6695552-1963_05_14.jpg
Digital In Arbeit

VON INDIEN BIS SARDES

Werbung
Werbung
Werbung

Die Inschrift — altpersisch, babylonisch und elamisch — lautet: „Darius, der Große König der Länder, der Sohn von Vischtaspa, der Achämenide. Dies ist das Königreich, das ich besitze vom Lande der Saken, die auf dieser Seite von der Sogdiana bis nach Kusch sind, von Indien bis nach Sardes. Dies alles hat Ahura Masda mir zugestanden, ER, der der größte aller Götter ist. Ahura Masda möge mich und mein Haus beschützen.“

Sie ist auf einer fünf Kilogramm schweren Goldplatte eingraviert, die unter Darius gegen Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. in die Fundamente der königlichen Audienzhalle von Persepolis versenkt wurde und die nun den strahlenden, unschätzbaren Mittelpunkt der großartigen iranischen Ausstellung bildet.

Die Flammenschrift an der Wand, die den von den Propheten vorausgesagten Sturz Babylons verkündete, erschien Nabonid (nach der Bibel seinem Sohn Belsazar) im Thronsaal Nebukad-nezars. Die Zuchtrute Gottes aber, die das mächtige, vom Blute der Völker trunkene Babylon zerbrach, war Kyros, der erste persische Herrscher aus dem Achämenidengeschlecht. Medischer Vasall, hatte er zuerst seinen Oberherrn Astyages und dann den Lydierkönig Krösus besiegt, und seine Bogenschützen und schnellen Reiter eroberten alles Land vom Persischen Golf bis zum Mittelmeer. Die Achämeniden (550 bis 330 v. Chr.), erleuchtete, menschliche Herrscher, die den Teilen ihres Reiches ihr Eigenleben beließen und als Könige durch die Gnade des höchsten Gottes voll Verantwortungsgefühl in Seinem Namen und nach Seinem Willen handelten, schufen das dem Umfang nach größte Imperium der Weltgeschichte. Auf seinem glanzvollen Höhepunkt erstreckte es sich über Mesopotamien, Syrien, Palästina und Ägypten, über Teile Indiens, übeT Zentralasien, Kleinasien und einzelne griechische Inseln und Städte.

Bedeutet dieses Großreich, das vom iranischen Hochland seinen Ausgang nahm, den erhabenen Gipfel innerhalb einer siebentausendjährigen Kultur, so gehen ihm doch nahezu fünf Jahrtausende einer Entwicklung voraus, über die erst die letzten Jahrzehnte das Dunkel zu lichten imstande waren. Seine Kunst und die Kunst der nachfolgenden Epochen beruhen auf einem iranischen Erbe, dessen Grundcharakter Upham Pope folgendermaßen beschreibt:

„Das Vorherrschen eines dekorativen Interesses, das man als das hervorstechendste und geradezu untrügliche Charakteristikum der iranischen Kunst bezeichnen kann, schuf eine allgemeine Grundlage der Kunst durch allen Wechsel des Geschmacks hindurch, von der vorgeschichtlichen Zeit bis zur Gegenwart. Die Folge einer solchen Neigung sind dekorative Ideale wie Klarheit, Genauigkeit, sorgfältige Anordnung, Rhythmus, der Gebrauch ausdrucksvoller Silhouetten sowie ein präzises handwerkliches Können. Diese Grundprinzipien scheinen eine natürliche Begabung der Iranier in allen Phasen ihrer Kultur gewesen zu sein, aber ihr wirkliches Leben empfingen solche Prinzipien erst durch ein unerschöpfliches Talent, originelle und eindrucksvolle Formen zu erfinden — eine Fähigkeit, die sich offenbar selbst immer neu erzeugte. Darüber hinaus zeigen die Kunstwerke in ihrer Komposition eine Art aristrokratischer Zurückhaltung, die jedoch nicht unbedingt negativ zu deuten ist; eine positive, sogar übermäßige Vorliebe für sorgfältige Ausarbeitung und Prunk, die zwar gelegentlich ihre eigenen Grenzen überschreitet und dies sicher noch öfter tun würde, hielte sie nicht die noch stärkere Forderung nach Geschmack und Feinheit zurück.“

