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Die Franken — Wegbereiter Europas

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Historische Jubiläen sind nicht immer Anlaß zu freudigem Gedenken, sie können auch kontroverse Diskussionen auslösen. So erhitzte im Herbst der Streit um die Feierlichkeiten anläßlich der 1500. Wiederkehr der Taufe des Me-rowingerkönigs Chlodwig I. die Gemüter in Frankreich: Der erste katholische König Europas stand im Schnittpunkt der seit 1905 getrennten Bereiche von Kirche und Staat. Streitpunkte waren weniger das unsichere Taufdatum - 496 oder doch eher 498? als vielmehr divergierende politische Ansichten zwischen jenen, die mit diesem historischen Ereignis das christlich-merowingische Erbe verbinden und jenen, die die Geschichte der Nation mit den Errungenschaften der Französischen Revolution beginnen lassen möchten.

In einem deutsch-französischen Gemeinschaftsprojekt ist es gelungen, anläßlich dieses Jubiläums den Stand der Forschungen aus verschiedenen Fachrichtungen zu bündeln und „Die Franken als Wegbereiter Europas” vorzustellen in einer sehr sehenswerten, 3.000 Exponate umfassenden Ausstellung in Mannheim und dem ausgezeichneten zweibändigen Kataloghandbuch, das Licht ins „Dunkel der Völkerwanderungszeit” bringt.

Bereits 1980 wurden in der Präsentation in Mainz „Gallien in der Spätantike” die historisch und kulturell bedeutsamen Leistungen jenes Teiles des Weströmischen Beiches hervorgehoben, der seit etwa 500 v. Chr. keltisch besiedelt, von Caesar erobert und dem Römischen Beich eingegliedert worden war.

Infolge der Constantinischen Beichsreform zu Beginn des 4. Jahrhunderts wurde Gallien zum Kernland der gleichnamigen Praefektur zwischen Nordafrika und Britannien. Trier nahm als Verwaltungssitz und -für rund hundert Jahre - als Hauptstadt des Beiches eine herausragende Bolle ein.

Galliens Bevölkerung war vor dem Eindringen der germanischen Stämme aus dem Norden, um die Mitte des 3. Jahrhunderts, ein buntes Gemisch aus römisch eingebürgerten Einwohnern (seit 69 n. Chr. durften sie von sich sagen: civis romanus sumf) und im Laufe der Generationen - mit diesen sich mischend - die im Lande angesiedelten römischen Veteranen. Ein hervorragend ausgebautes Verkehrsnetz begünstigte Wirtschaft, Fern-und Binnenhandel.

Bodenschätze und Landwirtschaft trugen zum Wohlstand bei, der deutlich erkennbar sich auch am hohen Standard des Handwerks (Waffen und Geräte) und des Kunsthandwerks (Objekte aus Glas, Silber und Elfenbein mit Bildschmuck zunehmend christlicher Thematik) widerspiegelt, wie die Vielzahl der Grabungsfunde zeigt. Gallien besaß Münzstätten und

Staatskassen in Arles, Lyon, Trier und Beims.

Begehrlich mögen die nördlich und östlich benachbarten germanischen Stämme über den Rhein und auf die reiche Provinz Belgica geschaut haben. Ihre Einbrüche über den Limes erfolgten seit der Mitte des 3. Jahrhunderts, verstärkt Im 4. und 5. Jahrhundert, begleitet von den üblichen Verwüstungen . und Plünderungen, wie die wiederholten Zerstörungen von Trier belegen. Die Art solcher „Landnahme” entspricht weitgehend dem gängigen Bild von der Völkerwanderungszeit.

Die von Archäologen und Historikern nun vorgelegten Arbeitsergebnisse über die Franken als Wegbereiter Europas lassen ein differenzierte-res Bild entstehen, das zunächst deutlich macht: die einströmenden Volksstämme haben eben nicht ein schon schwaches Weströmisches Beich überrannt, sie sind auch nicht in der gallo-römischen Bevölkerung einfach aufgegangen. In einem eher langsamen, siedlungsgeschichtlichen Prozeß haben sich die erst auf römischem Territorium zu Franken zusammengeschlossenen westgermanischen Stämme integriert. Die Börner haben es ihrerseits verstanden, aus ehemaligen Feinden Verbündete (foederati) zu machen zur Siehe- ■ rung der stets bedrohten Beichsgren-ze gegen die Germanen rechts des Bheines.

Seit der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts kann sich die neu organisierte römische Armee auf fränkische Offiziere in höchsten militärischen Rängen stützen. Sie erhielten dafür Waffen, Geld- und Landzuweisungen, qualifizierte Schulbildung für ihre Kinder, für sie selbst die Chance einer angesehenen Laufbahn als römischer Beamter in Verwaltung oder Militär. Derartige Vergünstigungen hatten wiederum den Zuzug weiterer fränkischer Soldaterl mit ihren Familien zur Folge.

