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Die Jugend Papst Leos XIII.

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Am späten Nachmittag des 20. Juli 1903 trug der Draht in die Welt die Nachricht hinaus, daß Papst Leo XIII. am gleichen Tag um vier Uhr nachmittags, im 93. Lebensjahr, in die Ewigkeit eingegangen sei. Die Zeitungen der Welt, katholische, protestantische, liberale, zogen die längst vorbereiteten Leitartikel heraus und jagten sie durch die Rotationsmaschinen. Freunde und Gegner, sie alle anerkannten in den Nachrufen dieser Stunde die überragende Bedeutung des Verstorbenen, seine Frömmigkeit, seine Weisheit, seine Toleranz, seine Freundschaft zur Wissenschaft, sein großes Verständnis für die soziale Frage, seine Re-gicrungskunst, seinen Mut, allen Problemen in die Augen zu sehen. Kaum einer dieser Leitartikler gedachte in besonderer Weise der Jugend des Verstorbenen. Und doch ist es ungeheuer interessant, diese Jugend zu kennen, um zu sehen, welche Wandlungen der spätere Papst durchmachen mußte, ehe er jener große und weise und tieffromme Nachfolger des hl. Petrus wurde, als der er fortlebt in der Geschichte und im Andenken der Menschen.

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Es war eine seltsame Zeit, in der Joachim Pecci, der spätere Papst, geboren wurde, und es ist eine seltsame Familie, aus der er stammt. Am 2. März 1810 erblickt er das Licht der Welt. In Carpineto, einem „elenden Felsennest“, wie er es später nennt, das südlich von Rom, auf tausend Meter Höhe gelegen, nur von armen Hirten, Bergbauern und Handwerkern bewohnt wird! Hier besitzen die Peccis einen kleinen Palazzo, zwei Stock hoch, sechs Fenster in der Front. Sie werden allgemein als Grafen, tituliert, obwohl sl% gar keine sind. In Wirklichkeit stammen die Peccis von Sieneser Patriziern ab. Bis weit ins 13. Jahrhundert läßt sich die Familie in Siena nachweisen. Sie zählten zu den reichen und angesehenen Bürgern dieser Stadt, teils waren sie Bankiers und Geldwechsler, teils auch Advokaten. Ein paar Mönche, ein Bischof, ein Feldherr finden sich noch unter der Ahnenreihe. Als Siena unter die Herrschaft von Florenz kam, wanderten die Peccis aus, kauften sich im Päpstlichen an und blieben seither dort.

Positives und Negatives übernimmt Joachim Pecci aus diesem Erbe. Die große * Klugheit und Beobachtungsgabe dieser Sieneser Advokaten scheint schon in seiner Jugend auf. Immer wieder fragt sich der junge Pecci, was in dieser und jener Situation die Klugheit und die Vernunft für ein Handeln gebieten. Die Vernunft wird es sein, die dem Einbruch der Gnade Raum verschafft, die Vernunft und die Klugheit wird sein Handeln als Papst bestimmen und die große Versöhnung von Wissen und Glauben einleiten. Und von seinen Vorfahren, den Sieneser Bankiers, übernimmt er auch das Talent, rechnen zu können. Er ist ein genauer Rechner sein Leben lang. Wenn es die Situation gebietet, wird er das Geld mit vollen Händen ausgeben, aber ein sinnloses Verschwenden bleibt ihm immer fremd. Schon als Student führt er genau Buch über Einnahmen und Ausgaben, ist er ein Feind aller Schulden. Als Papst Leo XIII. wird er ein Gegner aller Sinekuren sein.

Aber auch Negatives bietet dieses Erbe genug. Diese Peccis sind keine reichen Patrizier mehr, noch sind sie reiche Aristokraten. Sie sind arme Leute, die gern das Leben von reichen .Herren führen möchten. Im Grunde genommen sind sie Deklassierte. In solcher Lage flammt nur zu leicht ein brennender Ehrgeiz auf und der Wunsch, durch den „Willen zur Macht“ all das zu .erlangen, was einem das Schicksal vorenthalten hat. Aber auch dieses Erbe wird der spätere Papst schöpferisch verwerten können: durch sein Familienschicksal besitzt er einen besonderen

Instinkt für die modernen Deklassierten, das städtische Proletariat.