In der raschen Entwicklung, die die keramische Malerei in Persien nahm, sehen die Archäologen ihre Vermutung bestätigt, daß hier der Ausgangspunkt sumerischer Keramik lag. Die Darstellungen schmiegen sich der plastischen Form der Gefäßrundungen hervorragend an, und schon in der Vorzeit ist die Flächenteilung von erstaunlicher Präzision. Bereits am Anfang des 4. Jahrtausends taucht ein Tiermotiv auf, das bis in die Sassanidenzeit eine dominierende Rolle spielt: die Gestalt des Steinbockes, des Ibex. Wenig wissen wir oder nichts über jene Völker, die damals das persische Hochland und seine Täler bewohnten: die ständige Wiederkehr dieses Motivs legt aber den Gedanken nahe, daß es magische Bedeutung hatte. Ibex-hörner wurden lange bis nach China verhandelt. Pulverisiert gaben sie Kraft, Mut und Ausdauer. Früh taucht auch schon der Hirsch in Darstellungen auf — für die Jäger, Krieger und Nomaden wird seine Schnelligkeit magisch beschworen. Gleichzeitig erscheinen auch andere Tier- und Ornamentmotive, die noch heute auf Textilien, den modernen Kelims etwa, anzutreffen sind. Auf den magischen Kultcharakter der Symbole und Objekte können wir nur Rückschlüsse ziehen, am deutlichsten erscheint er wohl bei den grazilen Figuren der „Muttergöttin“, die aus ihren Brüsten das lebenspendende Naß preßt. Auch die Gießgefäße in Widder- oder Vogelform, die aus dem Horn entwickelte Form des Rhyton dienten dem Kult und werden zu Grundmotiven, die „säkularisiert“ noch durch lange Zeit auftreten. Wie die Gefäße und Statuetten sind auch die Waffen mit Liebe und Präzision geformt. Totengaben zeigen die Streitäxte, Schwerter und Dolche aus Bronze erstaunliche Schönheit und Eleganz. Die massiven Goldarbeiten aus Amiach weisen manchmal leichte mesopotamische Einflüsse und Formen auf. Rätselhaftes Luristan.

Von etwa 1000 v. Chr. an strömten aus dem Norden, aus Rußland, indoeuropäische Stämme nach Persien ein. Aus Südrußland die Skythen, aus dem Kaukasus die Kimmerer, Meder und Perser aus Zentralasien. In den tiefen Tälern des Zagrosgebirges, in der durch mächtige Felsblöcke gegliederten Landschaft Luristans, vereinten sich die Kimmerer mit den ihnen verwandten Medern und hinterließen in unzähligen Gräbern Bronzekunstwerke von eigenartiger Ausprägung und Vollendung. Sie wurden erst in den Jahren 1930—34 entdeckt und erregten beträchtliches Aufsehen. Bewegliche Habe der wandernden Stämme, sind sie Kriegsausrüstung und Wagenzubehör, Zaumzeug und Schmuck, Warfen und Talismane. Immer wieder finden wir den Steinbock, aber auch Fabelwesen, Ungeheuer, die einen Helden einschließen, der sich gegen sie wehrt (Gilgamesch), vielgesichtige Idole und betende, klagende Menschenfiguren. Die fast barocken Verschlingungen dieser Kunst sprechen von einem irrationalen Angstgefühl, ihre dekorative Kraft und Intensität von dessen Bändigung. Ein Hauch des Rätselhaften liegt über ihr, eine geheimnisvolle Ausstrahlung umgibt die vollendete Gestaltung. Manches mutet in der Atmosphäre fast etruskisch, dämonisch an.

Die Skythen, schnelle Reiter und treffsichere Bogenschützen, hinterließen im Iran den Schatz von Ziwije in einem Für-stengrab. Seine stilistische Vielfältigkeit spiegelt die verschiedenen künstlerischen Elemente, die im Iran lebendig waren und die durch immer wieder ausbrechende Vorstöße ins Land kamen. Assur wirkte an den Elfenbeinornamenten ebenso mit wie einheimische Künstler, die Tierornamentik ist traditionellen sky-thischen und iranischen Ursprungs, in Silber geformt, und der prächtige Goldschmuck erinnert an die Kunst Urs, vereinfacht und doch voll lebendigem Raffinement.

Vischtaspa, der Vater des Darius, war nach Ansicht der Parsi identisch mit jenem Fürsten, der von Zoroaster-Zarathustra zum Glauben an den einen höchsten Gott Ahura Masda bekehrt wurde. Mag Zarathustra auch früher gelebt haben, entscheidend bleibt, daß er an die Stelle altpersischen, vedantischen Glaubens, des magischen Polytheismus, einen Monotheismus und den Dualismus des Kampfes zwischen dem guten und dem bösen Prinzip setzte, die durch Ahura Masda und Angra Mainyu vertreten werden. In dieser Lehre, die den Glauben an den einmaligen Ablauf der Geschichte, an die Auferstehung, das Weltende, an Engel und Teufel in sich schließt, ist Zarathustra der erste der Propheten, die aus seinem Samen alle tausend Jahre hervorgehen und schließlich zum Sieg Ahura Masdas beitragen. Sie hat große geschichtliche Wirkungen geübt bis in die Gnosis und in christliche Ketzersekten hinein und gab dem Achämenidenreich seinen ethischen Unterbau urtd seine Stoßkraft. Die Kunst dieses Reiches ist die glückliche willentliche Synthese aller überkommenen Elemente und in ihrer Hofkunst die Vermählung des Iranischen mit mediterranem, ägyptischem und babylonischem Einfluß zu einem Stil monumentalen Gepräges. In ihr erreichten die ornamentalen Wirkungen den erhabenen Höhepunkt. Anders als in Assur und Babylonien, werden die Außenseiten der Paläste dekoriert. Der Wille nach Repräsentation, Feierlichkeit und Größe zeichnet sie aus, nach Ausgeglichenheit und Maß, das sie glanzvoll erreicht, wenn ihr auch das Menschlich-Intimere der griechischen Kunst verschlossen bleibt.

