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Begegnung mit dem Erzbischof von Canterbury

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The Most Reverend Dr. Geoffrey Francis Fisher, Erzbischof von Canterbury und Primas der Kirche von England, trug einen schlichten grauen Reiseanzug, als er in der vergangenen Woche die Wiener Journalisten empfing; man hätte den 66jährigen Mann mit der violetten Chemisette unter dem Kollar ebensogut für einen katholischen Prälaten halten können. Freilich zeigten die Ansichten, die er im Gespräch äußerte, sehr bald, wie weit der Weg vom Lambeth-Palace zum Vatikan noch immer ist — trotz aller Verständigungsbemühungen, die gerade in den letzten Jahren von führenden Köpfen beider Seiten, darunter auch von Erzbischof Dr. Fisher selbst, immer wieder unternommen worden sind.

Die anglikanische Kirche — oder zumindest der „High Church“ genannte Teil des anglikanischen Gemeinwesens, der, im Gegensatz zu der sich dem Presbyterianismus nähernden „Low Church“, die katholischen Traditionen pflegt — hat niemals den Anspruch aufgegeben, die wahre katholische Kirche zu sein. Freilich erinnert dieser Anspruch, wie die katholische Wochenschrift „The Tablet“ in London einmal mit trockenem britischen Humor festgestellt hat, an jene berühmte Schlagzeile der „Times“, als starker Nebel den Kanal bedeckte: „Kontinent isoliert.“ Trotzdem darf man nicht verkennen, daß sich in der anglikanischen Kirche katholisches Glaubensgut, freilich an Intensität von Pfarre zu Pfarre verschieden, in hohem Maße erhalten hat. Es sei daran erinnert, welch eindeutige Haltung die maßgeblichen anglikanischen Kreise einnahmen, als der Herzog von Windsor, als Prinzessin Margaret geschiedene Partner ehelichen wollten — eine fast paradoxe Haltung für Würdenträger einer Kirche, die ins Leben gerufen wurde, um einem britischen König Scheidung und Wiederverehelichung zu ermöglichen. In allen protestantischen Kirchen war zuerst die Häresie und dann eist das Schisma; in der anglikanischen Kirche war zuerst das Schisma, und die Häresie kam erst im Laufe der Jahre hinzu. Erzbischof Dr. Fisher erklärte in Wien wieder mit Nachdruck, daß die anglikanische Kirche „fully catholic“ sei — ebenso katholisch wie etwa die orthodoxe Kirche katholisch sei. Als Charakteristikum des Katholizismus erscheint dem Erzbischof die apostolische Sukzession, die er Rom ebenso zuzubilligen bereit ist wie Moskau — unter der (stillschweigenden) Voraussetzung, daß auch die apostolische Sukzession in der anglikanischen Kirche anerkannt wird.

Canterbury empfindet gegen Rom eine. Art Haßliebe, der Erzbischof Dr. Fisher auch in Wien sehr ostentativ Ausdruck gegeben hat: „Wir sehen in vielen Teilen der Welt eine unschöne Seite der katholischen Kirche, indem diese die Freiheit der anderen Kirchen unterdrückt. Dennoch bewundere ich die katholische Kirche in mancher Hinsicht und war in den letzten zwei Jahren sehr bemüht, einen engeren Kontakt mit ihr herzustellen. Fortlaufend finden Diskussionen zwischen anglikanischen und katholischen Theologen statt.“

Der Passus, in dem von „Llnterdrückung“ die Rede ist, wirkt zunächst wie eine unüberlegte, Taktlosigkeit, er ist aber mehr: Er zeigt das fundamentale Mißverständnis auf, das auf anglikanischer Seite herrscht. Mit dem typisch britischen Sinn für das „Praktische“ wird nach einem Kompromiß auch in Glaubensdingen gesucht; und die Weigerung der Katholiken, ein Kompromiß in Glaubensdingen auch nur in Erwägung zu ziehen, wird als. „Hochmut“ und „Unterdrückung“ aufgefaßt. Am 31. Oktober 1949 war in der „Times“ ein Artikel erschienen, in dem eine Einigung, zwischen Anglikancrn und Katholiken angeregt wurde, wobei zwischen „wesentlichen“ und „unwesentlichen Dogmen“ unterschieden werden sollte; die katholische Antwort, daß sich die Glaubenslehre der Kirche nicht in wesentliche und unwesentliche Teile zerteilen lasse, führte auf anglikanischer Seite zu starker Enttäuschung. Natürlich war, zumindest in den Augen mancher anglikanischer Geistlicher, der „böse Papst“ schuld — wer sonst sollte schuld sein? Die Verpflichtung der Kirche, da Glaubensgut unverfälscht zu wahren, wird nicht verstanden.

