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Das Imperium

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Nietzsches Feindschaft gegen das Christentum war zum Teil sein aus Gibbon genährter Wahn, der Untergang des römischen Imperiums sei die historische Schuld des Christentums gewesen. Das Römerreich war ihm die höchste politische Organisationsform der Menschheit, ja der Gipfel aller Staatskunst überhaupt.

In der Tat, das Imperium war ein stolzer Bau. Nicht bloß in seiner Ausdehnung, obgleich auch diese selbst für heutige Begriffe riesengroß war. Vielmehr noch wegen des großartigen Gefüges, worin alle Rassen, Völker, Stämme und Religionen zu einer Kultur- und politischen Einheit verbunden waren, wie sie nie wieder sich verwirklicht hat. Es war nicht etwa ein Reich der Italiener, sondern immer das Reich der Stadtrömer, der Siebenhügelbewohner. Diese Gemeinde war es, die das römische Recht, das römische Reich, den römischen Frieden geschaffen. Dieses kleine Siedlungsgebiet von Herrengeschlechtern, wie sie Geschichte kein zweites Mal auf so engem Räume kennt, hatte durch maßvolle Kraft, durch Menschenkenntnis, durch profunden Gerechtigkeitssinn, innere Würde und Größe ein Herrenhaus zu bilden vermocht, dessen Jurisprudenz und Staatskunst nie wieder erreicht wurden. Das Gebiet von der Themse zum Euphrat, vom Rhein zu den Nilkatarakten, in dem das Mittelmeer auch politisch ein Mare Mediterraneum war, von einem alle Teile verbindenden Straßennetz überzogen, stellte auch eine einheitliche Geisteswelt dar, deren hellenistischer Bildungsgehalt wichtigste Wurzeln dessen in sich barg, was wir europäischen Geist, was wir abendländische Gesinnung nennen.

Noch heute pocht der seiner spezifischen Geistigkeit bewußte Franzose auf seine „latinite“ und greift damit auf Cäsar zurück, dem der gallische Geist seine Latinität verdankt. Welcher Stolz mußte nicht erst den römischen Senator erfüllen, da selbst für den ersten getauften Frankenkönig Chlodwig der Titel eines Consul Romanus wichtiger war als der eines Rex Francorum. — Auch heute noch kein Jurist ohne Studium des römischen Rechts und kein Delegierter der UNO, der nicht höchlichst zu beglückwünschen wäre, wenn es ihm gelänge, die augusteische Pax Romana Europa wiederzugeben.

In der Tat, das Imperium war ein stolzer Bau. Es war das Gesetz, nach dem Europa angetreten war. Der hohe Sinn des politischen Denkens der Römer offenbart sich auch darin mit überraschender Klarheit, daß der Rufname des größten politischen und militärischen Genies, das Rom als seine feinste Blüte hervorgebracht hatte, eben des aus dem Hause der Julier stammenden Cäsar, binnen kurzem zu einem Amtstite! wurde, der in seiner griechischen Form „Kaisar“ lautete und von da übers Gotische sich zu dem deutschen Wort „Kaiser“ wandelte. Wer denkt heute noch daran, daß das Kaisertum von Haus aus eigentlich ein fortlebendes „Cäsar''tum war? Schon Casars Adoptivsohn Octavian fühlte die Virulenz dieses Namens, als er sich bei der Nachricht vom tragischen Tode seines Adoptivvaters sogleich Cäsar nannte. Julius Cäsar sollte in Augustus weiterleben. Etwas Ähnliches wiederholt sich sprachgeschichtlich nur noch einmal: Karls des Großen Name wurde bei den Slawen zu dem Worte „Kral“ für König.

Die Überzeugung von der Fortdauer Casars in den „Cäsaren“ wäre kaum zu einer solchen Selbstverständlichkeit geworden, hätte-nicht Vergil, der Dichterprophet des ausgehenden Heidentums, jenes Wort gewagt, das er den Göttervater über das kommende Reich ihres Sohnes zu Venus sprechen läßt:

„Deren Gewalt soll weder ein Ziel mir engen noch Zeitraum;

Endlos daure das Reich, das ich gab.“

Aeneis, I 278 f.

Was Kultur hieß oder sein wollte, war in und mit diesem Imperium, außerhalb stand nur das Barbarentum. Noch bis heute ist der Unterschied zwischen den Deutschen diesseits und jenseits des alten Limes Romanus zu deutlich, als daß er sich wegdisputieren ließe.