Als das Achämenidenreich unter dem Ansturm Alexanders des Großen fiel, der aus Vergeltung für die Zerstörung Athens im Jahre 480 durch Xerxes I. 150 Jahre später dessen Palast in Persepolis niederbrannte, hatte es seinen Höhepunkt schon überschritten. Aus dem Zerfall des Alexander-Reiches entstand zuerst das Seleukiden-, dann das Parther- und schließlich das Sas-sanidenreich unter Ardaschir I. (226 n. Chr.). Die Kunst dieser langen Epoche, die bis zum Sieg des Islams im Jahre 642 dauerte und starke Wirkungen auf Byzanz und das Abendland, den Hof der Merowinger und Karls des Großen ausübte, blieb den Traditionen treu. Nicht zu übersehen ist aber in allem Symbolgehalt, der nun Königen diente, die Anspruch auf göttliche Wesenheit erhoben, bei aller Prunkentfaltung eine gewisse Vergröberung, die sich besonders in den Silbergeräten ausprägt. Der Herrscher ist der große Jäger, dem alle Tiere und Feinde erliegen. Die Darstellungen sind lebensvoll, fast kinemato-graphisch, greifen zum Teil auf ältere Formen zurück, und trotzdem fehlt ihnen die lichtvolle Ausgewogenheit der Achämeniden-zeit. Ihr Reichtum aber sollte immer wieder auf die Kunst des Islams, dessen Träger Araber ohne künstlerische Vergangenheit waren, seine Inspiration ausüben.

Der Beitrag der iranisch-persischen Kunst zu der des Islams wurde unübersehbar und bestimmend. Auf dem Hochland, über den lila und goldenen Tönen der Wüste, wuchsen die türkisfarbenen und goldenen Kuppeln der Moscheen von Ispha-han, von Hamadin und Varamin, inkrustiert und überwachsen mit kostbarster Keramik in geometrischen, arabesken oder Inschriftenmustern, das Detail immer wieder der Gesamtheit unterwerfend. Es entstand ein unabsehbarer Schatz von Buchmalerei — der selbst auf Rembrandt wirkte —, sassanidisch in der Empfindung, aber zu letzter preziöser Form geschärft, die Silhouette bevorzugend, raffiniert mit Farben instrumentierend, glanzvolle Flächenkunst, verbunden mit erlesenster Kalligraphie, genüßlichhedonistische Objekte eines Märchenlandes aus 1001 Nacht, den Gesängen Omar Khayyams vergleichbar. Die sinnliche Schönheit dieser Handschriften, ihre fast dekadente Eleganz, der subtile Dekor der Keramik, die sich in erlesene blaue, grüne, ockerfarbene Glasuren hüllt, unter denen dann der dekorative Formenreichtum blüht oder knappe letzte, subtilste Einfachheit nur einen Strich und ein Schriftband zieht, Ränder blau bepudert und in die Schalenmitte einen einzigen Punkt setzt, der Reichtum der Teppiche aus Wolle oder Seide, die blühenden Gärten, Jagden und Blumen, die im Lichte aufschimmern, sind eine Vorwegnahme des islamischen Paradieses. Auf einer anderen Ebene offenbart sich in ihnen die immerwährende Kraft der iranischen Kunst, ihre Einheit und Identität zu bewahren, ihre eingeborene Sensibilität für meisterhafte dekorative Gliederung und intensive nuancierte Gestaltung in Farbe und Form.

Das Abendland, Europa, hat ihr vieles zu verdanken gehabt. Daß ihr Wesen und ihr Charakter so klar in Erscheinung tritt, ist nicht das geringste Verdienst dieser wirklich einmaligen Ausstellung, die, unter der Patronanz des Schahanschah S. K. Majestät Mohammed Reza Pahlevi und des Bundespräsidenten stehend, der Initiative des Unterrichtsministeriums und der aufopfernden Arbeit des Direktors des Österreichischen Museums für angewandte Kunst, Dr. Viktor Grießmaier, den iranischen und über alle Welt verstreuten Leihgebem und in ihrer Gestalt dem Architekten Professor Schlesinger zu verdanken ist. Es ist nicht nur die schönste, sondern auch die bedeutendste Ausstellung, die in Wien seit Dezennien zu sehen war.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung