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Der Fall Barnes

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In dfin Dezemberwochen des vergangenen Jahres erschien im Londoner „Sunday Pictorial“ im Aufträge des Primas der eng- lichen Hochkirche, des Erzbischofs von Canterbury, Dr. Geoffrey Fisher, eine vom anglikanischen Bischof van Bradford, Dr. Alfred Blunt, verfaßte Artikelserie, die eine Widerlegung des vom anglikanischen Bischof von Birmingham, Dr. Barnes, geschriebenen Buches „The rise of Christianity“ darstellt und vorher in demselben Blatt abgedruckt worden war. Der Inhalt des Buches hatte Erzbischof Doktor Geoffrey Fisher schon früher einmal zu der öffentlichen Äußerung veranlaßt: „... Es ist nicht leicht, aus dem Buch zu entnehmen, welche Ansichten der Bischof von der Person unseres Herrn und seiner Beziehung zu Gott-Vater hat. Aber es ist sicher, daß sie nicht der Glaube der Kirche sind ... Wenn seine Ansichten die meinen wären, würde ich nicht fühlen, daß ich das bischöfliche Amt länger innehaben könnte...“

Der Erzbischof von York und der übrige anglikanische Klerus stimmten den Worten des Primas bei. Das Budi wurde Öffentlich als häretisch erklärt und dem Bischof die Niederlegung seines Amtes nahegelegt. Dieser aber lehnte diese Aufforderung rundweg ab, mit der Begründung, daß das Volk auf Seite seiner Ideen stehe.

I as Buch leugnet die Gottheit, die Wun der und die Auferstehung Christi und überhaupt alles übernatürliche der Heiligen Schrift. Die biblischen „Erzählungen“ seien auf Gerüchte, symbolische Schreibarten und literarische Ausschmückungen zurückzuführen.

„Die im Matthäus- und Lukas-Evangelium aufgezeichneten Begebenheiten der Geburt und der Kindheitsgeschichte Jesu seien lediglich erbauliche Legenden. In diesem Tone ist die ganze Bibelkritik des Bischofs durchgeführt.. Den Verfasser haben merklich die Ergebnisse der modernen wissenschaftlichen Exegese nicht erreicht. Aus den Diskussionen in englischen Zeitungen, die durch große aufgemachte Artikel über Bischof Barnes und sein Buch angeregt wurden, läßt sich manches entnehmen. Es offenbarte sich ein bewegtes Für und Gegen. Da konnte man Zuschriften lesen: „... Ich finde keinerlei Schwierigkeiten für meinen Glauben in Dr. Barnes Darlegungen. Mir ist jeder ehrliche Versuch willkommen, die Nebel und den Aberglauben einer veralteten Theologie wegzuschaffen ...“ Oder: „... Alle Kirchen brauchen dringend Leute wie Bischof Barnes. Durch die Entfernung des Aberglaubens und von überholten Anschauungen tritt besser Christi ursprüngliche Lehre zum Vorschein..."

Eine gewisse Erklärung gibt die Entwicklung der anglikanischen Kirche, in der sich bekanntlich um die Wende des 17. Jahrhunderts zwei Hauptgruppen herausbildeten: die „High-Church“ — die mehr traditionsgebundene, die die überwiegende Mehrheit hatte — und die „Low-Church" —, die streng protestantische. Beide verflachten im

18. Jahrhundert zu einer ziemlichen Inaktivität. Vor einem Jahrhundert begannen sich unter dem Einfluß des deutschen Rationalismus wieder neue Kräfte zu regen und es kam zu einer Umschichtung innerhalb des Gefüges der anglikanischen Kirche. Es stellt zwar nach wie vor ihren Haupt- . teil die High-Church dar, doch begann diese mehr und mehr auf die vorreformatorischen Traditionen zurückzugreifen. Viele alte Riten und Zeremonien wurden neu eingeführt. Aus der High-Church trat dann unter Führung von Keble, Pusey und Newman (dem nachmaligen römisch-katholischen Kardinal) eine Gruppe heraus, die sich „High-Anglicans“ und seit dem Übertritt Newmans und einer Reihe seiner Glaubensgenossen zur römisch-katholischen Kirche, auch „Anglo-Catholics“ nennt. Sie haben wieder Messe, Sakramente, Marien- und Heiligenverehrung und auch Ordensgemeinschaften cingefübrt und erkennen teilweise sogar den Primat des Papstes an, allerdings mit dem Vorbehalt, daß seine Stellung nicht auf die Einsetzung Christi gegründet sei, sondern aus der Tradition her. Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich an eine derartige Kirche in London, in der er nur durch die Notiz ,25. August-Messe für die Church of England" und eine aufliegende Oxfordbibel darauf aufmerksam wurde, daß er sich nicht in einer röm.-kath. Kirche befinde, denn es waren ein Tabernakel mit dem ewigen Licht, ein Muttergottesbild, Heiligenstatuen, zum Beispiel der heiligen Theresia vom Kinde Jesu, und ein Beichtstuhl vorhanden und Schriften der Catholic Truth Society, einer röm.-kath. Vereinigung zur Verbreitung religiöser Kleinschriften, aufgelegt; ein katholischer Priester aus Jugoslawien, der in einer solchen Kirche zur Beichte ging, bemerkte erst durch die englisch gesprochenen Absolutionsworte seinen Irrtum!

Als Reaktion auf diese Bewegung bildere sich als linker Flügel der „High-Church" eine kleine, stark rationalistische Gruppe unter der Führung von Gyrell, McCeib und Major, die sich „Modern Church" nennt. Nachdem sie schon alle Tradition über Bord geworfen und sich ausschließlich an die Bibel gehalten hatte, begann sie dann auch an deren Inhalt zu zweifeln und Stück für Stück daraus als „unecht, später eingefügt usw.“, loszulösen, sie leistet aber eine rege karitative und soziale Arbeit.

Dieser Richtung, die etwa 5 Prozent des anglikanischen Klerus ausmacht, gehört nun Bischof Dr. Barnes an. der 1923, bezeichnenderweise von einem schottischen Presbyterianer (Vertreter einer Kirche, die kein Bischofsamt anerkennt und in der die .Priester' von der Gemeinde gewählt und eingesetzt werden), dem Prime-Minister der ersten Labour-Regierung in England, Ramsey McDonald, eingesetzt wurde. Bischof Dr. Barnes stellt nun innerhalb dieser kleinen Gruppe wieder einen extremen Fal’ dar. Zu seinem Argument gegen den Verzicht auf den bischöflichen Stuhl — das

Volk stehe hinter ihm — ist zu sagen: ein verhältnismäßig großer Teil des englischen Volkes ist religiös gleichgültig, bewahrt aber eine Art ,natürliches Christentum', das heißt eine ziemlich gute sittliche Höhe und einen sehr stark ausgeprägten Sw für praktische, aktive Nächstenliebe. Unter diesem Gesichtspunkt hat Bischof

In memorial!;:

Dr. Barnes wirklich eine ziemlich große Anhängerschaft, besonders unter der jüngeren Generation. So ergab zum Beispiel die Rundfrage einer englischen Sor.ntagszeitung 53 Prozent für ihn. Diese Anhängerschaft gehört ihm aber viel weniger ob seiner religiösen Ansichten als wegen seiner sozialen und karitativen Tätigkeit.

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