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Als der junge Joachim Pecci geboren wurde, wütete schon seit zwei Jahrzehnten der Krieg Frankreichs und Napoleons in Europa. Bis in dieses kleine Felsennest reichten seine Auswirkungen. 1792 war der Vater Joachim Peccis zum Obersten der päpstlichen Milizen für Carpineto, Maenza und Gavi-gnano ernannt worden. Im Palast der Pecci hängt noch ein Bild, das den Grafen Ludo-vico in der päpstlichen Uniform zeigt: in blauem Rock, rot und gold gestreift, mit Spitzenkrause, mit silbernen Epauletten und

Degen, auf dem Haupt die gepuderte Perücke, der Typus eine Grandseigneurs des ausgehenden Jahrhunderts. Jetzt, im Jahre der Geburt des Joachim Pecci, ist Ludovico nicht mehr Oberst. Denn sein Landesherr, der Papst, ist ein Gefangener Napoleons. Das Anerbieten der bonapartistisch-italienischen Regierung, Bürgermeister von Carpineto zu werden, hat er entrüstet abgelehnt.

Fünf Söhne und zwei Töchter hatte die Frau des Grafen Ludovico schon zur Welt gebracht, als sie den kleinen Joachim gebar. Sie war eine kleine, dicke Frau, eine echte römische Matrone, mit einem ängstlichen Blick in den Augen, nicht nur sehr intelligent, sondern auch sehr fromm.

Diese Mutter hat im Leben des jungen Pecci ein entscheidendes Ereignis herbeigeführt, seinen Eintritt in den geistlichen Stand. Es war ihr Herzenswunsch, daß einige ihrer Kinder Priester würden. Schon den kleinen Joachim suchte sie dazu zu überreden. Mit sieben Jahren war er nach Viterbo zu den Jesuiten in die Erziehung gekommen; mit Hilfe eines befreundeten Prälaten versucht die Mutter, ihren Sohn Joachim zu überrumpeln und ihm die Tonsur erteilen zu lassen. Aber der Knabe weigert sich, er will nicht schon jetzt den Talar tragen und von seinen Kameraden mit Hochwürden angeredet werden, er will noch Kind bleiben. Aber einige Jahre später ge-

lingt es ihr doch, ihn zur Einwilligung in den Priesterberuf zu bewegen. Es ist 1824. Die Mutter des jetzt 14jährigen Joachim ist am römischen Fieber erkrankt, sie reist nach Rom, um Heilung zu finden, wird aber dort so krank, daß ihr Ende herannaht. Schnell läßt sie sich noch Joachim aus Viterbo kommen, und dem Zureden der sterbenden Mutter ist Joachim, der ein gutes Herz hat, nicht mehr gewachsen. Er beugt sich ihrem Wunsch, wenn auch mit Zaudern, läßt sich den Talar und den dreieckigen Hut bringen und empfängt die Tonsur.

Der berühmte Leo XIII. ist also nicht aus eigenem Antrieb Priester geworden. Die ganze Jugendzeit hin bis zu seiner Priesterweihe ist nirgends auch nur ein Wort zu finden, aus dem hervorgeht, daß er sich innerlich zum Priestertum berufen fühlte.

Wohl wird er sich immer korrekt aufführen, nie wird ein Schatten auf sein Theologenkleid fallen, aber dies geht nicht so sehr aus Liebe zu seiner Berufung hervor, sondern aus seinem Wunsch, durch tadellose Aufführung seinen Vorgesetzten zu gefallen und deren Protektion zu erringen. Nie allerdings geht auch aus den Briefen hervor, daß ihm sein Stand in seiner Jugend irgendwelche Schwierigkeiten bereitet hätte. “Nie hört man etwas von Zweifeln, von Kämpfen, von einem Ringen, wie es das Leben so vieler Heiligen erfüllt hat. Kaum schreibt er in seinen Briefen etwas über Religion. Als 1825 in Rom das Heilige Jahr alles Leben beherrscht, spricht Pecci nur über die illustren Gäste, die die Hauptstadt der Christenheit besuchen. Nie ist in seinen Briefen ein Wort über Askese zu lesen oder über die Gefahren, die dem Katholizismus von Seiten der Mächte des 19. Jahrhunderts drohen. Nie spricht er auch davon, daß er Seelen retten oder alles zur größeren Ehre Gottes tun will. Im Gegenteil, aus allen seinen Briefen (und er hat viele Briefe geschrieben, teils kühle und höfliche an seinen Vater, teils freundliche und herzliche an seine Brüder) tönt immer wieder nur ein Bekenntnis: Daß er durch seinen Beruf eine Laufbahn einschlagen will, die ihm und besonders auch seiner Familie Ehre und immer wieder Ehre

einbringen soll und sie — man hört die Deklassierten — erhöhen möge.