Dieses Imperium war der kommenden Kirche von Anfang an eine kongeniale Entsprechung. Durch seine Macht und sein Recht ein Unum, durch seine Koinesprache und hellenistische Zivilisation ein Catholicum, durch seine Legionen und Karawanen ein Apostolicum. Und als Göttergeschenk, auch für heidnische Begriffe, ein Sanctum. Im lateinischen Meßbuch heißt es in der 5. der „Orationes ad diversa“ noch heute: „Gott, der du zur Verbreitung von des ewigen Königs Evangelium das römische Reich vorherbereitet hast...“; wobei uns hier nicht das Aufleuchten eines uralten Christ-Königs-Gedankens fesselt, sondern vor allem die Tatsache, daß dem Text der drei Gebete, soweit dessen politische Konzeption in Frage kommt, der Gedanke vorschwebt, daß zwischen dem Reiche des ersten Kaisers und dem etwa Karls V. kein politischer Wesensuntersdiied bestehe. Die Textierung ist ein Schlag wider die Geschichtsauffassung der Moderne, die dem römischen Reich mit dem Jahr 476 einen Grabstein setzt. Es war jedoch dieses Epitaph in erster Linie ein Erfordernis der jungen protestantischen Dogmatik, worauf hier indes nicht näher eingegangen werden kann. St. Marius zum Beispiel, der Bischof von Avenches und ^itgenosse Gregors des Großen, bringt in seinem Chronicon (455—581) zum Jahr 476 bloß das Sätzchen: „C. Basilisco et Armato consulibus levatus est Odovacer rex.“ Er bringt es mit derselben Ruhe wie seine Bemerkung zu 474: „C. Leone hin. consule depositus est Licerius (Imperator) de imperio et levatus est Nepus (Jul. Nepos, t 480) Imperator.“ Der von seinem Vater Orestes Rom aufgedrängte Gegenkaiser Romulus Augustulus wird mit keiner Silbe erwähnt. Niemand, der 476 selber erlebte, sah etwas von einem Untergang des Römerreichs. Daß nach dem ominösen Jahre in Rom selbst kein Kaiser mehr erscheint, war allen Zeitgenossen lediglich die Folge einer durch den römischen Senat am oströmischen Hofe vorgetragenen dringlichen Bitte, man möge die weströmische Kaiserwürde bis auf weiteres ruhen lassen. Odoaker selber sandte die Krönungsinsignien nach Byzanz. Daß nun aber das römische Reich zu Ende sei, daran dachte man so wenig wie 150 Jahre zuvor bei der Residenzverlegung durch Konstantin an den Bosporus.

Das Imperium spielte bereits im Weltbild der bekehrten Heiden eine gewaltige Rolle. Für das Christentum war das Reich nicht ein Zufallsergebnis, sondern eine gerade auch in religiöser Hinsicht bedeutungsschwere Größe. Vor allem war es das von Daniel (2, 44) geweissagte vierte Weltreich. Die ihm vorausgehenden drei anderen: das babylonische, persisch-medische und das Alexanders hatten nur darum zu verschwinden, um ihm, dem Römerreich Platz zu machen. Der antike Römer war religiös überzeugt, daß dieses Imperium eine Ewigkeitsgründung darstellte. Nicht weil es mit betäubender Propaganda die Ewigkeit für sich beansprucht hätte', sondern darum, weil es im Götterrate einfach so beschlossen war. Nicht umsonst kehrt bei Vergil für Aeneas, den Vater des Reichs, als schmückendes Beiwort immerfort das „pius“ (der Fromme) wieder. Sein Wesenszug ist nicht ein albernes Greifen nach Jahrtausenden, sondern die Frömmigkeit, die ihm das Wohlwollen der Himmlischen sichert. Man sieht, Rom erblickte das wichtigste Fundament seines heranwachsenden Weltreichs in der Pietas, der Frömmigkeit. Noch Äneas Sylvius hat sich, als er Papst wurde, Pius II. nicht etwa nach seinem Amtsvorgänger, dem Blutzeugen Pius genannt, sondern — als echter Sohn der

Renaissance — nach seinem virgilianischen' „Namenspatron“, dem „pius Aeneas“.

Für den christgewordenen Römer freilich gab es keine irdische Ewigkeit mehr. Auch das Imperium war ihm nichts Unvergängliches. Aber eine besondere Manifestation der Vorsehung blieb es doch auch für ihn; und zwar nicht bloß wegen der danielischen Weissagung.

Zuvörderst war diesem Reiche die Ehre widerfahren, den menschgewordenen Logos zu seinen Untertanen zu zählen. Michäas hatte seine Geburt in Bethlehem, dem Ursprungsort der Dynastie David, prophezeit; und das zu einer Zeit, da Rom noch weit unbedeutender war als die kleine Vaterstadt Davids. Bethlehem verblieb indessen in seiner Unansehnlichkeit, während Rom zu einer nie erlebten Herrlichkeit heranwuchs, bis auch das Gelobte Land zu seinen Provinzen zählte. Als Augustus die ,große Volkszählung veranstaltete, ahnte er nicht, daß gerade sein Schätzungsdekret eine alte Prophezeiung wahrmachen werde. Christus wäre ja sonst — menschlich gesprochen —, nicht in Bethlehem, sondern in Nazareth geboren worden. So war es eigentlich der Cäsar, der das mcssianische Kind durch die Hand seiner Mutter in die Krippe von Bethlehem legte.

