatsgrundgesetz des Jahres 1867 wird die Glaubensund Gewissensfreiheit jedes Staatsbürgers verbrieft. Heute gibt es in Österreich sieben gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften, die den Status einer öffentlich rechtlichen Körperschaft besitzen. Insgesamt aber existieren in Österreich fast 50 christliche Kirchen und Religionsgemeinschaften. Sie alle — sowohl die gesetzlich anerkannten als auch die gesetzlich nicht anerkannten — sollen nach dem neuen Strafgesetzentwurf im Falle eines Deliktes der Religionsstörung strafrechtlichen Schutz genießen.

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Im Staatsgrundgesetz des Jahres 1867 wird die Glaubensund Gewissensfreiheit jedes Staatsbürgers verbrieft. Heute gibt es in Österreich sieben gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften, die den Status einer öffentlich rechtlichen Körperschaft besitzen. Insgesamt aber existieren in Österreich fast 50 christliche Kirchen und Religionsgemeinschaften. Sie alle — sowohl die gesetzlich anerkannten als auch die gesetzlich nicht anerkannten — sollen nach dem neuen Strafgesetzentwurf im Falle eines Deliktes der Religionsstörung strafrechtlichen Schutz genießen.

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Heute existieren etwa 3000 Kirchen und Sekten auf der Welt. Sie alle glauben das Gedankengut Christi und seine Lehre vom Gottesreich als ihr Eigentum gepachtet zu haben. *

In ungefähr 6500 Gemeinden Österreichs leben mehr als 6 Millionen Katholiken, die den lateinischen Ritus als ihr Eigen nennen. Die katholischen Kirchen des byzantinisch-griechischen und des byzantinisch-ukrainischen Ritus sind in Österreich seit der Doppelmonarchie des Donauraumes mit je einer Gemeinde vertreten. Eine alte Tradition der einstigen Reichshauptstadt hat innerhalb der geschrumpften Staatsgrenzen auch noch eine armenische Gemeinschaft erhalten. Sie konnte besonders durch die Flüchtlinge aus dem östlichen Europa an Bedeutung gewinnen. An ihrer Spitze steht ein Erzbischof, der seit langer Zeit in Wien seine Residenz aufgeschlagen hat.

Daneben existieren auch orthodoxe Kirchen, die von ihrer Verfassung her autonom sind und demnach nicht dem Bischof von Rom „unterstehen“. Dazu zählen Gläubige des armenischen Katholikates von Etschmaizin, des ökumenischen Patriachates von Konstantinopel, von Moskau und Serbien. Jede dieser selbständigen Kirchen ist nur mit sehr wenigen Gemeinden in Österreich vertreten, während die autonome „Russisch-Orthodoxe Kirche außerhalb Rußlands“ — wie sie offiziell genannt wird — 45 österreichische Verwaltungssprengel zählt.

Mit dem Thesenanschlag Martin Luthers an der Schloßkirche von Wittenberg am 31. Oktober 1517 kam eine gewaltige Lawine ins Rollen. Der im Jahre 1054 vollzogenen Trennung der orthodoxen Kirchen von der Mutterkirche in Rom folgte nun eine zweite, zumindest ebenso schmerzliche. Die Einheit der einen Herde unter dem einen Hirten war zerbrochen.

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Die Evangelische Kirche des Augsburger und des Helvetischen Bekenntnisses kann sich heute als die zweitgrößte Kirche Österreichs ansehen. In 4500 Gemeinden leben mehr als 400.000 Gläubige, die ihre lutherische Lehre nach dem Konkor-dienbuch und die calvinistischen Grundsätze nach dem Heidelberger Katechismus als Fundament ihrer autonomen Stellung innerhalb des „Lutherischen“ und des „Reformierten Weltbundes“ beanspruchen. Im Jahre 1949 haben sich die beiden evangelischen Kirchen auf dem Boden Österreichs „im brüderlichen Dienst“ — wie es in der Präambel der Kirchenverfassung heißt — zusammengeschlossen.