Die Bereitschaft zu Integration bei allem Festhalten an Eigenständigkeit läßt sich am deutlichsten ablesen an den Grabungsbefunden auf gallo-römischen Friedhöfen des 5. bis 7. Jahrhunderts. Unterschiedliche Bevölke-rungsethnien bestatteten ihre Toten nebeneinander, Gallo-Bomanen und Franken, Christen und Heiden. Man konnte nachweisen, daß die bei den Germanen übliche Brandbestattung erst an der Wende des 4. zum 5. Jahrhundert zugunsten der Körperbestattung nach und nach aufgegeben wurde. Länger beibehalten wurde hingegen die Sitte der Grabbeigaben; Gegenstände, die dem Toten ins Jenseits mitgegeben wurden, wie vor allem Waffen, Kleidung, militärische Auszeichnungen und Schmuck. Besonders die Frauen legten Wert darauf, in ihrer heimischen Tracht bestattet zu werden, zum Beispiel mit Gewandfibeln, deren Gestaltung auf die Heimat schließen läßt. Große Bernsteinketten etwa verweisen auf das norddeutsche Küstengebiet. Die Archäologen erkennen heute eine ausgeprägte „Mischzivili-' sation” zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert und sehen wechselseitige Anleihen, also eher eine langsame Verschmelzung als einen Bruch.

Aus den politischen Wirren und Einbrüchen des 5. Jahrhunderts ging schließlich der fränkische Teilstamm der Merowinger, in einem Kleinkönigtum rund um die heute in Nordfrankreich gelegene Stadt Tournai ansässig und reichstreu gegen Vandalen, Alanen, Sueben und Hunnen ankämpfend, gestärkt hervor. Mit ihnen betritt nach der Jahrhundertmitte die politische Bühne jener König Childerich, Vater des bedeutenden Chlodwig I., der die Entwicklung zu einem machtvollen Merowingerreich einleitet. Er findet im römischen Heermeister Galliens, Aegidius, seinen wichtigsten Verbündeten. König Childerich, mit einer Thüringerin verheiratet, hat es offensichtlich herausragend verstanden, für sich persönlich, aber auch politisch, Fremdes mit Eigenständigem zu verbinden. Geradezu exemplarisch ist dies ablesbar an seiner Grabstätte. 482 wurde er nach germanischer Sitte in ei-nem Grabhügel gemeinsam mit seinem Pferd beigesetzt, in fürstlicher Ausstattung mit den Zeichen der Würde eines germanischen Königs (Handgelenkring) und eines hohen Offiziers in der römischen Armee (goldene Zwiebel-knopffibel, Siegelring CHILDEBICI REGlS). Büstung, Zaumzeug und diverse Waffen (das zweischneidige Schwert Spatha, das einschneidige Schmalsax, die germanische Wurfaxt Franziska) waren von höchster Qualität, aus Gold und mit in Zellentechnik eingearbeiteten Almandinen. Ein Fürstengrab par exellence, über seine Einflüsse aus dem Donauraum oder aus Byzanz wird noch diskutiert; die Herstellung zumindest läßt auf mediterrane Werkstatten schließen.

Die zufällige Auffindung seines Grabes 1653 in Tournai war eine Sensation. Zugegen war Johann Jakob Chiflet, Leibarzt des Habsburgischen Gouverneurs der Niederlande, der den gesamten Bestand 1655 präzise publizierte. Erzherzog Leopold Wilhelm nahm den Childerich-Schatz mit nach Wien. 1665 ließ Kaiser Leopold I. sich dazu überreden, die Kostbarkeiten Ludwig XIV. als Dank für seine Hilfe gegen die Türken zum Geschenk zu machen. Bevor der gesamte Childerich-Schatz 1831 einem Diebstahl zum Opfer fiel, hatte Napoleon noch Gelegenheit, sich die merowingischen Bienenbeschläge, als Zeichen des Machtanspruchs auf die merowingi-sche Nachfolge, an seinen Krönungsmantel zu heften. Chiflets Publikation und die Anfertigung einiger Kopien in Wien - eine goldene Zwiebelknopffibel befindet sich in Innsbruck - sind nun kostbare Zeugnisse dieses seltenen Fürstengrabmals.

Chlodwig I. setzte die merowingi-sche Politik seines Vaters konsequent fort und begründete das Merowingi-sche Großreich; nach weiteren Eroberungen durch seine Söhne war Mitte des 6. Jahrhunderts eine territoriale Einheit Galliens und Germaniens hergestellt.

Chlodwigs historische Leistung war und ist es, andere fränkische Königtümer als ehemalige Foederaten ebenso einzubinden wie die von ihm eroberten Beichsteile eines spätantiken Galliens, das, in seiner politischen Macht zwar geschwächt, zum Erliegen kam, dessen Nimbus jedoch ebenso weiterwirkte wie sein kulturelles, religiöses, juristisches und sprachliches Erbe.

Chlodwigs Annahme des katholischen, nicht des arianischen Glaubens, ob aus ganz persönlichen Gründen oder politisch motiviert, war die Voraussetzung für die Ausbildung und Festigung des Fränkischen Beiches. „Der neue Constantin” (Gregor von Tours) wählte für sich und seine Gemahlin die christliche Bestattung in einer von ihm selbst errichteten, den heiligen Aposteln geweihten Kirche „extra muros” von Paris. Die königliche Grablege in einer gestifteten Kirche wurde zum Vorbild.

Schon die Fränkische Staatenbildung über Gallien und Germanien kann Vorbild sein für die Verwirklichung der Vision des Vereinten Europa: Toleranz zu üben in der Dichte der verschiedenen Ethnien und multikulturellen Strukturen, gemeinsame außenpolitische Interessen im Zusammenschluß zu stärken, im Traditionsbewußtsein Eigenständiges zu bewahren und mit dem Andersartigen zu verbinden.

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