Wurde der Herr bereits an seinem Geburtstag als Mitglied des römischen Reichs in dessen Register aufgenommen, so ist auch sein Sterbetag darin festgehalten worden. Pilatus hatte aus seinem Hinrichtungsprotokoll nur den Namen Barabbas zu streichen und den Namen Jesu dafür einzusetzen. — War es ein unverzeihliches Mißverständnis des Mittelalters, wenn es Tatsachen dieser Art als eine Bestätigung des Himmels dafür nahm, daß das Imperium eine von Gott selber sanktionierte Größe war?

Eine Legende weiß, Augustus habe einst auf dem Kapitol die über der Sonne stehende Erscheinung der Jungfrau mit dem Kinde gehabt und ihr zu Ehren dcii „Himmelsaltar“, die „Ära Caeli“ errichtet, dort, wo heute die Aracoelikirche steht. Eine andere Legende läßt Pilatus trotz seiner Furcht, durch einen Freispruch Jesu bei Tiberius in Ungnade zu fallen, schließlich doch verbannt, auf dem nach ihm benannten Berge bei Luzern Selbstmord verüben.

Das Mittelalter wußte über die beiden Vertreter des Römertums, die das Erdenleben Christi so auffällig -in einen römischen Rahmen gestellt hatten, noch mehr. Für Dante ist die von Paulus so benannte „Fülle der Zeit“, in der der Herr geboren werden wollte, just deshalb eine „Fülle“, weil damals keines all jener Ämter, die zur irdischen Glückseligkeit des Menschengeschlechts von-nöten sind, seines Trägers entbehrte. Lediglich unter dem römischen Weltgaranten des allgemeinen Friedens also konnte Christu? geboren werden. Audi das von Pilatus gefällte Urteil war, gleichfalls nach Dante, die Voraussetzung eines Sühnetodes der ewigen Gerechtigkeit nur dann, wenn es von einem legitimen Gerichte verhängt wurde, wenn mithin die Legitimität der Weltherrschaft des römischen Imperators von Gott selber beglaubigt war. Nur wenn die Weltjurisdiktion des Kaisers zu Recht bestand, war Palästina legitimer Gliedstaat des Imperiums und Pilatus ein wirklicher Richter, während er andernfalls nur ein grausamer Quäler gewesen wäre.

Wir ermessen sohin etwa, was Rom den größten Söhnen des Abendlandes bedeutete. Noch Goethe fühlte nirgends wie dort die Vergangenheit sich zu einem wirklichen und sinnvollen Ganzen runden. Weniger turbulente Zeiten erst werden das ungeheure Verdienst abzuschätzen vermögen, das sich Pirs XII. durch die Rettung Roms vor der Zerstörungswut des 2. Weltkrieges erworben hat; derselbe Papst, den gewisse römische

Blätter heute ' begeifern, die ohne sein historisches Sicheinsetzen weder Maschinen noch Papier zu ihrer niedrigen Verfügung hätten.

Je mehr wir uns daran gewöhnen, die Geschichte aus der Perspektive Roms zu betrachten, des Ortes, der sich aus der Stadt der Wölfin des Brüderpaares Romulus und Remus zur Stadt des Lammes Gottes der geistigen Brüder Petrus und Paulus verwandelt hatte, desto rascher gelangen wir zu dem einzig möglichen, aus Kirche und Imperium gebildeten Koordinatensystem der Geschiditskurve, ohne das es gerade österreichische Geschichte nicht geben kann. Wer vom Imperium und Sacerdotium Roms absehen will, gerät unvermeidlich in die Sackgasse des Nationalismus, in die sich Deutschland, das dem Reich seit Jahrhunderten nicht mehr geben wollte, was des Reiches war, am unheilvollsten verrannt hat; der wird insbesondere in Österreich nur die imaginäre Ostmark eines imaginären „Deutschen“ Reiches erblicken, während die Keimzelle Österreich allerdings eine Ostmark war, aber die östliche Mark des Imperium Sacrum und nicht die eines noch lange nicht bestehenden Deutschland und noch viel länger nidit bestehenden „Deutschen Reichs“. ^

Als Franz II. am 6. August 1806 in Wien die römische — nicht die „deutsche“ — Reichskrone niederlegte, protestierte der Papst durch Kardinal Consalvi dagegen. Denn es war ein Schritt, der Rom selber anging. Wenn Fürsten resignieren, ist das ihre Privatsache, um die der Papst sich nicht kümmert. Anders damals, wo es um die römische Krone ging. Ihre letzte Entwertung unter Napoleon war die Tat eines apostasierten Bischofs, Talley-rands, des listenreichen Außenministers des Korsen, der im „Rheinbund“ die deutschen Fürsten an die Seite Napoleons gebracht. Hätte man in der hohen Politik noch den höchst wichtigen Unterschied zwischen dem Deutschen König und dem Römischen Kaiser gemacht, wie etwa in der Münzprägung, die ihn noch 1805 berücksichtigte, so wäre nach menschlicher Voraussicht weder der erste noch der zweite Weltkrieg ausgebrochen. Man muß lernen, Österreich nicht nur als die geographische, sondern auch als die geschichtliche Drehscheibe Europas zu nehmen.

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