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Frauen auf der Kanzel?

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„Ich habe die ganze Zeit bis jetzt die Hoffnung gehegt, es werde uns schließlich trotz allem möglich sein, dieser Situation zu entgehen, der kritischesten seit der Reformation 1“

Das war der traurige Kommentar des Bischofs Bo Giertz, Göteborg, zum Beschluß des schwedischen Bischofskollegiums, drei Theologinnen die Priesterweihe zu gewähren, und somit die große Reform der Kirchenordnung durchzuführen, die das k y r k o m ö t e, die demokratisch gewählte Kirchenversammlung der schwedischen evangelischen Staatskirche, schon vor einem Jahr beschlossen hatte. Während das Ereignis, das auch in den großen, der Staatskirche (und den herkömmlichen Formen der Religionsausübung überhaupt) gegenüber sonst verhältnismäßig gleichgültigen Volksschichten großes Aufsehen und heftige Polemik erregt hat, von den meisten als Sieg der Demokratie über den starren kirchlichen Dogmatismus begrüßt wird, erhebt eine oppositionelle „bekenntnistreue“ Gruppe, deren Führer der strenggläubige Lutheraner Giertz ist, heftigen Einspruch gegen eine fremde Ordnung, die ihrer Überzeugung nach mit „Gottes Willen und den uns durch die Heilige Schrift gegebenen Anweisungen Christi“ in Widerspruch steht: Gottes Wille lasse sich eben nicht auf Wunsch politischer .Frauenorganisationen mit einfacher Mehrheit im kyrkomöte ändern.

Diese innenkirchliche Widerstandsbewegung „K y r k 1 i g Sämling“ ist, wenn sie auch eine gesammelte, starke „Bekenntnisfront“ gegen den dogmatischen Liberalismus und eine weit fortgeschrittene Säkularisierung überhaupt darstellen will, in theologischer und praktischkultischer Hinsicht keineswegs homogen; ihr gehören mehrere, zum Teil sehr verschiedene Glaubensrichtungen an. Das dominierende Element ist die hochkirchliche Gruppe, Kyrklig för-n y e 1 s e (Kirchlich Erneuerung), die in den letzten Jahrzehnten als eine sakramental-dogmatisch bewußte „Erweckungsbewegung“ heranwuchs, durch eine zielbewußte Aufbauarbeit eine Wiederbelebung des Kirchenlebens schuf und jetzt vor allem ihre Stärke darin hat, daß sie auf die Jugend eine nicht geringe Anziehungskraft auszuüben scheint. Ihre manchmal schok-kierende und herausfordernd „katholisierende“ Tendenz ist gewiß auf viel Widerstand gestoßen, doch hat sich die Richtung als lebensfähiger erwiesen als manche andere innerhalb der Staatskirche — und vor allem effektiver in dem Kampf gegen die allgemein verbreitete religiöse Indifferenz. Die markanteste Persönlichkeit unter den schwedischen Hochkirchlern dürfte der 62jährige initiativreiche, streitbare und humoristische Pfarrer Gunnar Rosendal, Osby (Schonen, Südschweden) sein, der, selber von der anglikanischen High Church sehr stark beeinflußt, durch ein reiches Schrifttum, unzählige Vorträge und nicht zum mindesten seine landesbekannte, musterhafte geistliche Wiederaufbautätigkeit (im hochkirchlichen Sinne) in seiner eigenen Gemeinde Osby dem kirchlichen Erneuerungswerk immer neue Anregungen gibt.

Die zweite große Gruppe besteht aus den streng lutherischen Schartauanern oder g a m-malkyrkliga (etwa „Altkirchler“, „Altgläubige“), die vorwiegend im südwestlichen Teil Schwedens zu finden sind. Sie lehnen zwar die angeblich „katholischen“ Tendenzen der Hochkirchler ab, sind aber in der Verwerfung der liberalistischen Interpretation der Heiligen Schrift mit ihnen einig. Die Rolle des Mittlers zwischen den beiden Phalangen spielt der Bischof Giertz, dessen Diözese gerade die meisten schar-tauanisch beeinflußten Kirchengemeinden umfaßt, der aber selber auch den hochkirchlichen Kreisen nahesteht und an der erfolgreichen Entwicklung der Kyrklig förnyelse einen beträchtlichen Anteil hat.

Zu den beiden erwähnten Kategorien kommen noch verschiedene regional begrenzte Gruppen von „Bibeltreuen“, die ebenfalls die „Krypto-katholiken“ mit großem Mißtrauen betrachteten, ehe der Streit um die Pfarrerinnen sie doch in die strategisch notwendige Allianz hineingezwungen hat. Überhaupt kann man sich kaum des Gefühles erwehren, daß die negative Einstellung zur aktuellen Kirchenreform im Grunde genommen das einzige ist, was die Kyrklig Sämling zusammenhält, das heißt, daß wir bloß ein vorläufiges Bündnis auf recht wackeliger theologischer Grundlage vor uns haben.

