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Der Hauptpunkt ward getroffen

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Spaniens König Philipp, dem bei Calde-ron nicht nur in höfischer Huldigung, sondern in innerer Übereinstimmung die Schlußmoral des „Richters von Zalamea“ in den Mund gelegt ist, entscheidej: „Wer den Hauptpunkt richtig traf, darf in kleinen Dingen irren.“ Sein weises Urteil sei auch auf die beiden bedeutsamen Premieren zweier Wiener Theater bezogen, auf Josef Gielens Inszenierung des genannten Calderon-Werkes an der Burg und auf Leon Epps Transponierung der Stern-heimschen Satire „Die Hose“ in eine Beziehungswelt, die von der Mehrzahl der heutigen Wiener in den Außenbezirken, also nicht nur vom hochliterarischen Premierenpublikum des Haupthauses im 'Volkstheater, wahrgenommen werden kann. . Beginnen wir mit dem Burgtheater, lugen Gürster hat Calderons „Richter von Zalamea“ neu übertragen. Er hat den überkommenen, mit dem hochfliegend-deklamatorischen Grund-xug des Werkes verschwisterten Trochäus der Hochsprache vorbehalten, die Volks-szehen aber in (nicht immer gelungene) Knittelverse umgegossen. Eine Auffassung, über die sich reden läßt. Josef Gielens Regie paßte sich diesem Konzept an. Sie ging aber noch einen Schritt der Vervolks-tffl^H^8xttoter.l-in^mvsie'liÄe W*1--beruh Troc*aenkaskans*dr^se1teb.“lt0er mehrere Druckseiten lange Schmerzens-nonolog der Isabel zu Beginn des dritten Aktes, wurde auf das heute überhaupt Sprechbare zusammengekürzt. Schon dessen Bewältigung war für die überaus bemühte Erika P 1 u h a r 6chwer genug.) Dem solcherart um einen Teil des ganz großen Höhenfluges gebrachten Werk kam zunächst ungewohnt reiche erdschwere Deftigkeit zu. Aber Gielen entging dennoch der Gefahr; am Ende ein Calderon leaum entsprechendes „Genrebild“ zu inszenieren. Er setzte jenen Akzent, der für eine Calderon-interpretation von heute der wichtigste sein dürfte: den Staats- und rechtspolitischen. In den Auseinandersetzungen des Richters mit dem General, in der Verwandlung des bittenden Vaters in den unerbittlichen Richter, im Gespräch mit dem König lagen die Höhepunkte dieses ungeachtet mancher Stilunsicherheit „in kleinen Dingen“ den „Hauptpunkt“ wahrhaft erreichenden Abends. Theo Ottos Bühnenbild (in der komplizierten dramaturgischen Hauseinteilung bei Crespo nicht vollkommen logisch) kombinierte realistischen Vordergrund mit legendenhaftem Prospekt. Hermann Schömbergs Crespo war so überzeugend, daß er das Urbild dieser Rolle, Heinrich George, fast übertraf: Bei gleicher Vitalität eine noch stärkere ethische Vergeistigung. Der Bauerndemokrat schlechthin, der Repräsentant eines Landes, in dem das Ehrenwort „liberal“ zum erstenmal geprägt wurde. Ihm als Widerpart ebenbürtig: Fred Liewehr (Lope), bemerkenswert frei von routinierter Heldengestik, ein Schauspieler, der immer wieder die Gefahr, zur eigenen Schablone zu werden, überwindet. Heinz Woesters König: ein Velasquez-Bild ohne irgendwelche joviale Zü<e und dennoch bis in die kleinste Handbewegung hinein überzeugendes Prinzip. Erwähnen wir unter den „Hauptpunkten“, die die Inszenie-rungsabsicht voll verwirklichten, noch den ausgezeichneten Soldaten (Helmut J a-n a t s c h), die dezente Karikatur des Junkers (Andreas Wolf) und Jürgen W i 1 k e s verläßlich einsetzenden Juan. Walter R e y e r gab den Hauptmann Alvaro, man glaubte ihm keinen Augenblick die echte Liebesglut, wohl aber das Getriebensein von kalter Herrschsucht, die den erotischen Triumph als Selbstbestätigung verlangte.

Mit den Damen waren wir weniger glücklich: Von Erika P1 u h a r s Ambition, die nicht ganz zum Ziele führte, sprachen wir schon. Elisabeth Stemberger überschrie und übergestikulierte ihre Marketenderin. Die Rolle bedarf keines zusätzlichen Nachdrucks. Aber wie gesagt: kleine Dinge.

Mit seiner Inszenierung der „Hose“ von Carl Sternheim bewies Leon E p p wieder einmal sein bühnenpädagogisches Talent. Ihm kommt es nicht auf den „echten“ Sternheim für Kenner an, sondern auf die Herausarbeitung dessen, was in dem bei aller bewußten Zeitbindung prophetischen Werk des Dichters für unsere Gegenwart gültig geblieben ist. Und das ist nicht nur das „Politische“ im engeren Sinn. Gerade in diesem einst als frivol bezeichneten „bürgerlichen Lustspiel“ geht es um ein heute gleichermaßen wie damals der Lösung harrendes existen-tiell-menschliches Problem. Da sind die beiden Frauen, Luise Maske, die Jungverheiratete mit ihrem der Erweckung harrenden weiblichen „Untergrund“, und Gertrud Deuter, die alternde Jungfer, liebeshungrig wie ein Tier hinter Gitterstangen. (Susi Peter gab der Ehefrau viel von ihrer gefühlsmäßigen Selbstverständlichkeit, Julia Gschnitzer machte das späte Mädchen zu einer mehr tragischen als komischen Studie — eine Meisterleistung.) Und das sind die männlichen Alternativen, die sich ihnen anbieten: herrenmenschliche Windbeutelei, drapierte Impotenz auf der geistigen „Rechten“ (Adolf Wessely blieb dem Frank Scarron fast alle Zwischentöne schuldig) und hysterische Minderwertigkeit, nervöses Phrasendreschen auf der geistigen „Linken“ (Hans Weicker hatte von allen den richtigsten, weil expressionistischen Stil). So wählen sie beide am Ende die fragwürdige Mitte, den potenten Spießer, den kleinbürgerlichen Haustyrannen Maske, der nun Triumphator sein wird, bis auch ihn ein neuer „Herr“ (in einer Episode von Herbert Propst glänzend angedeutet) unter Kommando nehmen wird. Harry Fuß übersetzte diese Figur zwar nicht in der Sprache, wohl aber im Wesen vollendet ins Österreichische. Er tat gut daran. Denn jetzt kann jeder verstehen, daß unter anderem auch er gemeint ist. Willi Bahner verzichtete auf ein expressionistisches Bühnenbild. Er machte die Zeitlosigkeit durch aufdringliche Zeitnähe deutlich. Auch das ist gut. Für das „Historische“ sorgten schon Maxi Tschunkos Kostüme. Den „Hauptpunkt“ hat Leon Epp getroffen. Viele Kleinigkeiten fehlten allerdings. Unter anderem die leise, messerscharfe Sternheim-Sprache. Aber die wird ein expressiver österreichischer Schauspieler, je „besser“ er ist, um so weniger erlernen.

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