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Staat und Englische Hodikirche

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„Manchester Guardian“ berichtet über aufschlußreiche Vorgänge in der englischen Staatskirche.

Anfangs Oktober fand in York unter Teilnahme zahlreicher Bischöfe und hoher geistlicher Würdenträger eine Kirchenversammlung statt, die von dem Erzbischof von York, Dr. G a b e 11, einberufen und geleitet war. Die gehaltenen Reden und die gefaßten Entschließungen lassen eine bedeutsame Bewegung in der Staatskirche Englands erkennen. Man muß sich daran erinnern, daß nach der bestehenden Kirchenverfassung die kirchliche Verwaltung mit dem Staat aufs engste verknüpft ist und das kirchliche Leben von der Krone, Parlament und staatlichen Ämtern in wichtigsten Funktionen bestimmt wird. So bildet die höchste Instanz in geistlichen und kirchlichen Rechtssachen das Justicial Committee des Kronrates, das seine Juiisd'ktionsgewalt allein der Krone verdankt und auf Grund eines Regierungsvorschlages zusammengesetzt wird. Die kirchliche Vermögensverwaltung liegt zum guten Teil bei einer staatlichen Kommission. Noch wichtiger ,ist, daß kirchliche Lehren im Kanonischen Recht und in der Kirchenverfassung der parlamentarischen Zustimmung bedürfen, nicht zu reden davon, daß viele geistliche Ämter auf Vorschlag der F.egierung, durch die Krone oder Patronatsherren besetzt v/erden. Wie ernst in kirchlichen Kreisen dieser Zustand angesichts der Erfordernisse der Gegenwart empfunden wird, zeigt der Verlauf der Yorker Tagung. Der erzbischöfliche Vorsitzende erklärt in seiner Eröffnungsrede:

„In einer Zeit, wo der Staat ständig seine Macht ausdehnt und sich über Gebiete des Lebens erstreckt, die einst autonom waren, ist es für die Kirche von lebenswichtiger Bedeutung, daß sie als die größte Körperschaft innerhalb des Staates Freiheit in Angelegenheiten des Glaubens, Kultus und der Disziplin hat. Vier Punkte seien es, in denen die anglikanische Kirche eine stärkere Autonomie zu verlangen hat. Sie hat das Recht, zu begehren, ihren Kultus ändern und erweitern zu dürfen, ohne, wie bisher, an das Parlament appellieren zu müsse n.“ Heute gebe es eine große Anzahl von Mitgliedern der Kirche, deren Gewissen sich dagegen auflehnen würde, daß wieder dem Parlament die Entscheidung belassen werde, welche Gebete zu gebrauchen und in welcher Weise die Sakramente zu spenden seien. Erforderlich sei weiterhin eine Reform des Kanonischen Rechtes, das seit 1603 nicht revidiert worden sei; zwar habe 1943 eine Studienkommission die Arbeit begonnen, diese sei jedoch wieder zum Stocken gekommen. Jetzt habe die oberste Entscheidung in kirchlichen Gerichtssachen ein Tribunal, das seine Jurisdiktionsgewalt allein von der Krone herleite, indes die Kirchenmitglieder der Meinung seien, daß die Kirche selbst die kirchliche Lehre zu verkünden, zu interpretieren und zu beweisen habe.

Der Erzbischof von York gab der feierlichen Uberzeugung Ausdruck, daß die Kirche vom Staat die Anerkennung eines geistlichen Appellations-gerichtes verlangen müsse, dessen Entscheidungen für die Beteiligten im Gewissen bindend zu sein hätten. Mit der gleichen Entschiedenheit verlangte der Erzbischof die Beseitigung des bisherigen ZuStandes, nachdem die Bischöfe und Dekane der anglikanischen Kirche vom jeweiligen Ministerpräsidenten ernannt werden, ein Mitbestimmungsrecht bei der Vergebung der wichtigsten geistlichen Ämter sei zu fordern.

Sehr ernst betonte der hohe Dignitar: „Nur wenn wir auf Feindseligkeiten und Gleichgültigkeit statt auf Zusammenarbeit stoßen sollten, nur wenn es klar würde, daß es unmöglich ist, irgendeine Reform durchzusetzen, nur dann würden wir genötigt sein, die Trennung von Kirche und Staat zu fordern. Furcht vor der Trennung sollte uns aber nicht abhalte n, Reformen zu verlangen, die wir für notwendig halten. Der gefährlichste Kurs wäre es, wenn die Kirche sich weigern würde, den Gefahren der gegenwärtigen Situation ins Auge zu sehen, um sich weitertreiben zu lassen in der Hoffnung, daß alles gut gehen werde. Wir haben das zu lange getan. Die Weigerung, die Dinge zu sehen, kann nur zur Katastrophe führe n.“

In dieser Schärfe ist das Problem „Staat und Kirche“ in der Hochkirche noch kaum formuliert, am allerwenigsten die Möglichkeit eines klaren Trennungsstriches, der eine vollständige Loslösung aus der finanziellen Gebundenheit der Kirche an den Staat bedeuten würde, ins Auge gefaßt worden.“ Der Erzbischof von York gab zu, bisher vertrete nur eine kleine Minderheit den Gedanken einer Trennung, aber daß er selbst die Trennung in den Bereich der Möglichkeit, ja unter Umständen sogar der Notwendigkeit rückte, ist vielsagend. Die Kirchenversammlung erhob einstimmig eine vom Bischof von Blackburn, Wm. Asquith, beantragte Resolution zum Beschluß, welche die Notwendigkeit der Lehre hinsichtlich der Unlösbarkeit der Ehe herausstellt.

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