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Maskentreiben in Tirol

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Wer einen tirolischen Fastnachtsbrauch erlebt, wird überrascht von einer Reichhaltigkeit der Masken und der Typen, die selbst die Schweizer und Furlaner Maskenorte übertrifft.

Im Bereich des alten Tirol gibt es noch heute Mummereien und Spiele verschiedener Gemeinden, die im Zusammenhang mit dem Naturerleben stehen und nur in Masken, vornehmlich selbstgefertigten Holzmasken, vorgeführt werden. So kennen die bedeutendsten Fasthachtsorte des Inntals, wie die Stadt Imst, der Markt Telfs, die Dörfer Nassereith, Axams, Thaur, Rum und Ab-sam sowie die Silltaler Ortschaften Matrei und Steinach, Maskenvorführungen in der Fastnachtzeit, während in Alpach oder in Osttirol solche Maskenumzüge vor allem in der Mittwinterzeit bis Dreikönig herum üblich sind. Der ganze Vintschgau und- die Etsch herunter bis Salurn kennt die Ackerbräuche der Fistnachtzeic in alter Gestalt.

Aber auch theatralische Aufführungen im Ahrntal und anderen abseitigen Tälern werden in dieser Jahreszeit ausschließlich maskiert von Burschen und Männern gespielt. Daß nach altem, strengem Brauch nur männliche Mitwirkende und einwandfreie Mitbürger zum Zuge kommen, hat seine besondere Geschichte.

In verkehrsarmen Tälern bestand noch im vorigen Jahrhundert fwst allgemein die Anschauung, daß jeder Spieler maskiert aufzutreten, das heißt, daß seine Person vollständig hinter der Maske zurückzutreten hat und in dem Geist der Maske aufgehen soll, gleichviel, ob er in einem Bühnenstück hervortritt oder irgendeine Volkstype in einem Umgangsspiel wie dem Perchtensprin-gen oder dem Nikolausaufzug innehat. Das ist fraglos die ursprüngliche Vorstellung, daß die Maskierung zu jedem Spiel gehört, daß noch Maske und Geisterglaube untrennbar miteinander verbunden sind. Diese Vor-

Stellung erhielt sich für gewisse Rollen selbst in den großen Volksschauspielen bis in die neueste Zeit. So erschien der Teufel, der dem Judas den Strick reicht und ihn schließlich zu sich in die Hölle holt, im Erler Passionsspiel noch in dessen erfolgreichsten Jahren 1912 und 1922 mit einer unheimlichen Satanslarve und in höllisch schimmerndem Kostüm. Den alten Erlern war eben ihr Spiel kein Theater, sondern echte Erlebniswelt. Hiezu diente die Maske als unentbehrliches Hilfsmittel: durch sie vermochten Darsteller und Zuschauer in das Wesen und in die Welt der Geister einzudringen und in ihnen aufzugehen. Viele maskierte Spiele. Tänze und Riten des Volkes wuchsen aus diesem Glauben heraus.

Im Mittelalter trugen die Darsteller aller überirdischen Gestalten, also Gottvater, Engel, Teufel und Tote sowie die Darsteller der fraulichen Rollen, die Männer waren, Masken. Die Maskierung der verschiedenen Arten von Teufeln, die ja bestimmte Laster zum Ausdruck bringen sollten, war auf das reichhaltigste abgestuft und grotesk ausgestaltet. Davon geben die Gemälde des großen Neustifter und Brunecker Meisters Michael Pacher eine eindringliche Vorstellung. Diese grinsenden Fratzen sind echter Volksausdruck nach den damaligen religiösen Vorstellungen, die noch weit in die Neuzeit hineinreichen. Dagegen fallen die gleichmäßigen, starren Masken der Engel, die fahlgelben stilisierten Larven der Toten und die zierlich-lieblichen der Frauenrollen stark ab.

