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Aus der exotischen Well der Maske

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Wenn wir Menschen der Zivilisation Masken tragen, etwa zur Faschingszeit, dann wollen sich die Träger der Masken hinter diesen mehr oder weniger merkwürdigen Gebilden verbergen. Sie wollen sich tarnen, sie wollen als etwas anderes erscheinen als sie wirklich sind. Die Träger der Masken aber selbst bleiben die gleichen Menschen, und niemand zweifelt daran. Ganz anders sind die Motive der sogenannten Primitiven oder, sagen wir besser: der exotischen, der uns fremdartigen Völker.

Die exotischen Völker tragen Masken, um einen mystischen Wandel zu vollziehen. Der Maskenträger wird im Augenblick der kultischen Handlung — das Tragen der Masken ist in den allermeisten Fällen der weihevolle Akt eines religiösen Kultes — zu einem höheren Wesen. Das äußere Mittel, das diesen wesentlichen Wandel vollzieht, ist die Maske. Nicht jeder Mensch darf eine Maske tragen, sondern nur jener, der durch das ihm auferlegte Amt dazu berufen ist. Auch nicht jeder beliebige Mensch darf eine Maske verfertigen und auch der dazu auserwählte Künstler nur unter Einhaltung bestimmter Gebote und Verbote. Die Maske muß, ehe sie im Zuge der kultischen Handlung diese verwandelnde Kraft auszuüben vermag, geweiht werden, das heißt, sie wird mit Opferblut bestrichen. Wenn aber die Maske einmal geweiht ist, dann ist sie ein geheiligtes Instrument, das an bestimmten sakralen Orten aufbewahrt wird und das niemand, außer dem berufenen Maskenträger, wagen würde zu tragen oder auch nur vor das Gesicht zu halten.

Im Maskenkult der exotischen Völker wird die alte religiöse Sehnsucht der Menschheit offenbar: Mit dem geheimnisvollen Unerklärbaren, mit dem Transzendenten, mit dem Göttlichen eine reale Verbindung herzustellen, eine Sehnsucht, die erst im Christentum ihre Erfüllung gefunden hat. Wobei gesagt werden muß, daß dieses Transzendente bei den verschiedenen Naturvölkern der Erde recht unterschiedlich aufgefaßt wird. Wir können im Maskenwesen der Exoten eine Art Mystizismus feststellen, was durch die Darlegung einiger Beispiele unschwer zu erkennen sein wird.

Der Schamane, das ist der Zauberpriestet Sibiriens oder der Zauberpriester der Eskimos, sucht durch Fasten, durch rhythmische Bewegungen und Trommellärm im Zustand der Trance seinen Schutzgeist, der tierisch oder menschlich gedacht wird, zu bannen. Mit seiner Hilfe ist er bestrebt, Kranke zu heilen oder die Zukunft vorauszusagen. Bei dieser Prozedur trägt er vielfach die Maske seines Schutzgeistes. Aus dieser Maske heraus spricht im Höhepunkt der Zeremonie der Schutzgeist des Schamanen zu den Menschen. Das Bestreben, die Verbindung mit dem Uehersinnlichen, mit der Geisterwelt, herzustellen, ist hier vollkommen deutlich.

Und ist es nicht das gleiche, wenn sich im westlichen Afrika die Ahnengeister in den Masken inkarnieren? Es sind ja dort die Ahnen, die für das Wohl und Wehe der Menschen verantwortlich gehalten werden und insbesondere für die Fruchtbarkeit der Felder, für den befruchtenden Regen zu sorgen haben. Das Transzendente, das hier in der Ahnenmaske „Wirklichkeit“ wird, ist die geglaubte schöpferische Kraft der Ahnen.

An anderen Stellen der Erde, zum Beispiel bei den durch ihre Holzschnitzkunst so berühmten Indianern der Nordwestküste Nordamerikas, sind es mythische Gestalten der Stammesiegenden und der Stammessagen, di in der Maske irdische Gestalt annehmen. Zui Zeit der großen Winterfeste wurden bei diesen Völkern durch dazu berufene Maskenträger, die Mitglieder bestimmter Geheimbünde waren, diese heiligen Gestalten au: einer überirdischen Welt verkörpert. Welche, hohe künstlerische Empfinden dabei dii Schnitzer der Masken dieser barbarischer Völker besaßen, beweist die abgebildete Gesichtsmaske der Nutka. Sie ist im Besitz des Museums für Völkerkunde in Wien. Wie groß der Glaube an die Inkarnation der überirdischen Wesen in der Maske ist, zeigt eine Sitte der Batak Sumatras, die kurz beschrieben werden soll. Einige Jahre nach dem Tode kehrt der Verstorbene als Totengetst in einer Maske wieder. Beim Dorfeingang wird er von den Angehörigen mit allen Zeichen der Liebe empfangen und in das Dorf geleitet. Hierauf erst erfolgen entsprechende Totenzeremonien. Aber nicht nur Ahnengeister, Totengeister, heilige Gestalten der Vorzeit oder Schutzgeister nehmen in den Masken sichtbare, greifbare Realität an, sondern auch Götter werden in ihnen lebendig. Es sind die Masken der Tschamtänze Tibets, die zum tibetanischen Neujahrsfest mit schweigsamen Pantomimen in den lamaistischen Klosterhöfen die vielen ergriffenen Zuseher von den Sünden des vergangenen Jahres befreien. Viele dieser Masken sind Götter mit ihren Gehilfen, und alle hohen und niedrigen Teilnehmer dieser Feste glauben an die wirkliche Anwesenheit der Götter in den Masken.

