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Rowan Williams, Erzbischof von Wales, wurde Ende Juli zum neuen geistlichen Oberhaupt der krisengeschüttelten Church of England ernannt.

Noch heuer wird die anglikanische Kirche, nicht nur für England selbst, sondern auch in Bezug auf die weltweit existierende "Anglican Communion" mit dem bisherigen Erzbischof von Wales, Rowan Williams, ein neues spirituelles Oberhaupt erhalten. Der mit einer Theologieprofessorin verheiratete Bischof ist mit seinen nur 52 Jahren der jüngste Inhaber dieses Amtes seit 200 Jahren. Seine Bestellung wird - mit wenigen Ausnahmen - allseits begrüßt, denn sie ermöglicht einen dringend notwendigen Kurswechsel in der Staatskirche, die sich in keiner guten Verfassung befindet, woran auch der derzeitige Amtsinhaber George Carey, sowie dessen Vorgänger Robert Runcie ihren Anteil haben.

Beide - so deren Kritiker - hätten versucht, Problemen aus dem Weg zu gehen und so im Sinne einer falsch verstandenen Zeitgeistigkeit die moralische Autorität der Kirche geschwächt. Das ging sogar so weit, dass der vor drei Jahren verstorbene, allseits geachtete und beliebte katholische Kardinal Basil Hume eher als spirituelle Autorität angesehen wurde als das Oberhaupt der "Established Church". Dem bärtigen Waliser Williams trauen viele hingegen zu, ein starker und charismatischer Führer zu werden, der der stark geschrumpften Herde neue Impulse geben könnte.

Absturz des Kirchenbesuchs

Die Probleme der Staatskirche sind mannigfaltig, allen voran der stetige und "demoralisierende" - so ein Kommentator - Rückgang der praktizierenden Gläubigen. Nach einer landesweiten Erhebung verzeichnen heute die Katholiken in England mit nur zehn Prozent der Bevölkerung mehr aktive Kirchgänger als die offizielle Staatskirche!

Mit dem Absturz des Kirchenbesuchs Hand in Hand geht auch die Erosion der Glaubensinhalte: eine aktuelle Erhebung unter 2.000 Angehörigen des Klerus der Church of England zeigt ein Bild der Beliebigkeit: Nur rund die Hälfte der weiblichen und 70 Prozent der männlichen Kleriker glauben. Der Report kommt zu dem Schluss, dass die Kleriker "rund 75 Prozent von dem, was sie sonntags predigen, selbst nicht glauben".

Kein Wunder, dass die anglikanische Bischofskonferenz konkrete Pläne ausarbeiten lässt, Abweichungen in "Lehre, Ritus und Zeremoniellem" durch spezielle Kirchengerichte zu verfolgen. Was für die einen Vorboten einer kirchlichen "Hexenjagd" sind, stellen für andere schlicht das letzte Mittel dar, einen gemeinsamen Nenner in zentralen Glaubensfragen zu finden. Sollte es aufgrund dieser Initiativen zu einem Verfahren kommen, dann wäre dies immerhin das erste Häresieverfahren in der Geschichte der Kirche seit 1847!

Damit verbunden sind enorme finanzielle Probleme, die eine Reduktion des Angebots bedeuten - ein Circulus vitiosus, der auch für Rowan Williams nicht leicht zu durchbrechen sein wird.

Die drei Reizthemen

Dazu kommen anhaltende Diskussionen zu den Themen Frauenordination und Homosexualität sowie auch eine zeitgemäße Neudefinition der Rolle einer Staatskirche am Beginn des 21. Jahrhunderts. Zu diesen drei Themen hat Rowan Williams wiederholt Stellung bezogen.

Er ist ein Befürworter der Frauenordination, die die Kirche nach wie vor stark polarisiert, und er hat sich auch für die Ordination von weiblichen Bischöfen - ein Thema das schon langsam virulent wird - ausgesprochen, will aber in dieser Frage nicht übereilt vorgehen.

Für gleichgeschlechtliche Partnerschaften sieht er "gute Gründe zur Anerkennung, wenn sie stabil sind", würde sie aber nicht als Ehe bezeichnen. Was homosexuelle Priester betrifft, konzediert er, bereits einmal einen homosexuellen Priesterkandidaten in Kenntnis der Umstände geweiht zu haben. Der Oberhirte gibt sich in dieser Frage pragmatisch und sieht keine Probleme mit Homosexuellen, solange sie dieses Thema nicht kampagnisieren.

Was die Frage der (verfassungs-) rechtlichen Stellung der Staatskirche betrifft, steht Williams für mehr Unabhängigkeit für die Kirche, konkret geht es um das Ernennungsrecht der Krone beziehungsweise des Premierministers sowie um die Vertretung der Bischöfe im Oberhaus. Williams, der selbst das Amt des Erzbischofs von Canterbury über Vorschlag des Premierministers erlangte, plädiert für ein Wahlkollegium bestehend aus Klerus und Laien.

Linker oder Kryptokatholik?

Ist der neue Mann im Lambeth Palace (dem Londoner Amtssitz des Erzbischofs von Canterbury) also ein radikaler Linker, wie ihn manche Traditionalisten sehen wollen? Oder ist er viel eher eine vielschichtige, interessante Persönlichkeit, die sich nicht so leicht nach den gängigen Schubladen kategorisieren lässt?

Seine kompromisslose Ablehnung der Abtreibung, seine Sympathien für die Ostkirche sowie auch für Elemente der katholi-schen Kirche, wie zum Beispiel die Marienverehrung und seine Spiritualität machen ihn wieder den Linken und Evangelikalen verdächtig.

Der Mann, der als Junger auch mit dem Gedanken gespielt hat in ein Benediktinerkloster einzu treten entzieht sich einfachen Punzierungen. Er hat einen akademischen Hintergrund als anerkannter Theologe, spricht fünf Sprachen und kann auf eine lange Liste von Büchern verweisen, dennoch versteht er es auch in einer Dorfkirche fesselnd und verständlich zu predigen, ist zugänglich und warmherzig und kann gut zuhören.

Er hat darüber hinaus ein waches soziales und moralisches Gewissen. Kenner bezeichnen ihn als glaubwürdige Führerpersönlichkeit, die "nicht in Klischees spricht und auch nicht die schnelle Schlagzeile und die einfache Popularität sucht", sondern als jemand, der sich seine Sache gut überlegt und auch vor kontroversiellen Themen nicht zurückschreckt.

So ist er dieser Tage insbesondere mit seiner Kritik an der staatlichen Schulpolitik sowie an der "konsumeristischen Ausbeutung" der Kinder und Jugendlichen aufgefallen, wobei er sich konkret den Disney-Konzern mit seinen überperfekten Merchandising-Kampagnen als Zielscheibe gewählt hat.

Auf neuer Mission

Bischof Williams hat das Amt nicht angestrebt ("Nur ein Verrückter würde diese Bürde anstreben" meinte er noch Mitte Juli), aber er wird es gewissenhaft und wortgewaltig ausüben, wenn er im Oktober im Rahmen einer komplexen Zeremonie in der Krypta der Kathedrale von Canterbury formell zum 104. Nachfolger des Hl. Augustinus gewählt werden wird.

Dieser wurde 597 von Papst Gregor dem Großen nach England geschickt, um die heidnischen Angeln und Sachsen zu missionieren. Möglicherweise war diese Aufgabe damals leichter als heutzutage in einer säkularisierten Umwelt gegen Beliebigkeit, Interesselosigkeit und Selbstgenügsamkeit wirksam aufzutreten.

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