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Die letzten Gymnasialjahre hatte Pecci am Römischen Kolleg in Rom verbracht, dann war er zu seinem Onkel, einem römischen Advokaten, gezogen und hatte begonnen, Theologie zu studieren. Seine geheime Sehnsucht ging danach, auf die Adeligenakademie zu kommen, auf jene Akademie, aus der die künftigen Nuntien und die hohen Verwaltungsbeamten hervorgingen. Aber um dorthin zu gelangen, mußte man ein Adeliger sein und hohe Protektion besitzen. Mit viel Arbeit und viel Mühe bringt der junge Joachim Pecci einen Stammbaum zusammen, der nachweist, daß die Peccis von sienesischen Patriziern abstammen und somit eigentlich den römischen Adeligen gleichgestellt sind. Aber dann müssen noch die Adeligen Agnanis zustimmen und der Papst sich einverstanden erklären, und dann erst sind die Peccis wirklich Adelige des Kirchenstaates. Um sich aber die Protektion hoher Gönner zu erringen, setzt er das einzige Vermögen ein, das er besitzt, seinen Verstand und seine Klugheit. Er ist kein Hocharistokrat, dem schon als Kind ein Bistum in die Wiege gelegt wird, er hat keinen Onkel, der Kardinal ist, er muß sich alle Verbindungen erst schaffen. Er kann sie sich nur schaffen, indem er auffällt. Und auffallen kann man in Rom nur, wenn man als Sieger aus den theologischen Disputationen hervorgeht.

Der junge Pecci studiert Tag und Nacht, um alle Disputationen bestehen zu können; er scheut kein Geld, um Kardinäle, Prälaten und Professoren einzuladen, bleibt den heißen Sommer über in Rom, nur um zu studieren. Langsam fällt er auf. Langsam steigt er höher. In Viterbo hat er sich eine Kenntnis der lateinischen Sprache angeeignet, die verblüffend ist. Latein wird seine eigentliche Muttersprache, das Italienische sinkt zu einem Dialekt herab. Hier in Rom nun stößt er auf ein Gebiet, das ihn für alle Disputationen besonders geeignet macht. Es ist die scholastische Theologie und besonders die Theologie des hl. Thomas, die er sich ganz aneignet und deren scharfe und logische Deduktionen ihm besondere Hilfe leisten.

Endlich werden die' Kardinäle auf ihn aufmerksam und dank vieler Hilfe kommt er in die Adeligenakademie. Der Anfang einer glänzenden Karriere scheint erreicht.

Der zukünftige Prälat beginnt sofort, sich für den Beruf eines Nuntius „einzuschießen“, wie die Artilleristen sagen würden. Seine Briefe, die er zahlreich an seine Verwandten schickt, haben schon seit langer Zeit sehr plastischen Berichten geglichen. Jetzt neh men sie allmählich die Form von Gesandtschaftsberichten an. Der junge Pecci schreibt über alles: iiber die Fürstenbesuche in Rom; über die Cholera; über die Pferderennen; über den römischen Karneval; über den Tod hoher Prälaten und Kardinäle und gar der Päpste; über die Aussichten der „Papabili“; über die Gerüchte, die aus dem Konklave in die Außenwelt dringen; über die Feigheit päpstlicher Beamten, über die Franzosen in Ankona und die Oesterreicher — er nennt sie noch die „Tedeschi“ — in Ferrara; über den Aufstand der Polen in Warschau und die Revolution in Paris; über die Operationen der englischen Flotte in Malta, kurz über alles mögliche. In Wirklichkeit aber enthalten diese Berichte, so plastisch sie zu sein scheinen, doch nur Oberflächliches. Kein Wort findet sich darin von den großen Anliegen der Kirche, kein Wort von den nationalen Gedanken, die Italien entflammen, kein Wort von den sozialen Erfordernissen der Zeit, kein Wort über • die schlechte päpstliche Verwaltung im Kirchenstaat. Es zeigt sich ein Beobachtungstalent, das noch ganz die Oberfläche mit der Tiefe ver-> wechselt.

