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Der Beitrag der Kärntner Protestanten

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Der Kärntner Protestantismus hat in der Geschichte Für das Land viel bedeutet. Man braucht nur den großen Aufschwung zu bedenken, den Kärnten, fast durchgehend evangelisch geworden, in der Reformationszeit genommen hat. Das betrifft die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Es gilt für das Bildungswesen. Durch den Impuls von Luthers Schulschriften entstand ein bis in die Bergtäler reichendes Netz von evangelischen Schulen. Aber auch das höhere Schulwesen wurde ge-

Superintendent Paul Pellar Foto: Archiv pflegt bis zu den ersten Ansätzen einer Hochschule in Klagenfurt. Die heutige Universität in Klagenfurt ist damals gleichsam in den Ansätzen vorweggenommen worden. Auch die politischen Verhältnisse waren nicht so explosiv wie in anderen Territorien. Einerseits galt die Pflicht zum Gehorsam gegen die Obrigkeit und man nahm sie ernst, andererseits boten die Stände einen weiten und Für damalige Verhältnisse bedeutenden Freiraum Für Glauben und Gewissen.

Nun ist Geschichte ja auch mehr als nur eine Reminiszenz. Sie kann nicht übergangen werden, denn Menschen leben in einer Geschichte, die zur Kenntnis zu nehmen auch die Gegenwart mit. eröffnet. Diese Gegenwart ist nun anders geformt als die Vergangenheit.

Die Kärntner evangelischen Gemeinden wurzeln tief vor allem in den bergbäuerlichen Gemeinden, die sich seit der Reformation erhalten haben. Ein bewahrendes Element, das nicht unbesehen alles aufgibt, was sich bewährt

„Die Kärntner evangelischen Gemeinden wurzeln tief vor allem in . . . bergbäuerlichen Gemeinden” hat, um eines Fortschrittes und nicht um des Menschen willen, ist ihnen eigen. Damit verbunden ist in den evangelischen Gemeinden ein großer Bildungsdrang, der im heutigen Schulwesen voll zur Auswirkung gelangen kann. Zeichen dafür waren die bis 1938 in vielen Landgemeinden trotz ihrer Armut gepflegten und geachteten evangelischen Schulen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Aufbau eines Schulwesens in so hohem Ausmaß nicht mehr nötig. Es hätte uns wirtschaftlich überfordert; die gute österreichische Schultradition hat in der öffentlichen Schule auch das Zusammenleben der Konfessionen gefördert. Im durch Gesetz im Schulwesen verankerten Religionsunterricht hat auch die evangelische Jugend voll die Möglichkeit, mit den Grundlagen ihres Glaubens vertraut zu werden. Vielerlei menschliche Gemeinschaftsbeziehungen können und werden dadurch gepflegt, daß in der öffentlichen Schule römisch-katholische und evangelische Religionslehrer füreinander Verständnis entfalten können und im allgemeinen auch die Integration im Lehrkörper weit über den schulischen Bereich hinaus wirkt.

Es muß auch vermerkt werden, daß das Verhältnis zu den Schulbehörden des Landes von Vertrauen getragen ist und wir dafür dankbar sind. Freilich wäre es eine große Hilfe vor allem Für die Kleinstgruppen im Religionsunterricht, wenn die Mindestschülerzahl für eine Religionsstunde unter die jetzt geltende Zahl von fünf Schülern gesenkt werden könnte (was nur durch Gesetz möglich ist). Denn die rapide sinkenden Kinderzahlen bewirken jetzt viel häufiger als früher ein Absinken unter die im Gesetz an sich großzügig vorgeschriebene Zahl.

An evangelischen Schulen werden mit beachtlicher Ausstrahlungskraft zwei einjährige Haushaltsschulen mit Internat von den evangelischen Anstalten in Waiern (Feldkirchen) und in Spittal an der Drau geführt.

In der'Diakonischen Arbeit gehören im Kranz der öffentlichen und römischkatholischen auch die evangelischen Werke, die Anstalten der Inneren Mission in Waiern und die evangelische Stiftung der Gräfin de la Tour in Treffen zu den sehr bedeutenden Exponenten sozialer Arbeit ausder vom Evangelium gebotenen Verpflichtung dem Nächsten gegenüber. Ursprünglich cr-

„Eine sehr entscheidende Leistung war die Integration der vielen evangelischen Flüchtlinge vor allem aus dem Raum der Donaumonarchie” wachsen aus dem Kinderelend der Jahrhundertwende und der Not der Bauernknechte und Mägde, wenn sie nicht mehr arbeitsfähig waren, sind heute verschiedene Aufgaben anderer Art zu bewältigen: Kinderheime, Altenheime, das evangelische Krankenhaus in Waiern mit besonderem Schwergewicht auf dem Altenpflegeheim „Bethanien”.