Es wäre daher falsch, sähe man nur in den wilden, grotesken und fratzenhaften Masken altes und urtümliches Gut. Das regelmäßige, glatte Maskengesicht ist sicher ebenso \\t und echt, ja vielfach älter und ursprünglicher als die Mode, recht realistisch-drastische Gestalten darzustellen. Zum ältesten zählen die ganz einfachen, ernsten Totengesichter. Neben Tier, Teufel und ländlicher Groteske hat also das Schemenhafte, wie es das Rokoko zum Beispiel in den Imster „Rollern“ festgehalten und mit kleinen Mündchen und roten Bäckchen verniedlicht hat, nicht bloß eine kunst- und kulturgeschichtliche Bedeutung, sondern hinterläßt mitsamt dem großartig barocken Kopfaufputz, dem Prangschmuck, einen starken Eindruck, der gerade die Tiroler Schemenläufer zu einer volkskundlichen Weltsehenswürdigkeit gemacht hat.

Wie der Name der doppelsichtigen Mythengestalt der Dreikönigsnacht, der Frau Bercht, in Tirol bis ins 8. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann, begegnet auch die Bezeichnung und Auslegung des Wortes „Scheme“ als einer Brauchgestalt des Volkes zuerst in “einer Tiroler Handschrift des 13. Jahrhunderts, die entweder nach S t a m s oder Neustift bei Brixen gehörte. Im Mittelalter und im 16. Jahrhundert sah man in den tirolischen Fastnachtlern nur Schemenläufer, gleichviel, ob sie im Silltal oder im Vintschgau, in der Scharnitz, rund um den Fernpaß oder in Pfunfs oder Serfaus sich zeigten.

Etliche Oberinntaler Ortschaften sowie aus der Umgebung von Innsbruck und dem Vintschgau haben manches vom alten und echten Maskenbrauch des Volkes bis auf den heutigen Tag in Ehren gehalten. Mehr oder weniger schimmert noch in jedem der ursprüngliche Sinn der Maskierung und ihre alte kultische Bedeutung durch. Die Ausstattung manches Tiroler Fastnachtlers ist 150 Jahre alt; ja etliche Teile gehen noch auf frühere Zeiten und Erzeugnisse zurück. Sie wurden von Geschlecht zu Geschlecht behütet und vererbt wie ein wichtiges Stück des Hauses. Mit den beiden “Weltkriegen haben diese Bräuche ungemein viel an ideellen, sozialen und materiellen Gütern eingebüßt. Vieles ist abgewandert oder zugrunde gegangen. So ist zum Beispiel der kostbarste Bestand der weltberühmten Imster Schemenläufer beträchtlich geschmälert und der ganze mühsam erworbene Schatz an Kostümen und Masken, den die verdienstvollen Berater und Leiter des Imster Stadtmuseums im Verlaufe von Jahrzehnten dort zusammengetragen hatten, vor allem der Amtsarzt Dr. Pfeiffenber-g e r und der Kunstmaler Thomas W a 1 c hy beim Zusammenbruche im Mai 1945 verlorengegangen. Darunter befanden sich alte Kunstwerke einheimischer Bildschnitzer, wie sie gerade Imst und das obere Inntal, die Heimat Jakob Prandtauers, Matthias von Brauns, AI. Gabis, Herrn. Klotzs, der Brüder Renn, in auffallender Zahl aufzuweisen hat.

Diese unersetzlichen Einbußen mögen mit ein Grund sein, daß die Imster Schemenläufer sich noch nicht entschließen konnten, mit ihrem alten Brauch, den sie 1938 zum letztenmal auf das großartigste durchgeführt und damit die Bewunderung vieler Fachleute errungen hatten, wieder hervorzutreten. Imst wird trotzdem nach wie vor die klassische Stätte des Tiroler Schemenlaufens sein und bleiben und früher oder später mit erneuerter Maskeppracht und mit seinen zierlichen Schementänzen erfreuen.