Die 1875 gegründeten „Svenska Israel Missionen“ hatten sich die Bekehrung der Juden zum Christentum als Ziel gesetzt. Dieser aus Skandinavien stammenden und heute fast verschwundenen lutherischen Gemeinschaft steht noch die „Eesti Evangeliumi Duteri Usu Kirk“ zur Seite: Die Verfassung der lutherischen Kirchen bestimmt die Autonomie der Gemeinden innerhalb der einzelnen Staatsgebiete. Das bewirkte 1944 die Gründung von Exilkirchen für jene etwa 65.000 Esten, die ihre Heimat vor den einmarschierenden russischen Armeen verlassen hatten und heute über die ganze Welt hin verstreut leben.

Der historische Kontext der Reformation weist jedoch auch auf die in den Schweizer Landen entstandene calvinistische Richtung hin, die vom Leutpriester am Zürcher Münster, Ulrich Zwingli, und ton Jean Calvin in Genf ihren Ausgang genommen hat. Die „puritanische“ Strenge dieser Reformbewegung zeichnet sich in Österreich nicht nur in der vorhin erwähnten protestantischen Kirche des Helvetischen Bekenntnisses ab, sondern auch in der 1918 als Fortsetzung der evangelischen Kirche Augsburger und Helvetischen Bekenntnisses in Österreich entstandenen „Evangelisch Tschechisch-Brüderischen Kirche“, die das Erbe des 1415 in Konstanz als Ketzer verbrannten Johannes Hus wahren und erneuern wollte. Heute leben mehr als 3000 Mitglieder dieser calvinistischen Kirchengemeinde auf österreichischem Boden.

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Nach turbulenten Szenen in den Beziehungen zwischen dem Vatikan und Westminster ließ sich König Heinrich VIII. 1534 vom Parlament zum alleinigen Oberhaupt der Kirche von England erklären und machte so den Bruch zwischen seiner „anglikanischen Kirche“ und der Kirche von Rom zur historischen Tatsache. Auch in Österreich besteht eine kleine Gemeinde dieser, der katholischen Tradition wohl sehr nahestehenden, „Church of England“.

Die im vorigen Jahrhundert aufkeimende nationale Bewegung in den europäischen Ländern färbte auch auf gewisse kirchliche Kreise ab, denen eine Loslösung von Rom, im besonderen von der Unfehlbarkeit des Papstes, gerade zurechtgekommen war. So entstanden damals vor allem in der Schweiz, in Deutschland und Italien altkatholische Gemeinden, während zunächst die Verbreitung in der österreichischungarischen Monarchie vom Staate aus nicht sehr begünstigt war. Heute jedoch leben diese im Laufe der Zeit immer mehr der katholischen Lehre entfremdeten Nationalkirchen vornehmlich im mitteleuropäischen Raum. Auch in Österreich. Die auf die altkatholische Bewegung zurückgehende „liberal-katholische Kirche“, die in England entstanden war, ist nur mehr mit einigen Mitgliedern vertreten.

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Zu den wohl bekanntesten und rührigsten Religionsgemeinschaften zählt die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“, die mehr unter dem Namen „Mormonen“ bekannt ist. Das häßliche Proselytentum der amerikanischen Pastoren trieb den erst 14jährigen Joseph Smith in die stillen Wälder des Staates New York hinaus. Dort erschien ihm der Engel Moroni, von dem er das Buch Mor-mon und zwei Tafeln anvertraut erhielt. Auf dem Fundament dieser „Phantasieprodukte“, wie der Theologe Algermissen jene Privatoffenbarung nennt, gründete sich eine treue Anhängerschaft, die dem von der Polizei immer wieder gesuchten Gründer der Sekte auf abenteuerlichem Weg durch die Staaten folgte. 1847 erreichte der Zug der 12.000 Gläubigen nach ungeheuren Strapazen und Verlusten das wüste Tal des Salzsees im heutigen Staate Utah. Dort errichtete die Sekte ihr neues Jerusalem, Salt Lake City. Sie verwandelte das Land in einen blühenden Garten. Am auffälligsten war einst in der heute noch sehr puritanischen Lebensweise der Mormonen die Vielweiberei, die zu schweren Auseinandersetzungen mit den amerikanischen Justizbehörden führen mußte. 1895 wurde die Mehrehe von der Präsidentschaft, der obersten Leitung der Sekte, verboten. Sie scheint jedoch auch heute noch im geheimen zu bestehen. Schon sehr früh bildete sich deshalb eine „Reformierte Mormonengemeinde“, die die Einehe wieder als göttliches Geheiß akzeptierte. Auch sie ist in Österreich registriert.