Nach dem verhängnisvollen Beschluß des kyrkomöte folgte eine Zeit scheinbarer Ruhe, in der die Gruppen der Bekenntnisfront sich allmählich zu konsolidieren begannen und vor allem Zeit hatten, ein gemeinsames konkretes Aktionsprogramm auszuarbeiten. Dieses wurde anfangs streng geheimgehalten, werde aber, so erklärte man, im Falle eines Vollzugs des theoretischen Beschlusses (d. h. nach der Weihe der ersten Pfarrerin) veröffentlicht werden und in erster Linie bekenntnistreuen Geistlichen und Laien als Maßregeln dienen für ihr Verhalten gegenüber den „illegitimen Trägerinnen des heiligen Priesteramtes“.

Als vor kurzem bekanntgegeben wurde, daß drei Theologinnen um die Priesterweihe angesucht und daß drei Bischöfe sich bereit erklärt haben, ihnen diesen Wunsch zu erfüllen, wurden die „17 Punkte“ der Bekenntnisfront auch sofort veröffentlicht: ein schonungsloser kirchlicher Generalbefehl, worin unbedingte Abstandnahme von den Pfarrerinnen befohlen wird. Das Programm ist zweifellos ein eindeutiges Kampfsignal, das eine ernstliche kirchliche Krise ankündigt, vielleicht sogar eine Spaltung der Kirche oder eine endgültige Trennung der Kirche vom Staat. Die Anhänger der Kyrklig Sämling sind allem Anschein nach fest entschlossen, der schwedischen Kirche treu zu bleiben (bis auf eine ganz kleine Zahl Hochkirchler, die schon zum römisch - katholischen Glauben übergetreten sind), obwohl sie von den Gegnern — zu denen fast die ganze Presse steht — immer wieder aufgefordert werden, entweder die Kirche zu verlassen oder die auf legitimem Weg zustande gekommene Kirchenreform als gültig anzuerkennen: die in den 17 Punkten entworfene Haltung sei unsolidarisch, unmoralisch und — was die Geistlichen betrifft, die ja staatliche Angestellte sind — schlechthin gesetzwidrig. Vertreter der Bekenntnistreuen erklärten jedoch, daß sie, wenn die Umstände sie dazu nötigen würden, aus der Staatskirche ausscheiden, und etwa eine selbständige Bekenntniskirche zu gründen, in Wirklichkeit die wahre schwedische Kirche mit sich in die neue Glaubensgemeinschaft führen würden. Dieser Anspruch sei dadurch berechtigt, daß es die Gegenseite gewesen sei, die durch die be-kehntniswidrige Abänderung der Lehre „die Kirche unserer Väter“ verlassen habe.

Man muß sich darüber im klaren sein, daß deT Streit um die Pfarrerinnen nur e i n Symptom der scharfen Gegensätze zwischen den Orthodoxen und den Liberalen in der schwedischen Kirche ist. Den beiden einander entgegengesetzten Positionen in dieser Frage entsprechen fundamentale Meinungsverschiedenheiten auf dem dogmatischen Gebiet, vor allem in bezug auf den Kirchenbegriff. Allerlei Spannungen kennzeichnen außerdem seit einigen Jahren das Verhältnis Kirche—Staat. Es ist höchst fraglich, ob die Kirche unter diesen Bedingungen befriedigend arbeiten kann. Die Polemik der beiden letzten Jahre hat all diesen Problemen eine neue und alarmierende Aktualität verliehen, namentlich, indem sie die Aufmerksamkeit auf die tiefe Kluft gelenkt hat, die den verbreiteten und beinahe zum Dogma erhobenen religiösen Subjektivismus von der reingläubigeren Frömmigkeit trennt. Wie der Kampf enden wird, ist kaum vorauszusagen. Die Schar der sogenannten Bekenntnistreuen ist noch relativ gering. In der bischöflichen Konklave ist Bo Giertz der einzige radikale Gegner des jetzt aktuellen Beschlusses, was ihn in den Augen seiner Amtsbrüder gewissermaßen als kirchlichen Rebellenführer erscheinen läßt. Zweifellos — wenn seine ernste Beurteilung der Situation sich bewähren und es für die schwedische Kirche zu einer mit der Reformation vergleichbaren Krise kommen sollte, wird der um die „unverfälschte Lehre“ bemühte Göteborger Bischof es auch sein, der die Rolle eines modernen Olaus Petri (des alten Reformators Schwedens) zu spielen haben wird.

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