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MENSCH UND MASKE

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Die Maske zählt zu den Elementargedanken der Menschheit. Sie ist Ausdruck einer ewigen Sehnsucht, dem Gesicht, dessen „Erhebung und Vertiefungen“, wie Goya sagte, Zärtlichkeit und Kummer verraten, eine bleibende Form zu verleihen. Und indem sie in Freude und Schmerz, Melancholie und Selbstvergessenheit erstarrt, vermag sie aus begrenzter Zeitlichkeit herauszuheben, um für eine andere Welt Zugang zu sein. Eine unwirkliche, magische Welt, in der Geister und Dämonen wirksam sind. Wenn der kultische Tänzer die Maske aufsetzt, gibt er sich selbst auf und erfüllt sich mit einem neuen Wesen. Es ist das uralte Geheimnis der Verwandlung, das Loslösen vom eigenen Ichbewußtsein, welches sich hier offenbart.

Dieses Bedürfnis, in dem die Wurzeln jeder dramatischen Kunst zu suchen sind, ist so stark, daß es sich in der ganzen Menschheitsgeschichte nachweisen läßt. Im alten Griechenland ebenso wie im mittelalterlichen Japan, in Asien, Afrika und im heutigen Theater. Die Maske hat bis zum Mimodram eines Marcel Marceau ihre Gültigkeit behalten.

Ąus den kultischen Tänzen entwickelten sich die mystischen AS.Tempel — und die religiösen Schauspiele. Sie wurden um so profaner, je weiter die religiös-heldische Handlung in die Vergangenheit rückte, um schließlich nur noch als „historisch“ empfunden zu werden. Der Schauspieler ist bestrebt, sich den besonderen Zügen eines menschlichen Vorbildes anzugleichen, der dämonische Maskentänzer hingegen, die individuellen Züge aufzuheben oder sie ins Unwirkliche zu steigern.

Einzig das Auge bleibt — durch die Maske hindurch — Sitz des Menschlichen. Es hat von jeher eine besondere Bedeutung gehabt und begann früh an die Stelle des ganzen Gesichtes zu treten, da man sich darin die gesamte magische Kraft beschlossen dachte. Vor keinem Zauber hatten die Völker des Mittelmeergebietes so große Angst wie vor dem „malocchio“, dem „bösen Blick“. Und in Italien will sich das Volk heute noch mit Amuletten dagegen schützen. Das Auge wurde einst an Stelle des Gorgoneions — der griechischen Schreckmaske — auf Schildern angebracht, ebenso auf chalkidischen und attischen Trinkschalen.

Wir haben tausend mal tausend Gesichter, je nach gesellschaftlichen Erfordernissen, tatsächlichen oder auch nur vorgetäuschten Regungen. Im Extremfall sehen wir das menschliche Gesicht ohne Maske, ohne darüber gebreitete Materie, ohne Grimasse. Wir sehen es in seiner Ruhe, seiner konzentrierten Innerlichkeit.

Die Totenmaske hat es in dieser Zeitlosigkeit zu erhalten versucht. Vor allem den Ägyptern gelangen auf diesem Gebiet faszinierende Beispiele, wie die goldene Totenmaske Tutenchamons oder die zahlreichen Mumienporträts beweisen. Unter ägyptischem Einfluß stehen auch die bekannten Goldmasken aus den Schachtgräbern von Mykenä, unter denen Heinrich Schliemann das Porträt Agamemnons entdeckt haben wollte. Von Ägypten aus hat sich der Gebrauch der Totenmaske nach Osten zu ausgebreitet und besonders in Syrien Anwendung gefunden.

In Italien wurden die Totenmasken aus Wachs angefertigtund sind uns daher nur in den seltensten Fällen erhalten geblieben. Nach der Beisetzung des Toten wurden sie in der Ahnengalerie des Hauses aufgestellt, um bei späteren Bestattungen von Angehörigen im Trauerzug mitgeführt zu werden, zuletzt durch hierzu gemietete Schauspieler. Durch sie ist die großartige Porträtkunst der späten Republik wesentlich beeinflußt worden. In manchen Fällen versuchte man auch dem Verstorbenen ein neues, ein anderes Gesicht zu geben, wie bei den alten Inkakulturen, deren Mumienbündel vom ursprünglichen Aussehen abweichende Gesichtsmasken vorgebunden hatten.

Aus der Abbildung ergab sich die Beseelung des Gesichtes, ursprünglich meist mit dem Geist eines Ahnen. Es wurde mit einer vermummten Gestalt umgeben, und der Träger fühlte sich als Inkarnation dieses Geistes. Noch immer aber gilt das Gesicht, die eigentliche Maske, als magisch wirksamster Teil.. Sie ist es, der geopfert wird, und sie befragt man um Rat.

So sind in Afrika die Masken das wichtigste Ausdrucksmittel des Ahnenkultes. Der Geist des Verstorbenen bleibt in der Gemeinschaft der Nachkommen bestehen, jedoch nicht als bloße Erinnerung, sondern als lebendiges Wesen, das die Maske zu ihrem sichtbaren Sitz auserwählt hat, in dem es lebt, handelt und spricht.

