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PUPPEN, PUPPEN, PUPPEN…

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Nach dem heutigen Stand der Forschung ist das Puppenspiel 1000 Jahre alt. Überlieferungen zufolge haben es die Zigeuner nach den westlichen Mittelmeerländern und in späterer Folge Gaukler, die sich im Troß des römischen Heeres befanden, nach dem germanischen Norden gebracht. In Wien dürfte die Popularisierung des Puppen- und Mario- nettenispiels erst nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges stattgefunden halben. Im 18. Jahrhundert erlebte es eine Glanzzeit. Man führte damals vorwiegend Opern und Sing- piele auf. Aber auch das folgende 19. Jahrhundert bann einige berühmte Namen aufweisen. Matthias Tendier zählte zu den Altmeistern des Puppenspiels. Eigentlich ist es verwunderlich, daß es auch noch in unserer hochtechnisierten, von Film, Fernsehen und anderen Maasenmedien beherrschten Zeit Leute gilbt, die mit ihren Puppen und Marionetten wahre Triumphe feiern.

Einer der bekanntesten Initiatoren des heutigen modernen Puppentheaters 'ist der Wiener Lehrer Hans Kraus, der auch der Gründer der bekannten „Urania-Puppenspiele“ ist und im Rundfunk und Fernsehen ein ständiger Gast wurde. Seine 300 Puppen hat er alle eigenhändig verfertigt. Seine Frau ist infolge einer übermäßig starken Beanspruchung des Meisters selbst zu einer guten und versierten Puppenspielassistentin geworden.

Modernes Puppentheater führt auch Prof. Armini Roth- stein mit seiner „Fadenbühne im Künstlerhaus“ auf. Auch er stellt alle Figuren selbst her und verfaßt sogar die Texte zu den einzelnen Stücken. Die Puppen Prof. Rothsteins sind grote3k-skurille Geschöpfe, teils der Phantasie entsprungen, teils Persönlichkeiten unserer Zeit nachempfunden. Da gibt es neben Altbundeskanzler Adenauer und Fidel Castro eine attraktive Puppen-Brigitte-Bardot und Elvis Presley sogar mit Gitarre in seiner besten Zeit. Marionettentheater im Atomzeitalter! Auch auf diesem Sektor hat der Fortschritt nicht haltgemacht.

Weltberühmt jedoch wurden die „Salzburger Marionetten“, die nur einen Bruchteil des Jahres in ihrer Heimatstadt verbringen, weil sie die übrige Zeit auf Tournee sind. Ihre Gastspiele führten sie bisher in 37 Länder und sie sprachen und sangen ihre Stücke in mehr als fünf Sprachen, darunter sogar japanisch. Aber auch die Beliebtheit dieser Bühne in Salzburg selbst ist enorm. Bisher fanden 12.000 Vorstellungen mit mehr als drei Millionen Besuchern statt. Das Repertoire der „Salzburger Marionetten“ läßt sich sehen. Schauspiele, Märchen und mehr als 150 Opern, für die ein „Ensemble“ von etwa 1500 Figuren zur Verfügung steht.

Im Ausland halben sich besonders die „Zürcher Puppenspiele“ und das „Laibacher Puppentheater in München“ einen Namen gemacht. Letzteres besitzt sogar einen eigenen Dramaturgen und ausgebildete Sprecher, meist Schauspieler, die jeder Puppe ihre ganz bestimmte Ausstrahlung verleihen.

In Süddeutschland gibt es einen Mann, der vom Puppentheater derart besessen ist, daß er ein „Ein-Mann-Theater“ gründete und jung und alt gleichermaßen zu begeistern vermochte. Heinrich Maria Dennelborg heißt der Puppenidealist, und er ist alles in einer Person: Vorführender, Sprecher, Autor, Requisiteur und Theaterdirektor. Der Hauptschauspieler ist bei ihm nach wie vor der gute alte Kasperl. So schuf Denneborg eine Fassung des „Jedermann“, mit der er großen Erfolg hatte. Er rezitiert seine Texte meist mit geschlossenen Augen und bringt Stoffhüllen und Puppenköpfe mit der nur wirklich „berufenen“ Puppenmeistern eigenen Intensität zum Leben. Dennelborg, der neben Bühnenstücken und Hörspielen vor allem Kinderbücher schreibt, hatte die alte Mär vom Jedermann nach der Hecastusform von Hans Sachs frei nachgedichtet, und er allein führte alle zehn Puppendarsteller und ließ sie die alten Knittelverse sprechen.

