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Großes Welttheater

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Erstaunlich, wie, ungeachtet aller Rationalisierung unseres Lebens, der Bühnenvorgang in dem relativ frühen Stück (von 1635) „Der Traum ist Leben“ des erst 35jährigen Calderon unser Herz anrührt. Dabei wimmelt es in diesem der Tradition der spanischen Mantel- und Degenstücke verhafteten Schauspiel von halbverschlüsselten Symbolen und von Diskussionen transzendenter, abstrakter Probleme. Aber schon Goethe rühmte an Calderon, daß er „unendlich groß im Technischen und Theatralischen“ gewesen sei, „dasjenige Genie, was zugleich den größten Verstand hätte“. Darum sind seine „durchaus brettergerechten“ Stücke Volkstheater und göttlich gelenktes Welttheater zugleich, geben der Bühnen stärkste Wirklichkeit und heben ebenso alles Wirkliche ins Traumhaft-Magische.

„Denn auf diesem Erdenballen / träumen, was sie leben, alle / ob es keiner gleich erkennt...“, monologisiert Prinz Sigismund. Sein Vater Basilius, der Sternengläubige König eines für Calderon sehr sagenhaften Landes Polen, ließ ihn ▼on frühester Kindheit an fern von allen Menschen und an Ketten gefesselt aufwachsen. Seine jähe Einführung in die Welt der Wirklichkeit in Form eines Traumes soll erkennen lassen, ob er sich als neuer Herrscher bewähren wird. Doch die grausame Probe mißlingt. Erst der Aufstand des Volkes löst die entschiedene Läuterung aus. Der antike Schicksalsbegriff wird durch die wissende Überlegung und Entscheidung des Menschen ersetzt. In kunstvoller Figuration zur ersten bewegt sich eine zweite Intrigenhandlung, die sich um die schuldlos gekränkte Frauenehre einer Gestalt namens Rosaura dreht.

Vierzig Jahre später (1675) ist alles das, was sich hier ankündigt, zu Calde-rons „Großem Welttheater“ gereift. Aber die Größe des frühen Stückes, sein unvergänglicher Sinn in dieser tiefsinnig utopischen Reflexion über die Möglichkeiten menschlicher Erziehung ist die wunderbare menschliche Intensität, mit welcher die harte, erste „Probe“ sich strahlend zur zweiten läutert. In der Wiederkehr des gleichen Motivs offenbart sich hier die Kraft des echten Genies.

Grillparzer hat an diesem Traumspiel Spanisch gelernt und den ersten Akt unmittelbar nach der „Ahnfrau“ übersetzt. Hofmannsthal hat nach Motiven dieser Dichtung im Trauerspiel „Der Turm“ seinen „Faust“, das große Parabelspiel vom Scheitern und möglichen Siegen des Reinen in der Welt gestalten wollen. Und die Art, wie sich Calderons Dichtung aus Unwirklichkeit und Wirklichkeit ihr Traumhaus aufbaut, führt unmittelbar in die Moderne, erinnert an Schein und Sein bei Pirandello, der freilich seine Welt auf das Nichts gestellt hat, das Calderon nicht kennt; denn noch letzte Erfahrungen und letzte Leidenschaften münden bei ihm in das unwandelbare Reich der Transzendenz Gottes.

Wer das aufführt, muß im Zeitlichen die Ordnung des Ewigen ahnen, aufspüren, sinnfällig machen und nicht an den gespannten Ehrbegriffen, der Treue zum König, an vergangenen Idealen einer romanhaft ritterlichen Welt haften bleiben. Im Burgtheater glückte dem jungen Regisseur Werner Düggelin, unterstützt von dem Bühnen- und Kostümbildner Jörg Zimmermann, mit einer das rhetorische wie das poetische Rankenwerk eliminierenden Bearbeitung eine Inszenierung, die den „funkelnden Horizont des Wunders um die Bühne“ Calderons (Kom-merell) sichtbar werden ließ. Und das trotz der eher nüchternen Übersetzung von Hans Schlegel (der manche die von Eugen Gürster oder Hans Kommerell vorgezogen hätten) und einigen schwächeren schauspielerischen Leistungen. Thomas Holtzmann bestand in der herrlichen Rolle des Prinzen vortrefflich. Schnell (manchmal allzu schnell) sprechend, kräftig, flammend, fesselte er durch die Intensität, war oft erregend, manchmal begeisternd. Gut die übrigen Darsteller in größeren Rollen: Ewald Baiser als milder, nach innen gekehrter, von Zweifeln gezeichneter König, Sonja Sutter, die in ihrer Ehre beleidigte sowohl intensive wie anmutige Rosaura, Johanna Matz als des Königs Nichte, Erich Auer als die eigene Schuld verheimlichender, kommentierender, sich läuternder Hofmann und Günther Haenel als der komische Diener, der Hanswurst der spanischen Bühne, der Drückeberger, den am Ende trotzdem der Tod ereilt. Lebhafter Beifall lohnte einen großen Theaterabend.