Die vielen Erfolge bei den Disputationen machen Gregor XVI., den damaligen Papst, auf den jungen Akademiker aufmerksam. Rasch wendet er ihm sein besonderes Wohl-

wollen zu. Gregor, ein müder Greis, ehemaliger Aristokrat und Mönch, zu alt, um in den verworrenen Verhältnissen des Kirchenstaates Ordnung schaffen zu wollen, hat seine Freude an diesem jungen Mann, der so fleißig und so gescheit ist, der so bescheiden und so formvollendet sich bewegt, der so konservativ und so antiliberal ist. Noch vor der Priesterweihe ernennt er ihn zum päpstlichen Hausprälaten. Der junge Pecci jubelt. Der Glanz der Familie ist erhöht und seine Laufbahn um ein gutes Stück weitergebracht. Aber schon bemüht er sich, ' weitervoranzukommen. Er will Ko-adjutor eines Kanonikus vom Lateran werden. Inzwischen naht die Zeit seiner Priesterweihe. Am letzten Tag des Jahres 1837 wird sie Joachim Pecci gespendet.

Und jetzt, knapp vor der Priesterweihe, erlebt Joachim Pecci sein Damaskus. Ohne eigenen Antrieb zum Theologen bestimmt, wollte er diese Laufbahn einschlagen, um der Familie und sich selbst Ruhm und Ehre zu erringen. Er hatte seinen größten und wertvollsten Besitz — seinen Fleiß und seinen Verstand — eingesetzt, um dieses Ziel erreichen zu können. Mit unendlichem Fleiß hatte er seinen Verstand geschärft und im Denken geschult, zuerst mit Hilfe der lateinischen Sprache und dann mit Hilfe der scholastischen Theologie des Aquinaten. Während alles sich vergnügte oder der Erholung pflegte, war er ruhelos über den Büchern gesessen oder war mit wachen Augen durch die Welt gegangen. Jetzt. war dieser Verstand nicht mehr zu betrügen. Jetzt arbeitete dieser Verstand von selbst weiter. Und jetzt machte dieser Verstand Joachim Pecci bereit, die Berufung Gottes zu empfangen.

Sein Verstand erkannte plötzlich, daß das Priestertum wohl etwas ganz anderem zu dienen habe, als der eigenen Karriere und dem Ruhm der Familie. Fünfzehn Jahre hindurch waren Jesuiten seine Lehrer gewesen, fünfzehn Jahre hindurch war ihr Wahlspruch „Ad maiorem gloriam Dei“ ungehört an seinem Ohr vorbeigegangen. Jetzt erkannte er die ganze Größe solcher Berufung. Jetzt machte er sich diesen Wahlspruch ganz zu eigen und erkennt, daß das Priestertum dazu da sei, „vor allem Gott zu dienen und die größere Ehre Gottes zu fördern“. Jetzt nimmt er sich vor, „ein wahrer Priester zu sein, in dem Sinn, wie es der hl. Ignatius verstand“. Ja, er hegt den heißen Wunsch, daß alle „seine Würden der priesterlichen Würde untergeordnet seien“. Wenn man auch überall der Kirche, auch als päpstlicher Beamter, dienen könne, so „zerstreut sich doch der Geist bei allen diesen weltlichen Obliegenheiten, und das trägt nicht wenig dazu bei, daß das Herz dem erhabenen Zweck des Priestertums abgewandt wird“. Denn „diese Welt kann kein hinlängliches Glück bieten, um das Herz zu befriedigen“, schreibt er an Kardinal Sala. Ja, sein eigentlicher Wunsch wäre, wie er weiter in dem gleichen Brief bemerkt, die Welt zu verlassen und sich ganz dem geistlichen und inneren Leben zu widmen. Und als er die Priesterweihe empfängt, wünscht er nichts anderes mehr, als nur mehr der Ehre Gottes zu leben.