Gebannt erlebt der Zuschauer mit, wie der Kasperl, der den armen Mann verkörpert, in die Hölle hinabsteigt, mit dem giftig roten Teufel kämpft, die Großmutter des Teufels mit ihrer blauen, spitzen Nase, den feuerroten Wollhaaren und der Fistelstimme überlistet und den reumütigen reichen Mann wieder auf die Erde zurückholt. Das ist Puppentheater, wie es isein soll. Voll nicht zu beschreibender Poesie, weltentrückt und bezaubernd.

Man wird’s nicht glauben, aber es ist wahr. Alljährlich findet in München ein Kasperlkongreß statt, bei dem sich Puppenspieler aus aller Herren Ländern treffen, ihre neuesten Schöpfungen an Figuren und Stücken vorführen und Ideen und Anregungen für die Zukunft sammeln. Außer diesem Kongreß existieren auch noch „Internationale Puppenspieltage“, die in der Ruhrstadt Bochum abgehalten werden und ähnlichen Charakter wie der Kasperlkongreß besitzen. Eine Besonderheit stellt hier allerdings noch eine Bewertung der aufgeführten Stücke dar; durch eine fachmännische Jury werden Preise verliehen. Die Klassifizierung der Stücke regt die Schöpfer zu Aufführungen von besonderer Güte an. Man bedient sich der Technik mittels Tonbänder, eingeblendeter Filme und raffinierter Beleuchtungen. Es ist ein bunter Reigen von Puppenspielen, angefangen vom klassischen Kas- perl-Bösewicht-Stück bis zum zeitgemäßen surrealistischen Einakter. Welche Bedeutung diese „Puppenspieltage“ haben, zeigt die Tatsache, daß man in Bochum sogar ein „Institut für Puppenspiel“ gegründet hat, in dem alle jene Grundlagen igelehrt werden, ohne die weder eine Laie noch ein Berufsspieler auskommen kann.

„ … lassen Sie sich Ihre Liebe und Vorsorge nicht gereuen.“ Soweit der größte deutsche Dichter. — Als im Jahre 1755 die „sowohl seriöse als lächerliche Aktion von dem ruchlosen Ende und erschröcklichem Leben des Erzzauberers Doktor Johannis Fausti“ urauifgeführt wurde, bezauberte das Spiel den damals noch verhältnismäßig jungen Johann Wolfgang von Goethe so sehr, daß er die vorhin zitierten Worte sprach. Man sieht also: das Gebiet der Puppenspielerei ist nicht nur naiv-igroteske Durchschnittsunterhaltung für Kinder, die nicht ernst genommen zu werden verdient. Es ist eine richtige Kunst, leblose Puppen zu beseelen. Und für die betreffenden Menschen außerdem Liebhaberei. Wer einmal mit dem Schnitzen, Bemalen, Bekleiden und Ausstaffieren seiner Puppen angefangen hat, kann es einfach nicht mehr lassen. Das Spielen mit den selbstgeschaffenen Figuren ist für so manche Puppenspieler zum Lebensinhalt geworden, der sie bis zu ihrem Ende mit viel Liebe zur Kreatur und weiser Einsicht für das Detail ausfüllt.

Waren es in früheren Zeiten vor allem „erschröckliche“ Themen, so bevorzugt man heute beim modernen Puppentheater Stoffe aus der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart. Im modernen Stück steht nicht mehr der tolldreiste Kasperl im Mittelpunkt der Handlung. Der Held ist vorwiegend ein ganz normaler Bürger und Steuerzahler, also ein Alltagsmensch. Und seine Gegenspieler sind nicht mehr grimmige Zaulberer, böse Feen und verzauberte Krokodile, sondern Wesen, die wir in unserer Zeit finden können: starrköpfige Beamte, gutgläubige Minister, nervöse Manager. Das Grundmotiv des modernen Puppentheaters gipfelt in der Frage: „Wie reagiert der einzelne Mensch in bestimmten, für unsere Epoche charakteristischen Situationen?“ Der einzelne — stellvertretend für die gesichts- und körperlose Masse der Durchschnittsmenschen — hat nun gegen allerlei Unbill und Mißliebigkeiten in seiner Umwelt anzukämpfen.

Zum Beispiel gegen Bürokratismus, Hinterhältigkeit oder Phrasendrescherei. Man kann allgemein feststellen, daß in der modernen Variante des Puppentheaters sehr aktuelle und zeitnahe Probleme aufgeworfen werden. Natürlich geht es nicht allzu ernst vor sich. Die handelnden Figuren werden meistens ins Lächerliche gezerrt,- man glossiert nicht selten. Der Held ist ein ebenso kreuzfideles „Springinkerl“, wie es der Kasperl war, er kommt auch immer durch alle noch so verwickelten Gegebenheiten glücklich zu einem frohen Ende des Stückes. Hinter all dieser Pseudokomik und Holzhammerbelustigung alber steht die wahre Aussage des modernen Puppenspiels: das Treiben des menschlichen Individuums im Strom einer von Übermaß, Rohheit und Unverstand deformierten Alltäglichkeit. Und gerade diese Tatsache läßt das simple Spielen mit Marionetten oder Puppen zu etwas Bedeutungsvollem emporwachsen, denn aus jeder Figur, aus jeder Geste, jeder Redensart und jedem Verhalten springt uns der Realismus unserer Tage entgegen, nicht selten souverän behandelt. Schon allein aus diesem Grunde besitzt das moderne Puppentheater neben den althergebrachten Überlieferungen des „klassischen“ Marionettenspiels unbedingt Existenzberechtigung.

Eine besondere Art der Puppenspielerei ist jene rund um die heldischen Stoffe. Die Heimat des heldischen Marionettenspiels ist Sizüien. Es entstand dort um die Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Tradition des weit älteren italienischen Marionettentheaters. Es geht da um Karl den Großen und seine Paladine — darunter den rasenden Orlando —, um die Befreiung Jerusalems, um ritterliche Ehre und Treue und um den Kampf mit dem Drachen. So sehr beliebt war das Puppentheaterspiel einmal in Sizilien, daß die Behörden sich gezwungen sahen, dagegen einzuischreiten. Denn stärker noch als das Personentheater war das Marionettenspiel eine sozialkritische Einrichtung. Hakennasige Männer und rotwangige Bürgersfrauen, dunkelhäutige Sarazenen im Turban und feingeschniegelte Höflinge, derbe Bäuerinnen und Edeldamen in grüner Seide sind die markantesten Figuren des heldischen Marionettenspiels. Der „Originalaufmarsch vor Karl dem Großen“ ist eine eindrucksvolle Sache. Die zwischen zwanzig und dreißig Kilo schweren und gut eineinhalb Meter großen Ritter werden von den Spielern an dicken Eisenstangen und festen Stricken zum Kampf geführt. Tod und Teufel sind meist ebenfalls -mit von der Partie, und alles ist von einer gewissen Mystik umgeben, strahlt diese allen heldischen Themen eigene „innere Spannung“ aus.

Einer der bekanntesten Puppenschnitzer ist der in Salzburg-Hellbrunn lebende 54jährige akademische Bildhauer Josef Magnus, der ständiger Mitarbeiter der „Salzburger Marionetten“ ist. Bis nun sind es an die 500 Puppen aller Größen, die Meister Magnus „zum Laben erweckte“. Selbst in Japan, dem klassischen Land des Puppenspiels, haben die bis zu 80 Zentimeter großen Figuren Aufsehen erregt.

„Zuerst lese ich das Stück, für das die Puppen gehören, und dann zeichne ich sie, wie sie mir in meiner Phantasie vor- schweben. Mit diesen Zeichnungen komme ich zur Regiebesprechung, bei der unter anderem auch die Größenverhältnisse der Puppen bestimmt werden.“ Mit diesen Worten umreißt der Künstler die Voibereitungsarbeiten für das eigentliche Schnitzen der Puppen, die übrigens aus Zirbelholz entstehen. Jede Puppe erhält nicht nur ein „normales" Gesicht, sondern zwei verschiedene Gesichtshälften — eine traurige und eine heitere —, um die augenblickliche Stimmung auf der Bühne besser ausdrücken zu können. Die Arbeit des Puppenschnitzers bedarf eines hohen Maßes an Genauigkeit, Phantasie und Konzentrationsfähigkeit, abgesehen von einer unerhörten Fingerfertigkeit und dem Quentchen Geduld, das unumgängliche Voraussetzung jeder Schnitzarbeit ist.

Haben sich auch Themen, Kostüme und Figuren im Laufe der Zeit gewaltig geändert, so vermag das Puppenspiel heute genauso wie vor hundert Jahren sein Publikum zu faszinieren. Damit weist es sich als eine Institution von fundierter Beständigkeit aus. Es soll heute wie ehedem pädagogisch-moralische Anstalt und Kritikum der Gesellschaft und ihrer Auswüchse sein. Ob nun der „Wurschtei“ seine Faxen macht oder Elvis Presley als bedenkliches „Zeichen der Zeit“ karikiert wird, immer und überall findet das Puppentheater seine Zuschauer, läßt sie lachen, bangen und nachdenklich werden. Nicht zuletzt diese Aspekte lassen das Puppenspiel moderner Prägung als einen Ruhepol unserer raschlebigen Epoche befürworten.

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