Bei den primitiven nomadisierenden Jägerstämmen hingegen findet sich oft eine animistische Weltanschauung, welche die religiös-kultischen Handlungen bestimmt. Alles in der Natur ist beseelt, Tiere ebenso wie Sonne und Mond, Gewitter und Sturm, Fluß und Wald. Eine südamerikanische Legende erzählt, daß einst in alter Zeit die Masken unter der Führung der Frau Mond in den Händen der Frauen lagen, und daß diese es waren, welche damit die Männer ängstigten und schreckten. Bis eines Tages Herr Sonne, der Gemahl der Frau Mond, zwei Mädchen beim Bade belauschte und erfuhr, daß es die Frauen selbst waren, die sich als Geister ausgaben. Die Rache der Männer war fürchterlich. Nach der Version des einen Stammes wurden alle Frauen getötet und nur die kleinen Mädchen leben gelassen, nach der eines anderen die Frauen in verschiedene Tiere verwandelt. Und von da an waren die Männer die Herren der Masken. — Auch die Masken des Dayal-Stammes am Mendalamfluß in Borneo stehen im Zusammenhang mit dem Geisterglauben. Man wollte sich durch sie in den Reisgott verwandeln, um so die Seele des Reises heranzulocken, da deren ständige Anwesenheit nach ihrem Glauben unbedingt zum guten Gedeihen des Reises notwendig war.

Die Verwendung der Tiermaske im kultischen Tanz ist nur denkbar im Vorstellungskomplex .des Totemismus, in dem die Kluft zwischen Mensch und Tier noch nicht aufgerissen ist, in der sich der Mensch mit dem Tier noch körperlichverwandt fühlt. Durch Maskentänze in Tierverkleidung sucht er die Jagdtiere heranzuziehen oder die über die Tötung erzürnten Tierschutzgeister zu versöhnen. Das wunderbare Gebilde der griechischen Tragödie soll aus den Tänzen bocksmaskentragender Gestalten entstanden sein. Auch wurden im Altertum häufig die Tiere mit Masken bekleidet. In den Kurgauen des südlichen Altaigebirges, wo die Nomadenfürsten aus den Jahrhunderten um das Jahr 1 begraben liegen, fand man in zwei Gräbern über den Schädeln mitbestatteter Pferde kunstvoll aus Leder mit farbiger Applikatur, Pelz, Filz und Blattgold gearbeitete Masken von Elchen.

Die Naturgeister oder Dämonen wurden meist durch phantastische und grauenerregende Masken dargestellt, die in vielen Fällen erst in späterer Zeit das Schreckhafte verloren, um sich mehr und mehr zu vergeistigen. So wird die zähnebleckende griechische Gorgonenfratze der archaischen Zeit zu der an der Tragik ihrer Schicksalbestimmung leidenden Medusa der Spätzeit. Seltsamerweise jedoch finden sich groteske, dem Gorgoneion ähnliche Masken nicht nur an den Tempeln antiker Götter, sondern auch an karolingischen und romanischen Kirchen, so daß auf Gemeinsamkeit des Grundgedankens geschlossen werden kann.

Die in ihren Anfängen in mystischem Spiel sich bekämpfenden Maskengruppen entwickelten sich in höheren Kulturen zu einfachen Mythen und Epen. Menschen oft halbgöttlichen Ursprungs kämpfen mit Göttern und Dämonen. In den lamaistischen Klöstern werden zu bestimmten Zeiten religiöse Tanzspiele aufgeführt, welche in mancher Beziehung an die christlichen Mysterienspiele des Mittelalters erinnern. Während jedoch bei diesen nur die Passion Christi wiedergegeben wurde, haben jene neben der Darstellung von Göttern und ihren Legenden auch noch einen magischen Zweck: durch die Vornahme ganz bestimmter Zeremonien sollen das Böse vernichtet und die Feinde der buddhistischen Lehre besiegt werden. Die Tänzer, die Götter und ihre Gehilfen und Heilige und ihre Schüler danstellen, tragen großartige, oft furchterregende Masken und Sind mit prächtigen farbigen Seidengewändern bekleidet.

D ie Maske spielte in Tibet eine besondere Rolle. Sie besaß eine mythische Funktion, durch die sie das Spiel weit früher zur Bedeutung unseres heutigen Theaters hinaufzuheben vermag. Ihre suggestive Macht läßt sich auch daran erkennen, daß viele Zuschauer so mitgerissen wurden, daß sie in das Spielfeld hineinstürzten und niederknieten, um sich von den Masken segnen zu lassen.

In Japan hingegen entwickelte sich das Theater aus den rituellen Tänzen und Spielen des Dengaku, einer Art Erntedankfest, und dem Sangaku, das unseren Fastnachtspossen vergleichbar ist. Das japanische No-Spiel jedoch stellt bereits die äußerst verfeinerte Form eines höfischen Musikdramas dar. Es kann dabei von einer Oper mit Solotänzen gesprochen werden, die einen pantomimischen Charakter haben. Die Hauptfigur bildet ein Tänzer mit Maske und einer ungeheuren Haarmähne. Die langen Haare sollen seine Bedeutung als Geist erklären. Seine langsamen feierlichen Bewegungen, sein übertrieben reiches Kostüm, die Maske selbst und jedes Wort des mit tiefen Kehllauten dumpf, oft fast gurgelnd gesungenen Textes sind streng geheiligte Überlieferung.

Auch das Marionettentheater ist Maskentheater, das japanische Schattentheater mit seinen wundervollen, aus Büffelleder geschnittenen Wayang-Figuren ebenso wie die surrealistische Marionette aus Stahlfedern und kubistischen Kegelformen. Jedoch ist es in diesem Fall nicht die Maske, welche dem Menschen ihr Eigenleben aufdringt, sondern der Mensch vermag seine Intentionen in der Maske zu verwirklichen. Er gibt ihr Bewegung, Bedeutung, Wirklichkeit. Aber ob der kultische Maskentänzer eine andere Realität sucht oder der Marionettenspieler in seinen Figuren das andere zu konkretisieren — in beiden Fällen bleibt die Maske, was sie ihrer ursprünglichen Bestimmung nach ist: Ausdruck und zugleich Instrument der menschlichen Verwandlungsfähigkeit.

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