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Mit der Priesterweihe ist die Jugend des künftigen Papstes abgeschlossen. Dennoch muß ein kurzer Blick auf sein weiteres Leben geworfen werden. Denn wohl ist seine Jugend zu Ende, nicht aber sein Damaskus. Zunächst noch, als er hört, daß er Delegat, also päpstlicher Gouverneur von Benevent werden soll, ist er sehr unglücklich. Er, der immer darauf bedacht war, jede Protektion in Anspruch zu nehmen, rührt keinen Finger, um dieses hohe Amt zu erlangen. Aber dann, als er es doch erhält, „zerstreut sich sein Geist bei diesen weltlichen Obliegenheiten“. Entzückt schon schreibt er nach Hause, daß jetzt die Wachen vor ihm ins Gewehr treten müßten, wie vor einem Fürsten. Er beweist eine glückliche Hand als Gouverneur, sein Stern, sein weltlicher Stern steigt. Von Benevent kommt er nach Perugia und dann folgt der große Sprung: Mit 33 Jahren wird er Titularerzbischof von Damiette und Nuntius in Brüssel.

Aber die Nuntiatur, die zu den höchsten Hoffnungen Anlaß gab, wird sein Verhängnis. Seine Mission erlitt vollständigen Schiffbruch, ja er mußte abberufen werden. Gregor XVI. versuchte, den jungen Prälaten zu trösten, versetzte ihn als Erzbischof nach Perugia, wo er schon als Delegat so viele Erfolge hatte, und versprach ihm das baldige Kardinalat. Als Joachim Pecci von Belgien über England heimreiste, erreichte ihn die Nachricht vom Tode Gregor XVI., seines großen Förderers. Die Nachricht muß

Joachim Pecci schwer getroffen haben. Er, der schon als Theologe seinem Bruder geschrieben hatte, daß „Protektion in Rom eine der unerläßlichen Bedingungen einer Karriere“ sei, hatte nun alle Protektion verloren. Denn der neue Papst würde andere bevorzugen. Pecci würde Bischof von Perugia bleiben, wahrscheinlich ein Leben lang. Was war das schon, Erzbischof von Perugia, ein italienischer Bischof unter rund dreihundert anderen?

Aber in Wirklichkeit begann jetzt der Aufstieg Joachim Peccis, der Aufstieg zur Heiligkeit. Denn Gott schickte ihn in die „Quarantäne“, zweiunddreißig Jahre lang, ein ganzes Menschenalter. Und diese Jahre wandelten Joachim Pecci endgültig, Wieder war es sein Verstand, der ihn die eigentlichen Erfordernisse seines neuen Lebens erkennen ließ: daß das Wesen des Bischofsamtes nicht darin bestehe, den Träger zu, erhöhen, sondern Gott zu verkünden. Und daß es für die Ewigkeit nicht entscheidend sei, was man für eine Karriere gemacht, sondern daß man den Platz, auf den man berufen wurde, ganz ausgefüllt habe.

In Perugia wird Joachim Pecci zu dem weisen, gütigen und tieffrommen Mann, als • den ihn die Nachwelt kennt. Er, der einst Karriere machen und herrschen wollte, wird jetzt ein Diener aller. Er, der sich einst ein Imperium erobern wollte, will jetzt nur

mehr die Herrschaft Gottes verbreiten. Er, dessen scharfes Auge einst blitzartig alles an der Oberfläche erkannt hatte, dringt jetzt in die Tiefe und erkennt die Nöte und Leiden der Menschen. Er, Joachim Pecci, der einst sein Reich erobern wollte, sucht jetzt nur mehr das Reich seines Herrn. Und jetzt.. ., wird ihm plötzlich alles dazugegeben. Langsam beginnt sein Ruhm zu steigen, von selbst und ohne die geringste Protektion. Diese kleine Gestalt strahlt ein seltsames Fluidum aus, das allen Ehrfurcht einflößt, sogar den laizistischen und freimaurerischen Beamten des neuen Italien. Innerhalb der kirchlichen Hierarchie macht er viel schneller Karriere, als er es sich je unter Zuhilfenahme der größten Protektion träumen ließ. Schon 1854 wird er Kardinal und gewinnt das Ohr und das Vertrauen des neuen Papstes. Schließlich wird er Camerlengo. Und noch zu Lebzeiten Pius IX. spricht man davon, daß er Papst werden könnte.

*

Ein alter theologischer Grundsatz lautet: Gratia supponit naturam. Die Wandlung, welche Joachim Pecci vom ehrgeizigen „Arrive“ zum großen Papst erfuhr, bezeugt, wie sehr die Gnade den Menschen verwandelt und heiligt. Die Wandlung dieser Persönlichkeit ist aber auch ein Beweis dafür, wie sehr der Wille des Menschen sich dem Willen Gottes ergeben muß, damit Seine Gnade ihn zu verwandeln vermag.

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