Wie steckt doch in Jean Anouilh, der so modern wirkt, der ganze Moliere! In der „Colombe“ kehrt das alte Thema vom unaussöhnbaren Widerstreit des Mannes und der Frau wieder. Julien, der das junge Ding von einem Blumenmädchen geheiratet hat, will, egoistisch wie alle leidenschaftliche Liebe ist, sein Täub-chen so, wie er selbst ist. Ei aber ist ernst, streng, unbequem, unbeugsam, schraubt seine sittlichen Forderungen hoch: „Ich will sauber sein.“ Einsam ficht er den aussichtslosen Kampf, seine anständige Gesinnung in einer unanständigen Gesellschaft von Bohemiens durchzusetzen. Unwissend und treu, verkennt er die Weibsnatur, quält seine junge Frau durch Mißtrauen und Eifersucht, verlangt von ihr verzweifelt, daß sie seinen Standpunkt teilen, „die höheren Dinge“ schätzen, Wahres vom Verlogenen unterscheiden soll — bis er sie schließlich verliert, er, ein Verwandter des berühmten Misanthrop. Colombe aber, das gutherzige, leichtsinnige Geschöpf, gleicht allen Dörmen und Celimenen aus Frankreichs klassischen Komödien, ist voller Charme und Schwäche, Herz und Untreue, flatterhaftem Glücksbegehren und herzlicher Zärtlichkeit. Die beiden tragenden Figuren des Stückes sind Typen, nicht Individualitäten. Die Handlung vollzieht sich hinter und vor den Kulissen eines Pariser Theaters kurz vor der Jahrhundertwende, der Belle epoque. Es ist die Zeit der langen Röcke, aber auch der langen Tiraden selbstgefälliger Mimen, die hier sehr respektlos und witzig persifliert werden.

Die Gelegenheit, die bombastische Theaterwelt von Anno dazumal zu karri-kieren, hat sich Adolf Rott als Spielleiter nicht entgehen lassen. So dominiert in der Aufführung im Akademietheater weniger die Melancholie und Poesie um das Ende einer Liebe als das handfeste Chargieren. Da gibt es die ungeheuren Theaterdonner entwickelnde, alternde Tragödin Alexandra von Susi Nicoletti, die einem nur bewußt macht, daß Maria Eis in dieser großartigen Rolle bisher nicht ersetzt werden konnte. Fred Liewehr, Wolf Albach-Retty, Stefan Skodler, Hanns Obonya als Direktor, Poet, Mime und Sekretär sind Figuren in mehr oder minder groteskem Schwankstil. Adrienne Gessner erheitert als klatschgierige Garderobiere. Ernst Anders spielt den stutzerhaften Tunichtgut und Störenfried des so ungleichen Liebespaares; Helma Gautier rührt als „Täubchen“, Joachim Schmiedel überzeugt, einige überforcierte Momente ausgenommen, als schwerblütiger Julien. Viel Beifall.

In der amerikanischen Komödie „Barfuß im Park“ von Neil Simon ist es ein blutjunges, jung verheiratetes Paar, das durch eine idiotische Kleinstwohnung in Ehenöten gerät, doch endet natürlich alles gut. Das Theater in der Josefstadt versteht es ausgezeichnet, solch leichteste Theaterware amüsant zu servieren. Das Publikum unterhielt sich bei Elfriede Ott und Peter Vogel, Gretl Elb und Erik Frey. Regie führte mit leichter Hand Heinrich Schnitzler.

„Gute Geschäfte“ von Hans Schubert, unter der Spielleitung von Hans Hollmann in den Kammerspielen uraufgeführt, sind natürlich faule Geschäfte. Wer da behauptet, der Autor habe damit einen „Griff ins Leben der Zeitgenossen“ getan, kann natürlich nur eine gewisse Sorte meinen, nämlich Schieber unter sich. Abgesehen davon, daß das ganze höchst unglaubwürdig und nur mit doch schon etwas abgenutzter Witzroutine aufgeputzt ist. Die Komiker Alfred Böhm, Muliar und Waldbrunn tun ihr bestes, und das Publikum lacht über sie.

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