Das Schemenlaufen ist ein frohes Volksfest und ein sinnvoller Brauch, der in seinen äußeren Formen vornehmlich ins 18. und 17. Jahrhundert zurückreicht, vereinzelt jedoch viel älteren Ursprungs ist. Der Kampf zwischen dem Düsteren und Lichten ist vor allem in dem Schemenpaar „Scheller“ und „Koller“ verkörpert, die nach ihren schweren Lärmschellen und klingelnden Glöckel-chen benannt sind. Aber auch bei anderen Masken und Fastnachtsarten Tirols ist ein Stück Natur, Heimat und Gestaltungsfreude sichtbar. Die alten und die neuen Fastnachtler verschwenden viel Mühe und Opfer darauf, die herkömmlichen Gestalten nach bester Überlieferung fortzusetzen, auf die sie stolz sind als ihre eindrucksvollste persönliche und gemeinschaftliche Leistung. ' Lange Wochen vor der Fastnacht wird dafür allabendlich im geheimen gearbeitet, gespart und alles nur mögliche aus der ganzen Umgebung aufgeboten, um im einzelnen und in Gruppen das Beste zu leisten, ja vielleicht sogar die letzte Fastnacht noch zu überbieten. Nicht bloß die Kostümierung der alten Maskentypen, auch der Spürsinn nach neuen Ideen, neuen Scherzen, Neckereien und anderem Schabernak wird aufs äußerste angestrengt, um immer neue Überraschungen im Dorfe bieten zu können.

Jeder Ort wahrt eifersüchtig seine fastnachtliche Eigenart und seinen Stil. Das besagt schon die Bezeichnung für den Brauch. Die Imster sagen: „Huire (heuer) giahn mer in d' Schalle!“ und sprechen damit aus, daß ihre „Scheller“ und „Roller“ das Anziehendste und Eindrucksvollste ihrer Fastnacht geworden sind. Die Nassereither erzählen, daß sie „in die Fastnacht gehen“. Man beginnt dort mit dem „Fastnachtsschnöllen“ der Burschen und mit dem „Fastnachtssuchen“ der ersten Masken und endet mit dem „Fastnachtsbegraben“. Die Telfer reden von ihrem „Schleicherlaufen“; denn ihre Hauptmasken tragen kostbar aufgetürmte Riesenhüte, auf denen ganze Landschaften, Almwirtschaften und andere Berufsbilder zu sehen sind, so daß ihre Darsteller nur mehr so dahinschleichen. Die Axamer Fastnachtler nennt man „Wamperlreiter“, weil sie sich stark ausstopfen, daher „wampet“ aussehen und, auf ihre Opfer sich stürzend, reiten. Den Thaurern ruft man „Huttie!“ zu, weil ihr Fleckerlgewand von vielen bunten Kleiderabfällen, Hudeln oder Hudern, zusammengenäht ist und wie ein Schuppenpanzer aus Lumpen aussieht.

Natürlich freuen sich die darstellenden Burschen — Mädchen und Frauen sind an der Mitwirkung vollständig ausgeschlossen —, wenn sie recht viele Zuschauer anlocken, wenn sie dem und jenem einen Possen spielen dürfen und es bei ihrer Fastnacht recht fidel und lustig zugeht; denn sie wollen ja alles Faule und Ekle, alles Winterliche und Zurückgebliebene von sich abstoßen, endlich wieder frei von altem Druck leben. Wenn am 13. Februar die

Nassereither Fastnachtler eine neue Zeit einläuten, nachdem viele schwere Jahre unser Volk und Land bedrückt haben, so ist es nicht bloß die alljährlidie Sehnsucht nadi Licht und Lenz, sondern tausendmal mehr geworden, nach dem unser Leben verlangt: es ist ein Schrei nach Befreiung und Erlösung. In seinem tiefsten Sinn ist die Tiroler Fastnacht zeitlos und an keinen Ort .ebunden. Solange die Tiroler Fastnachtler hrem alten Brauchtum treu ergeben, natur-, volks- und heimatverbunden bleiben, werden sie aus einer nie' versiegenden Quelle frische und schaffensfrohe Kraft schöpfen.

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