In Treffen und Waiern mit einer De-pendance in Spittal an der Drau ist uns in den letzten Jahren eine Aufgabe des Dienstes an behinderten Jugendlichen zugewachsen. In Treffen ist das verbunden mit handwerklicher Ausbildung. Ziel, vom Glauben her geboten, ist es, im Rahmen des Möglichen den Behinderten zu der in ihren Grenzen gegebenen Selbsttätigkeit zu helfen und sie zugleich in kommunikatives Leben einzubinden. Hier wird in besonders guter Weise auch mit den Sozialbehörden des Landes zusammengearbeitet.

Eine sehr entscheidende Leistung war die Integration der vielen evangelischen Flüchtlinge vor allem aus dem Raum der Donaumonarchie. Hier haben in vielen Gemeinden, vor allem aber im Raum Villach, Menschen eine neue Heimat bekommen. Sie stellen heute einen festen Bestandteil unseres Landes. Bei Wahrung und Pflege eigener Tradition sind sie nun in der zweiten und dritten Generation voll im Lande beheimatet. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß ihnen geistliche Heimat in der evangelischen Kirche geboten wurde, so daß die inneren Wurzeln auch hier wirksame neue Kraft geben konnten.

Wir verdanken diese Möglichkeit auch der Siedlungsgenossenschaft „Neusiedler”, die sich um die Flüchtlinge sehr bemühte und Wohnanlagen in Villach errichtete. Heute ist das ein Stück neuester Geschichte, hat aber unserer Kirche und dem Land wesentliche Impulse gegeben.

Ein besondererund wesentlicher Beitrag des Kärntner Protestantismus zum kulturellen Leben ist die heutige Heimatdichtung, vor allem verkörpert in ihrem Erneuerer, Superintendent i. R. Professor Gerhard Glawischnig. Er hat Texte für Lieder geschaffen, die im ganzen Land bekannt sind. Unverkennbar in ihrer bodenständigen Herkunft, gehen sie in die Tiefe und Weite menschlichen Lebens. Sie verbinden den Dialekt mit durchaus zeitbezogenem, aber auch die Grenzen des Alltags übersteigendem Wert ihrer Aussage.

Zu den Schilderungen des Lebens und Glaubens, des Uberganges in die Neuzeit gehört das Buch von Michael Unterlercher „In der Einschicht” (Erinnerungen eines Siebzigjährigen). Er schildert das Leben, den Jahresablauf, die Bindung an die evangelische Kirche in Wiedweg, den harten Weg zum Lehrerberuf- alles eingebettet in die Haltung des gläubigen Christen und zugleich seiner Heimat verbundenen Kärntners.

Durch das Toleranzpatent Kaiser Josefs II. von 1781 sind in unserem Land einige Gemeinden im gleichen Jahr oder kurz danach entstanden. Damalige Kirchen, Bethäuser genannt, sind noch als Gottesdienststätten vorhanden und eine Besonderheit, prägend für manches Ortsbild in ihrer schlichten und doch schönen Ursprünglichkeit. Mit Hilfe sachgemäßer Beratung und Förderung des Bundesdenkmalamtes und des Landes Kärnten, müssen sie Zug um Zug renoviert werden. Eine große Aufgabe, aber auch ein wesentlicher kultureller Aspekt in der eigengeprägten Substanz des Landes. Zeugnis dafür ist das evangelische Diözesanmu-seum in Fresach.

Des Landes Bestes zu suchen ist uns aufgetragen. So dient evangelisches Denken auch dem Frieden im Land, dem Verständnis zwischen seinen Volksgruppen und Konfessionen. Bei klarer Erkenntnis der Verschiedenheit der Konfession gibt es heute ein gutes Miteinander der großen römisch-katholischen mit der kleinen evangelischen Kirche. Das Band des Friedens, das Christus ist, ist auch zum Band zwischen den Konfessionen geworden. So ist Ökumene nicht Modewort, sondern in Miteinander und aufrechter geistlicher Diskussion das Wissen um die Bruderschaft der Getauften Uber völkische, soziale und konfessionelle Grenzen hinweg.

Aus längst vergangener Zeit verpflichtet uns heute die Bibelausgabe des Matthias Flacius Iliyricus, die in lateinischer, kroatischer, slowenischer, italienischer und deutscher Sprache in nebeneinanderstehenden Kolonnen herauskam. Sie überwand so Grenzen der Sprache, der Bildung und des Volkstums. Solche Grenzen zu überwinden und doch die unvertretbare Eigenständigkeit zu achten, ist auch ein Auftrag des Gewissens.

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