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Verfehlt bis sehenswert

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Wieder haben und hatten einzelne in unserem Jahrhundert maßlose Macht, die zu ungeheuerlichen Verbrechen verführte. Was sind das für Menschen? Würden sie entmachtet, käme da erst ihr wahres Wesen heraus? Shakespeare führt solch eine Gestalt in der historischen Tragödie „König Richard II.“ vor, die derzeit in einer Neuinszenierung des Burgtheaters dargeboten

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Wieder haben und hatten einzelne in unserem Jahrhundert maßlose Macht, die zu ungeheuerlichen Verbrechen verführte. Was sind das für Menschen? Würden sie entmachtet, käme da erst ihr wahres Wesen heraus? Shakespeare führt solch eine Gestalt in der historischen Tragödie „König Richard II.“ vor, die derzeit in einer Neuinszenierung des Burgtheaters dargeboten

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Richard ist in diesem Stück verschwendungssüchtig, tyrannisch, zynisch und habgierig, ein miserabler Herrscher, er, der Gesalbte, hält sich für uneingeschränkt frei für jedwedes Tun, aus der Vorstellung, unverletzlich zu sein. Als Gegenkräfte spürbar werden, bricht diese seine Vorstellung zusammen, er dankt ab, obwohl man ihn unter bestimmten Bedingungen wieder König sein ließe. Und nun erweist er sich als eine tief veranlagte Natur. Was ist er wirklich? Shakespeare beantwortet diese Frage nicht, er stellt das letztlich Unerklärbare alles Menschlichen in dieser Gestalt dar.

Regisseur und Bühnenbildner dieser Aufführung sind eine Person: Gerhard Klingenberg. Ein Fach werk stählernen Gestänges umgibt die Bühne, auf ihr befindet sich eine riesige dreh- und kippbare Metalltreppe, die auch als erhöhte horizontale Spielfläche dient. Das wird zu Effekten benützt, zu optischer Theatralik, zu billigen Symbolismen. Feierliche Monotonie bei spannungsloser Aufführung, die gelegentlich theatralisch aufflackert. Sitzen die Darsteller, dann fast stets am Boden. Michael Heitau hat die Pose des selbstherrlichen Königs, braust gelegentlich auf, das Schillernde bleibt er schuldig. Frank Hoffmann verfügt als sein Gegenspieler Bolingbroke lediglich über den stets gleichen schroffen Ton. Paul Hoffmann ist ein würdiger Gaunt. Erich Auer ein bieder aussehender, wankelmütiger York, Herwig Seeböck ein trotziger Norfolk. Gute, weniger gute Verkörperung der weiteren Rollen. In der Sucht, unkonventionell zu sein, entwarf der Engländer John Napier zum Teil ebenso ausgefallene wie unvorteilhafte Kostüme. Wohl noch nie gab es im Burgtheater neben Beifall dermaßen viele Buhrufe.

Die Figur des Ritters Blaubart stammt aus dem siebzehnten Jahrhundert, aus einem Märchen des Schriftstellers Charles Perrault, der Oberaufseher über die königlichen Bauten war. Weshalb wohl nahm Georg Trakl die Gestalt dieses Un-

holds als Vorwurf für ein Puppenspiel? Ein Inferno an abwegigen Trieben des eigenen Innern läßt sich darstellen, erschreckende Entblößung, die durch die Puppen relativiert wird. Aber nicht makabrer schwarzer Humor der billigen Sorte entstand, Dichtung glüht, sprüht auf in vielen gefährlichen Farben. Die „Komödianten“, Theater im Künstlerhaus, führen dieses Puppenspiel „Blaubart“, ergänzt durch andere Texte Trakls, unter der Regie von Conny Hannes Meyer mit ihren Darstellern vor, die als Marionetten agieren und die eigenwillige, ebenso großartige wie auch sperrige Sprache überaus gedehnt sprechen, wodurch sie dem Marionettenhaften adäquat wirkt.

Vorzügliche Inszenierung: Alles ist in Nacht getaucht, schwarzer Bühnenboden schwarze Podeste, noch und noch schwarze Vorhänge, nur die Darsteller hellen in überaus prunkvollen, farbig raffinierten Kostümen und prägnanten Masken heraus. Gespenstiger Eindruck, wenn sie in einet- großen Spiegelwand im Hintergrund der Bühne erscheinen. Gerhard Jax zeichnet für diese starken optischen Eindrücke. Die Musik von Bernt Burchhart und Rudolf Tinsobin stimuliert mit Dissonanzen trefflich die Vorgänge. Manfred Lukas Luderer hat das Ungefüge und Gefährliche des Blaubart, Heidi Hagl das allzu Hingebungsvolle des Opfers. Einen „Hofnarren“ mit Affenkopf stattet Gerhard Swoboda mit einer Fülle des Gestischen aus. Eine sehenswerte Aufführung.