Es sind auch Sekten und Kirchen vertreten, deren Lehre zwar auf Calvin zurückgeht, die aber als unmittelbares Haupt der Einzelgemeinde, der „congregation“, nicht einen bischöflichen Statthalter, sondern Christus selbst annehmen. Eine solche kongregationalistische Kirchenverfassung bezeichnen folgende Gemeinschaften als ihr nach außenhin sichtbares Fundament: die „Apostolic Christian Church“; die aus Amerika stammenden und in

Österreich 13 Gemeinden mit 700 Mitgliedern umfassenden „As-semblies of God“; die „Baptistenunion von Österreich“ mit ihren vier Gemeinden und 800 Mitgliedern, sie geht auf Auslandsösterreicher in Hamburg zurück; die kleinen Gemeinschaften der „Church of Brethren“; die „Pfingstgemeinden“ und die im Jahre 1900 von dem ungarischen Handwerker Ludwig Heno-sey ins Leben gerufenen „Jünger Christi“.

Von den kongregationalistischen Sekten, die es in Österreich gibt, haben auch die „Seventh Day Adven-tisten“ mit mehr als 2500 Gläubigen in 40 Kirchenbezirken eine gewisse Verbreitung gefunden. Nicht zuletzt aber die im zweiten Weltkrieg durch ihre karitative Tätigkeit im hungernden Europa sehr bekanntgewordenen Anhänger der „Religiösen Gesellschaft der Freunde“. Sie sind unter dem Namen „Quäker“ bekannt geworden.

Neben der „Baptistenunion von Österreich“ findet man noch zwei andere baptistische Gemeinden vertreten: die „North American Baptist General Missionary Society“ mit ihren 2000 Mitgliedern und die aus einer Bewegung innerhalb der anglikanischen Kirche Englands und Irlands entstandenen „Plymouth-Brüder“. Nicht immer werden Religionsgemeinschaften durch ihre Dogmatik bestimmt und kraft ihrer Verfassung geleitet, österreichische Staatsbürger verschwören sich auch Gemeinschaften, deren geistig-religiöser Standort nicht immer eindeutig bestimmbar ist. Zu dieser Gruppe zählen die „American-European Fellowship“; die „Amis de l'Homme“ aus Frankreich und der Schweiz; die aus London kommende „Catholic Apostolic Church“; weiters die von dem Neger George Baker gegründete „Father Divine's Peace Mission“; die 1904 in Deutschland entstandene „Bibelschule Wiedenest“, der ein Missionshaus eingegliedert ist, und zuletzt die vom Südsteirer Jakob Lorber aus Marburg um die Mitte des 19, Jahrhunderte.ins Leben ge-v rufene „Neu Salems Gesellschaft“.

Alle diese Sekten sind nur mit ganz wenigen Mitgliedern im österreichischen Raum zu finden und machen sich kaum im öffentlichen Leben bemerkbar. Zu diesen wenig bekannten kirchlichen Institutionen zählt die kollegial verwaltete „Neu-Apostolische Kirche“, die ihren eigentlichen Sitz in Westdeutschland hat. Die sogenannten „Unabhängigen Kirchen“ aus Amerika. Die auf dem schwedischen Boden entstandene, in Österreich mit einer Gemeinde vertretene „Generalkonferenz der Neuen Kirche“. Die ihrer Lehre nach anthroposophische „Christengemeinschaft“ aus Stuttgart und „The Church of God“ mit ihrer autoritären Verfassung.