Nicht einmal Erzbischof Dr. Fisher, ein auch theologisch hochgebildeter Mann, scheint dai richtige Verständnis dafür aufzubringen. Mit einem gewissen Stolz bekannte er sich dazu, daß „in der anglikanischen Kirche jeder frei seine Meinung sagen darf, ohne Drohungen und Strafmaßnahmen befürchten zu müssen“. Dieser protestantische Standpunkt führt dann etwa dazu, daß der Dekan von Canterbury, Doktor Hewlett Johnson, der es unter der Spitzmarke „red dean“ als Fellow-Traveller der Kommunisten zu trauriger Berühmtheit gebracht hat, ungestört sein Wesen treiben darf ...

„Wir sind alle Brüder in Christo“ klingt sehr gut; aber wer soll Christi Willen interpretieren, wenn nicht die Kirche?

Nun hat es die anglikanische Kirche allerdings gerade in dieser Frage besonders schwer. Sie ist eine Staatskirche und ihre Bischöfe werden vom König auf Vorschlag des Premierministers ernannt, der selbst nicht Anglikaner, ja nicht einmal Christ zu sein braucht. Ihr Glaubensgut ist nur im „Book of common prayer“, dem offiziellen Gebetbuch, zusammengefaßt, weil der Grundsatz gilt, daß Lex Orandi gleich Lex Cre-dendi, das Gesetz des Betens gleich dem des Glaubens sei; im übrigen aber glaubt jeder, was ihm richtig dünkt. So bedient man sich des altchristlichen Begriffes der „communio“, um die Einheit der angeblich „katholischen“ Kirche doch wenigstens in der Theorie aufrechterhalten zu können.

Unter „communio“ verstanden die frühen Christen das einigende Band, das die Gläubigen und besonders die Bischöfe zur einigen und einen Kirche zusammenschließt, eine ebensowohl mystische wie rechtliche Verbindung der Kirche und ihrer Glieder. „Wir wollen zu den anderen Kirchen stehen wie etwa die Kirche in Korinth zu den anderen katholischen Gemeinden der damaligen Welt“, erklärte Erzbischof Dr. Fisher etwas unglücklich, als er auf die „communio“ zu sprechen kam. Beispiel: Denn gerade an die Kirche von Korinth war jener erste Clemensbrief adressiert, der als eines der frühesten Zeugnisse für den auch in der Ur-kirche anerkannten Primat des Papstes gilt.

Es macht sich in der anglikanischen Kirche eine zunehmende Unsicherheit bemerkbar, die auf lange Sicht zum völligen Verlust des christlichen Bewußtseins führen kann. Schon 195 3 warf der anglikanische Erzbischof von York, Cyrill Carbett, in einem vielbeachteten Buch „In an Age of Revolution“ die Frage auf, wann England aufgehört habe, ein christliches Land zu sein. Etwa die Hälfte der britischen Bevölkerung dürfte eine Kirche noch nie von innen gesehen haben. Diese Entwicklung versucht die anglikanische Kirche durch die Aufnahme der „communio“ zu möglichst vielen Kirchen aufzuhalten. So trat Erzbischof Dr. Fisher — der gleiche anglikanische Erzbischof übrigens, von dem die Anordnung stammt, daß in anglikanischen Kirchen für die katholische „Kirche des Schweigens“ im Osten gebetet wird — in Wien auch für eine Annäherung an die russisch-orthodoxe Kirche ein, von der er ganz unrealistisch behauptete, sie verfüge „auf kleinem Raum über große Freiheit“. Auch sonst betonte er, es sei überhaupt ein Charakteristikum der englischen Kirche, daß sie mit allen Kirchen in Freundschaft leben wolle. Bedauerlicherweise seien die diesbezüglichen Bestrebungen jedoch hinsichtlich der katholischen Kirche viel langsamer vor sich gegangen als dies bei anderen Kirchen der Fall gewesen ist. Begreiflich, denn die katholische Kirche konnte mit den Anglikancrn nicht auf gleich und gleich verhandeln, wie dies den protestantischen Kirchen ohne weiteres niöglich war Aber die Bemühungen von beiden Seiten gehen weiter - und auch de Konversionen nehmen seit Jahrzehnten von Tag zu Tag zu. Schon sind acht Prozent der englischen Bevölkerung - katholisch. Es gibt Leute, die eine vollständige Rekatholisierung des Landes innerhalb der nächsten hundert lahre vorhersagen. Auch anglikanische Rischöfe gehören dazu, die erst jüngst wieder ihre Sehnsucht ,mch Finning bekundet hahen. Vielleicht wird England eines Tages wirklich „fully catholic“ sein, wie es der Primas schon jetzt bezeichnet?

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