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DER PRIMAS VON ENGLAND / BECKETS NACHFOLGER

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DDr. Ceoffrey Francis Fisher, der vor fünfzehn Jahren inthronisierte Primas von All-England, fühlt sich als der 99. Erzbischof von Canterbury. Der erste Bischof der anglikanischen Kirche zählt den Begründer der englischen Hierarchie, den von Gregor dem Großen entsandten heiligen Augustinus, ebenso zu seinen geistlichen Vorgängern wie ien heiligen Thomas Becket, der im Kampf um die Rechte einer von staatlicher Bevor-mundung freien Kirche einst den Martertod erlitt. Das Oberhaupt seiner Kirche — der jeweilige Träger der britischen Krone — erhielt den Titel eines Glaubensverteidigers vom Papst verliehen, als es sich in Gestalt Heinrichs VIII. im Kampf gegen die Lehre Luthers hervortat. Man könnte sagen, daß der Erzbischof von Canterbury unter allen nichtkatholischen Christen der Lehre und Glaubensauffassung nach dem Papst am nächsten stehen müßte, daß die Jahrhunderte der disziplinarisch-politischen Trennung seit Heinrich VIII. leicht wiegen angesichts eines runden Jahrtausends, da die Söhne Englands zu Rom als treue und fähige Mitstreiter geschätzt wurden (eine der entschiedensten Päpste des Hochmittelalters, Hadrian IV., entstammt ihrem Volke), da die Insel der christlichen Welt jene Missionäre schenkte, die durch Jahrhunderte hindurch dem Kontinent den Glauben brachten und ihr Leben mit dem Märtyrerblut besiegelten.

Und doch liegen die nachreformatorischen Jahrhunderte wie ein schwerer dunkler Schatten zwischen Rom und Canterbury. In England lebt das „Historische“ im guten wie im schlechten Sinne dauerhafter und lastender als anderswo im umsturzgewohnten Europa. Eine jüngere und jüngste Vergangenheit hat sich zwischen die Tage des Bonifatius und des schutzßehendeu Bischofs Thomas Becket und das Heute geschoben. Das Leid des verfemten Kardinals Newman, aber auch der feierliche Protest des anglikanischen Christen Gladstone gegen die Unfehlbarkeitserklärung des Papstes, ist mit ihr verbunden. Erzbischof

Fisher, der persönlich weder zum „katholi-sierenden“ Flügel seiner Kirche noch zu den unversöhnlichen Romfeinden in seiner der Vielgestalt der Meinungen weiten Raum gebenden Kirche gehört, hat diese Vergangenheit in diesem oder jenem Kommentar zu spüren bekommen, der seine Reise, die ihn ja nicht nur nach Rom, sondern auch in den christlichen Orient führte, begleitete. Er mußte der ihm parlamentarisch zur Seite stehenden Kirchenversammlung ausdrücklich versichern, daß er kein „Komplott“ im Vatikan“ plane. Der Vorsitzende des Klerus-Hauses dieser kirchlichen Kammer, Kanonikus Brierley, verabschiedete ihn dann mit der Versicherung, daß die „Gebete und Gedanken eines völlig einigen Hauses mit ihm sein würden“. Gerührt dankte der Erzbischof für diese Kundgebung einer Kirchenversammlung, von der er sagte, daß er „sie heiß liebe und nicht wenig unter ihr zu leiden habe“.

Vor wenigen Jahren noch wäre sein Empfang in Rom nicht ohne protokollarische Schwierigkeiten möglich gewesen. Seit den Tagen Leos XIII. ist die Frage nach der sakramentalen Gültigkeit der englischen Bischofsweihen in der Reformationszeit, die ja Grundlage der apostolischen Nachfolge wäre, zwar immer wieder debattiert, dennoch aber nicht eindeutig positiv entschieden worden. In dem neuen Klima, das Johannes XXIII. in den zwei Jahren seines Ponti-fikats zu schaffen wußte, werden diese Fragen nicht im Vordergrund stehen. Er hat dem englischen Mitbruder im Bischofsamt die zeremonielle Audienzzeit von einer halben Stunde reserviert. Aber er hat die Wichtigkeit dieses Besuches demonstrativ betont, indem er ihn während der traditionellen Exerzitien-Fishers Reiseweg nach Rom führt und indem er seine eigene Einkehrzeit um dieses Besuches willen freiwillig unterbrach.

Das erst in den letzten Jahren erlernte Englisch des Papstes wird vielleicht nicht formvollendet klingen, wenn er den Erzbischof begrüßen wird. Aber die christliche Welt betet darum, daß der Brite, der den Familiennamen eines Märtyrers für die Freiheit der Kirche in seinem Lande trägt, zwischen den Worten den Geist wahrnehmen möge, aus dem heraus sie gesprochen werden.

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