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Kompro-mißlich

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„Ehen“ von Homosexuellen sind nur eines der umstrittenen Themen in der Anglikanischen Kirche, deren Primas immer öfter Entscheidungsschwäche vorgeworfen wird.

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„Ehen“ von Homosexuellen sind nur eines der umstrittenen Themen in der Anglikanischen Kirche, deren Primas immer öfter Entscheidungsschwäche vorgeworfen wird.

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Der anglikanische Primas Robert Runde ist 102. Erzbi-schof von Canterbury und damit geistiges Oberhaupt von 70 Millionen Gläubigen der anglikanischen Weltgemeinschaft. Im kommenden Juli werden Vertreter aller Schwesternkirchen, nach zehn Jahren wieder, auf der „Lambeth Konferenz“ Rechenschaft über ihre Rolle und ihren Glauben ablegen. Diese Aufgabe ist nicht leicht, zumal Erzbischof Runcie in der zutiefst geteilten Church of England selbst sehr umstritten ist. Hohe Prälaten er-

hoffen seinen Rücktritt, weil ihm die Fähigkeit oder der Wille fehlt, eindeutig zu sagen, woran seine Kirche zu glauben hat. Nicht ohne einen gewissen Neid blicken An-glikaner auf andere Kirchenführer, wie Kardinal Basil Hume oder Oberrabbiner Lord Jakobo-vets, die keine Zweifel an ihrem Credo freilassen.

Die Problematik liegt im Wesen des Anglikanismus. Seit ihrem Bestehen begreift sich die englische Hochkirche als eine „alles umfassende“ Glaubensgemeinschaft, eine „breite Kirche“, die eine Vielfalt von auseinandergehenden Auffassungen auf dem Wege von Toleranz und Konsens unter einen Mantel bringt. Sie ist Allianz von Tradition und Reform, umfaßt alle Schattierungen von politischer und sozialer Meinung, „von roten Dekanen bis zu

fuchsjagenden Pfarrherren“ („Daüy Telegraph“).

Niemand beneidet Runcie um seine Führung, steht er doch stärker als jeder andere Vorgänger auf dem Stuhl des Heiligen Augu-stus unter Druck, Klarheit in Sachen Glaube und Doktrin zu bringen. Bisher konnte die liberale Führung der englischen Staatskirche die Balance durch geschickten Kompromiß halten. Aber wie lange wird es noch dauern, bis die Festigkeitsgrenze überschritten und der Bruch Wirklichkeit geworden ist?

„Es wäre leicht, ein autoritärer Führer zu sein“, rechtfertigte sich der Erzbischof zu Ostern: „Ein Führer in der Art Jesu zu sein, ist indes eine viel schwierigere Rolle.“ Er versteht seinen Anglikanismus nicht als „Entweder-oder“, sondern als eine Kirche des „Sowohl-als auch“! Damit antwortete Runcie auf ein Ereignis im Herbst letzten Jahres, das die Church of England in vieler Hinsicht erschüttert hat.

Das anonyme Vorwort im Personalverzeichnis klagte die liberale Führung im allgemeinen, Robert Runcie im besonderen, der Konspiration an, das Wesen des Anglikanismus zu zerstören; es zieh ihn der Politik, Traditionalisten aus hohen Ämtern herauszuhalten. Er, Runcie, weiche jeder

tragenden Entscheidung aus oder überlasse sie anderen. Als die Autorenschaft des Vorworts in der Person des Oxford-Theologen Garrett Bennett ruchbar wurde, beging der Prälat Selbstmord. Für viele ist Bennett ein Märtyrer seiner Uberzeugung.

Die Attacke gegen Runcie setzt sich aus drei Strömungen zusammen: aus dem evangelischen Flügel, aus den Anglo-Katholiken und aus hohen Politikern der Konservativen Partei. Die Evangelischen behaupten, Runcie sei selbst das größte Hindernis für die Regeneration einer in die Bedeutungslosigkeit abfallenden Kirche. Unter Berufung auf die Heilige Schrift hat Reverend Hig-ton vor zwei Monaten auf der Synode gefordert, daß praktizierende Homosexuelle vom Prie-

stertum ausgeschlossen werden müßten.

In einer Südlondoner Pfarrei werden die „Ehen“ von Homosexuellen gesegnet, „bis daß der Tod uns scheidet“. Der zelebrierende Priester tritt für eine „neue Interpretation“ der Bibel im Sinne der modernen Psychologie ein. „Gay“ (homosexuelle) Priester treten reihenweise aus, weil sie eine Hexenjagd auf solchermaßen Veranlagte befürchten, und das sind nach den Aussagen des ebenfalls zurückgetretenen Geistlichen Je-remy Younger sehr viele. Die Synode hat das Problem nicht gelöst. Runcie ist für den Ausschluß promiskuitiver Anwärter vom Priestertum, nicht aber von „monogamen“ Homosexuellen: „Eine stabile Beziehung muß aufrecht erhalten bleiben, aber ohne jene Akte, die in der Bibel verdammt werden.“

In der wohl am schwersten wiegenden Problematik des Anglikanismus, der Frage der Zulassung von Frauen zum Priesteramt, glaubt Runcie allerdings, über kurz oder lang werde die Kirche dem Beispiel von einigen Schwesterkirchen folgen, in welchen Frauen bereits konsekrieren, Messen lesen, Sakramente spenden. Die Revolte, vielleicht sogar der Exodus, vor allem von Anglo-Katholiken, scheint damit unaus-weichbar.

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