Wesentlich ist bei allen diesen Maskenauftritten der Exoten, daß sie verbunden sind mit dem Maskentanz. Die Masken dürfen nicht einherschreiten, so wie sie es wollen. Ihr Auftritt ist vielmehr in ganz bestimmter Weise geregelt, er spielt sich in unabänderlichen Rhythmen ab, die von Generation zu Generation vererbt werden. Zum Auftritt der Maske gehört der Tanz, ein religiöses Moment, das in der modernen Zivilisation zur Gänze aus dem Bereich des Religiösen entschwunden ist.

Wenn wir aber nur in diesen religiösen Absichten die Funktion der Masken sehen würden, so würden wir das Maskenwesen der Exoten nur halb verstehen. Die Masken haben an vielen Stellen der Erde soziologische Aufgaben auszuführen. Im Bismarck-Archipel Melanesiens erscheinen die Masken der Meergeister, Angehörige des Duk-Duk-Bundes, um Vergehen bestimmter Dorfbewohner gegen Sitte und Brauch zu ahnden. An der Loango- küste in Afrika haben bestimmte Masken richterliche Funktionen zu erfüllen. Sie entscheiden zivilrechtliche Streitigkeiten, wie wir sagen würden, und geben ihre Urteilssprüche mit hoher Fistelstimme bekannt. Ihre Autorität ist unerschütterlich, gegen ihre Entscheidungen gibt es keinen Rechtsmittelweg mehr. An der Westküste Afrikas, in Sierra Leone, ist es Aufgabe der Masken des Bundu-Geheimbundes, die jungen Mädchen zu erziehen und sie in ihre fraulichen Pflichten einzuführen. Ihre schwarze, intet-, essante Stülpmaske ist neben vielen anderen Masken im Wiener Museum für Völkerkunde ausgestellt. Ein besonders gruseliges Stück ist wohl die Maske eines sogenannten Leopardenbundes, die ebenfalls in einer Vitrine des gleichen Museums zu sehen ist. Die Leopardenbünde sind im westlichen Afrika bis in den Kongo hinein verbreitet und stellen eine üble Entartungserscheinung des Masken wesens dar. Die Angehörigen dieser Bünde geben vor, sich in Leoparden verwandeln zu können. Dieser Tierverwandlungsglaube ist bei Naturvölkern nicht selten, wird aber hier zu Erpressungen mißbraucht. Denn wenn die von dem Bunde verlangte Buße nicht bezahlt wird, erscheinen nachts die Leopardenmenschen, angetan mit der Leopardenmaske, und reißen mit einer eisernen Kralle, die Kralle des Leoparden nachahmend, dem Opfer die Halsschlagader durch. Ein solches Verhalten hat natürlich mit dem religiösen Streben, die Brücke zum Transzendenten zu schlagen, nichts zu tun, sondern ist nur mehr Ausfluß der Habgier: eine Entartungserscheinung.

Obwohl wir bereits in den Höhlenmalereien, in den Felszeichnungen der Altsteinzeit Beweise der Existenz der Mäskt haben, liegt der historische Werdegang ihrer Entwicklung im dunkeln. In unserem Kulturbereich ist dieses noch bei vielen Völkerr Asiens, Westafrikas, Brasiliens und Melanesiens lebendige Maskenwesen nicht mehl vorhanden. Wo es noch in eigenartigen kulturhistorischen Resten vorkommt, wird es kaum noch richtig verstanden oder al: Faschingsscherz betrachtet. Hierher würdet beispielsweise gehören die am Faschingdienstag im Kanton Wallis in der Schweiz, irr Lötschental, auf tretenden Masken. Sie sind leicht als ehemalige Fruchtbarkeitsdämonen zt erkennen. Eine ähnliche Deutung haben aucf die schönen und „schiachen“ Perchten, die in den zwölf Rauhnächten zwischen derr Heiligen Abend und dem Heiligen-Drei- Königs-Tag im Salzburgischen und im Tirolischen ihr Unwesen treiben.

Sehr selten finden wir bei Naturvölkern die Masken in der Rolle von Spaßmachern, wis diese bei den Puebloindianern des südlicher Nordamerika vorkommen. Sie haben keine andere Funktion, als durch ihre Scherze und Späße die Zuschauer zu erheitern. Es scheint, daß sich nur in dieser ursprünglich offensichtlich nur sekundären Bedeutung der Gebrauch von Masken auch in unserem Kulturbereich bis auf den heutigen Tag erhalten hat.

Am Sonntag, den 9; Mai 1954, 11 Uhr, hält Dr. Norbert M y.l i u s im Museum für Völkerkunde, Wien I, Heldenplatz, Neue Hofburg, eine Sonderführung für die Leser der „Furche": Masken der Exoten.

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