Als Festwochenveranstaltung sah man im Theater im Künstlerhaus die international überaus erfolgreiche Truppe „Mummenschanz“, die aus den beiden jungen Schweizern Andres Bossard und Bernie Schnürchen sowie der jungen, in Rom aufgewachsenen Amerikanerin Flo-riana Frassetto besteht. Mummenschanz? Sie treten nur verlarvt auf. Zunächst ist die Vermummung so stark, daß man auf der völlig schwarzen Bühne überhaupt keine menschlichen Körper sieht, ein Rie-

senkissen bewegt sich, sackt zusammen, hopst auf einen weißen Podest. Das Unbelebte erweist sich überraschend als Lebewesen. Eine übergroße Muschel klappt auf und zu, besitzt eine genäschige Zunge. Die Darsteller werden zu lebenden Skulpturen fast abstrakter Art, ein schwarzes Gebilde mit zahlreichen weißen Beinklötzchen bewegt sich wie ein Tausendfüßler, andere Gebilde werden mit würfeligen und länglich quaderförmigen Teilen zu einer Art stereometrischer Menschen.

Dann aber treten die Darsteller mit nackten Händen und Füßen in schwarzen Trikots auf. Sie sind als Menschen zu erkennen, doch der Kopf besteht aus einer weißen Kugel oder aus einer weißen Scheibe mit scharf abstrahierten Andeutungen eines Katzen- oder Affengesichts, und nun bewegen sie sich auf Katzen- oder Affenart. Es wird abstruser: Die viereckige Gesichtsscheibe nimmt zwanzig weiße Würfel auf, lebhaftes Spiel mit ihnen, auf den Köpfen gibt es je sechs Papierrollen, in deren Papierbänder sich die Darsteller verstricken, sie tragen Masken aus einer knetbaren Masse, verändern mit den Händen die Gesichter vom Grotesken ins Unheimliche. Das völlige Fehlen jeder akustischen Untermalung verstärkt die Wirkung dieser Menschliches und Tierisches in vielerlei Brechungen versinnlichenden Spiele. Sehr starker Eindruck. ★

Die Epoche der Kolonisationen ist vorbei. Die Eroberung Südvietnams durch Nordvietnam ist etwas anderes. So war die Szenenreihe „Christoph Kolumbus oder die Ent-

deckung Amerikas“ von Wolter Hasenclever und Kurt Tucholsky in der Bearbeitung von Jura Soyfer zwischen den beiden Kriegen noch aktuell, heute ist sie es nicht mehr. Das erweist die Aufführung durch die „Arena 75“ in der ehemaligen St. Marxer Schweinehalle. Vielleicht berührt einen kurz die Friedenswelt der Indianer, eine Welt ohne Kriegswaffen, eine, in der das Gold wertlos ist. Doch darum geht es nicht, die Autoren bemühten sich in dieser Revue unentwegt satirisch witzig zu sein, das damalige Jetzt im Einst anzuprangern, das aber gelang ihnen erstaunlich wenig. Das Satirische ist allzu billig, vom magenkranken Thaddädl-König über die Ehrenjungfrau bis zum „Wir san entdeckt“ und den Indianern mit Bobby-Ton-fall. Die große Halle entblößt all dies noch mehr.

Das läßt sich nicht retten. Auch nicht durch die ziemlich aufwendige Inszenierung wie sie — Eigenproduktion der Festwochen — der Festwochenintendant Ulrich Baumgartner als Regisseur darbietet. Rudimentäre Bühnenbilder schuf Hel-muth Wokaun. Der zarte Eugen Stark ist ein durch Energie glaubhafter Kolumbus. Uwe Falkenbach überzeugt als der ihm beigegebene korrupte Finanz-Generalsekretär. Die meisten Darsteller spielen mehrere Rollen, so Bertram Mödlagl, Hellmuth Hron, Toni Wagner, wie auch Tilla Hohenfels, Grita Kral. Die drollige Lydia Weiß fällt auf. Für die vielen Songs schrieb Günther Leopold vorwiegend konventionelle Musik

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