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Masken, Magie, Metamorphosen

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Am Eingang zur neuen Ausstellung im Museum für Völkerkunde in Wien hängen bunte Bilder: Buschmannmalerei. Unter einem von ihnen, einem Felsbild aus Natal, steht: „Antilopenköpfige Männer tragen erbeutete Antilopen.“ Schon dieses Bild führt uns ins Herz der Ausstellung „Maske, Pantomime und Schauspiel bei fremden Völkern“. Die Buschmänner gehen auf die Jagd — getarnt in der Maske der Jagdtiere; diese Tiermaske aber bleibt nicht nur Tarnkappe, von ihr geht auch Jagdzauber aus. Für die Dauer der Jagd nehmen die jagenden Buschleute das Wesen des Jagdtieres an und sehen mit Antilopenaugen auf ihr Wild; so lange, bis sie die Beute heimgebracht haben.

Die Maske hat magische Kraft Sie kann ihren Träger in ein anderes Wesen verwandeln, und sie kann Einfluß gewinnen auf Dämonen und Menschen, die ihr begegnen und sie sehen. Es gibt die liberische „Palavermaske“ des obersten Richters, die durch ein Tiergesicht Gesetzesfurcht verbreitet, die „Wächtermaske“, die uns mit den Augen der Toten ansieht und erschreckt, Masken aus Maisstroh, die von den Mitgliedern indianischer Geheimbünde anläßlich des Krankenzeremoniells getragen werden. Die Masken können aber auch Dämonen personifizieren; die Masken eines brasilianischen Stammes, aus bemalten Rindenstoffen gefertigt, verkörpern mythologische Wesen, wie Wald-, Fisch-, Insekten- und Vogelgeister. Bei den Totenfeiern erscheinen sie und haben schützende Wirkung. Meist aber geht von den Masken Angst und Schrecken aus; die Furcht vor dem Bösen und Bedrohenden der Welt wird nach außen projeziert und verdichtet sich in einigen unheimlichen Federhelmen und raschelnden Gewändern.

Masken werden bei Tän?en getragen (man denke nur an den Tanz der Maskierten bei indonesischen Festen in Federverkleidungen, die bis zu den Knien reichen. Der Tänzer verkörperte hier ursprünglich einen Wassergeist, der Frauen und Kinder erschreckte; und an den Bisontanz der Prärieindianer). Und Masken gehören untrennbar zum Theaterspiel.

Theater und Tanz sind so alt wie der Mensch. Märchen und Mythen der alten Völker erzählen davon, daß der Mensch ein anderes Ich annehmen kann, daß er von Dämonen besessen wird, daß er zum Tier werden und sich zurückverwandeln kann in Menschengestalt. Der Ursprung des Theaters ist die Verwandlung. Der Schauspieler trägt eine Maske (oft mag es nur die akustische Maske einer verstellten Stimme sein); mit ihr verschmilzt er zu einem neuen Wesen. Der Mensch steht einem übermächtigen Schicksal gegenüber, dunklen und hellen Mächten, die stärker sind als er; in der Maske wagt er ihnen zu begegnen, zeigt er seinen Kampf, sein Unterliegen, seine Rettung. Theater, Tanz, Pantomime, Spiele — das alles liegt bei den alten Völkern noch nahe beisammen, ist integrierender Teil des Lebens, gehört seinem großen Zeremoniell an.

Das Theater entsteht spontan. Es ist ursprünglich Stegreif- und Einmanntheater; ein Pygmäe spielt sich selbst ohne Maske, ohne Bemalung Szenen aus dem Affenleben vor — Darsteller und Publikum in einer Person. Der Urdialog wird zwischen Schauspieler und Publikum gesprochen, zwischen denen es keine starre Trennung gibt. Alle nehmen am Spiel teil, die Zuchauer können zuweilen sogar in die Handlung eingreifen und die Gespräche weiterführen.

Jetzt müßte man, um einen kleinen Eindruck von der Vielfalt des Schauspiels in aller Welt zn geben, nennen: das javanische Schattentheater, dessen au Büffelleder geschnitzte Figuren Gestalten aus den indischen Epen Mahabharata und Ramayana darstellen; die birmanesischen Marionetten (Prinz, Dame, Dämon, Tiger, Elefant, Hanuman, der Affenminister), die von monotonen Tanzrhythmen, unterbrochen durch abgehackten Gesang, begleitet werden; das chinesische Schattenspiel, mit der seltsamen Geschichte vom Fuchsmädchen und vom Teufelsaustreiber; die javanischen Puppenspiele, die die Geschichte des Islams auf Java darstellen; das Tanzspiel in Lhasa mit dem Tanz der Skelette (das Völkerkundemuseum hat ihm eine eigene, in die Wand eingelassene Aufstellung gewidmet); die vielfältigen Formen des Theaters in Japan, in der Südsee, in den beiden Amerika ...

Wie sehr das Leben in seinen Anfängen als Zeremonie erscheint und Schauspiel und Religion zusammenhängen, erzählt die amerikanische Bilderhandschrift Codex Borgia, die aus Cholula, einem der religiösen Zentren des vorspanischen Mexiko, stammt. Sie schildert die Mystik des Herzopfers (aus neun Sonnen, mit denen Leib und Glieder einer Gottheit besetzt sind, werden Herzen geschnitten) und enthält auch den einzigen erhalten gebliebenen originalen Bildbericht von einem kultischen Drama in einem altmexikanischen Tempel: die Zeremonie der Oeff-nung des heiligen Bündels. Nach einem kultischen Ballspiel und dem Tanz der Priesterinnen wird das heilige Bündel geöffnet. Ihm entströmt dichter Rauch mit vielen Vögeln und heiligen Dingen ..

Die Ausstellung im Völkerkundemuseum ist vortrefflich zusammengestellt, die Masken und Gewänder in den Vitrinen gewinnen Leben, Karten und Schaubilder erleichtern die Uebersicht. Der Versuch, uns das Wesen von Maske und Schauspiel bei fremden Völkern nahezubringen, wird hervorragend durch einen von Dr. Walter Dostal zusammengestellten Film unterstützt, zu dem Herbert Melichar — mit einem Mattig-Magnetophongerät — die Tonaufnahmen machte. Er zeigt unter anderem Originalaufnahmen aus „Liang-schan-po“ und von Filchnei aus Tibet; Tonaufnahmen aus Indonesien und Aethi-opien machen uns mit dem Charakter fremden Theaters und Tanzes vertraut. Es ist dankenswert, daß das Wiener Völkerkundemuseum diese neuen Wege beschreitet, die uns seine Schätze zu einem echten Erlebnis werden lassen.

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