Immer wieder erfährt man auch schon aus der Bezeichnung der Sekte oder Religionsgemeinschaft deren vornehmlichen Aufgabenbereich, wie etwa bei der „European Evangeli-stic Crusade“, die von London her ihre Missionare auf den Kontinent entsendet. Streng zentralistisch wird die „First Church of Christ“, auch „Scientist“ genannt, von der Mutterkirche in Boston her organisiert, die im Jahre 1920 die Verbindung mit einer schon längere Zeit existierenden Gemeinschaft in Wien aufgenommen hatte.

In 140 Ortsgruppen sind mehr als 1500 „Zeugen Jehovas“ theokratisch organisiert, denn sie kennen keine hierarchische Ordnung, sondern werden kollegial verwaltet und sind vielfach als Verkündiger im Vortrags-, Schulungs- und Werbedienst bekannt. Nicht nur der inneren Struktur nach streng militärisch organisiert, sondern auch mit richtigen Uniformen ausgestattet, tritt die „Heilsarmee“ in die Öffentlichkeit. Sie wurde 1878 vom späteren „General“ William Booth in London gegründet. Er scharte eine Gruppe Gleichgesinnter um sich, die beispielsweise 1879 den ersten „Kriegsrat“ konstituierten und auf ihre Fahne einen Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen und den Anfangsbuchstaben der „Salvation-Army“ setzten. Während die Divisionen, Korps, Vorposten und Offiziere der Heilsarmee auch in Österreich keine eigene Kirche bilden wollen, sondern moralische Grundkonzepte in den Vordergrund stellen, erheben die „Methodisten“ wohl den Anspruch, als Kirche anerkannt zu werden. Die 1951 ins österreichische Kirchenregister offiziell eingetragene und heute mit 3000 Mitgliedern in 30 Gemeinden vertretene Sekte der Methodisten wurde schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts von anglikanischen Priestern in Oxford ins Leben gerufen. In diesen anfangs als „Holy Club“ bezeichneten gemeinschaftlichen Treffen ging es um die Verlebendigung des Glaubens und dessen methodische Verwirklichung im praktischen Leben.

Auf einem bewaldeten Hügel oberhalb der alten Tiroler Stadt Schwaz, am Vomperberg, steht eine Marmorpyramide mit den sterblichen Überresten Abd-Ru-Shins, des aus dem Sächsischen stammenden Oskar Ernst Bernhardt. Er hat hier im Jahre 1928, mitten im katholischen Tirol, als Menschensohn die ersten Anfänge der heute auch in Deutschland, in der Schweiz und in Südamerika verbreiteten „Gralsbewegung“ ins Leben gerufen. Mit seiner Frau, der ..fleischgewordenen Liebe Gottes“, und der Tochter, als „Verkörperung der Reinheit^^flffie er bis zu seinem Tod während des zweiten Weltkriegs in einer diktatorischen Manier diese eigenartige Sekte, der er des öfteren wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Eigentums und wegen Devisenschmuggels polizeilich entrissen wurde.

Religiöse Erfolge, die in Propagandatätigkeit, krankhafter Religiosität, Abnehmen sittlicher Entscheidungen in Gewissenskonflikten ihre tiefen Wurzeln finden, stehen neben oft wirklich anzuerkennenden menschlich-sozialen Erfolgen, die auch Österreich in den bitteren Nachkrie.2siahren dankerfüllt zu spüren bekam.

Die vielen Sekten und Kirchen auf Österreichs Boden als lächerlich ab-zutun, wäre mehr als unrealistisch. Das Gespräch mit ihnen wird das gesunde Urteilsvermögen im interessierten Partner wachsen lassen, um schließlich CHRISTUS au sehen und nicht den Christussen und falschen Propheten nachzulaufen, wie es Matthäus in seinem Evangelium sagt. Denn darin liegt echte Verantwortung der Intelligenz. Jener Intelligenz, die existenziell notwendig ist, das harte und eindeutige Wort des Evangelisten zu wissen und zu erkennen: „Wo Aas liegt, da sammeln sich die Geier.“

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