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Eine deutsche Komödie

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Eine der prächtigsten Premieren dieser Saison bringt, wenige Tage nach den Wahlen, das Volkstheater. „Die Journalisten“, Gustav Freytags hundertjähriges Lustspiel, erweist sich hier, unter der Regie Hähneis, wieder einmal als eine der wenigen echten deutschen Komödien. Geist und Gesellschaft! Weil diese beiden so selten zusammenkommen in deutschen Landen, deshalb gibt es daselbst keinen politischen Humanismus, keine politische Arbeit und Stellung der Geistigen, keine gewachsene Demokratie und keine echte Komödie. „Die Journalisten“ entstanden in eben jener kurzen Periode, zwischen den Absolutismen der nahen Vergangenheit und denen der Zukunft (zunächst des späteren 19. Jahrhunderts), in denen ein Gutteil von Deutschlands Bürgertum und geistigen Arbeitern der Hoffnung war, die Geschicke der Nation mitbestimmen zu können. Dieses Siegesbewußtsein gab Gustav Freytag die Kraft, die Tragödie eines Standes, der deutschen Journalisten, als Komödie zu gestalten. Denn eben dieser feuchtfröhliche Kleinkrieg um die Wahl eines Abgeordneten, um die Herrschaft über eine Zeitung, die nicht wenigen unbequem geworden ist durch ihre offene Sprache, spielte sich ja gleichzeitig in fast ganz Europa als jener kalte Krieg ab, der die heißen Kriege des 20. Jahrhunderts vorbereitet hat. Es ist durchaus nicht müßig, gerade auch für Christen nicht, heute nachzudenken, wie anders Europas innere Entwicklung hätte verlaufen können, wenn nicht verheißungsvollste Ansätze innerer Besinnung und Reform abgewürgt, zum Schweigen verurteilt worden wären. Der reformkatholische „Avenir“ in Frankreich zum Beispiel, der bereits in den 1830er-Jahren auf die kommende Allianz von innerer und äußerer Revolution hinwies und die Kirche Frankreichs zu jenem Bündnis mit der Demokratie einlud, das erst am Ausgang des Jahrhunderts unter dem Druck Leos XIII. langsam sich anzubahnen begann, wurde auf eben jene Weise zugrunde gerichtet (und hundert andere Wagnisse vor, neben, nach ihm), die hier, in den „Journalisten“, eine liebenswürdige junge Dame verhindert, indem sie selbst, statt der reaktionären Gegner, das gefährdete BJatt aufkauft. Von der Tragödie eines Jahrhunderts (1850—1950) und von der Tragik dieses Standes her ergibt sich, daß heute eine einstige „Nebenrolle“, der Schmock, zur Hauptrolle dieses Dramas avanciert ist. Otto' Schenk, ein junger hochbegabter Schauspieler, gibt dem Schmock ergreifend jene Züge des Gequälten, Scheiternden, Vergeblichen, die das Gesicht jener Zwischengenerationen zeichneten, die, zwischen einem mächtigen Gestern und einem ungewissen Morgen, zugrunde gingen, ohne ihr Wort aussagen, ohne ihre Tat setzen zu können. Dieser Schmock gehört zu jenen „Unterdrückten und Beleidigten“, denen Hauptmann in den „Ratten“, Zillich und Kollwitz in ihren Zeichnungen ein Denkmal gesetzt haben. — Das glänzend disponierte Ensemble des Volkstheaters (fast jeder Name wäre zu nennen, von Frank, Wögerer, Wallner bis zum Ende der Besetzungsliste) erarbeitete sich hier einen verdienten Erfolg.

Bestenfalls mit einer Verlegenheit kann auf die Neuaufführung von Shakespeares „Antonius und Kleopatra“ im Burgtheater reagiert werden. Dreieinhalb Stunden lang edelste Routine, angestrengte Arbeit, und kein Ende. Unerfindlich die Ansetzung dieses Stücks (wenn man es nicht, wie in London zuletzt, als pikante Gegenüberstellung mit Shaws „Caesar und Kleopatra“ zusammen spielen will). Vielleicht hätte eine Kürzung um eine gute Stunde etwas gerettet. Jetzt sitzt das Publikum da und wartet, sehr geduldig, lange Weilen zwischen Szenen, die nicht mehr Inhalt haben als einige große rhetorische Gebärden. Dieses Theater der großen Form, der Pathetik und Repräsentation des Barock, kann auch durch glänzende Artistik nicht erneuert werden. Wie es vielleicht gingt, zeigt eine einzige Szene, das Ineinanderstürzen der beiden Lieben-dennaeh der Schlacht bei Actium. — Käthe Gold, der zuliebe oder zuleide diese Aufführung gestartet wurde, ist als Kleopatra nur mehr ein Ab-gesang, wenn man an die „Glasmenagerie“ und „Endstation Sehnsucht“ denkt. Wie echt war Baiser noch in den „Ratten“; auch hier eine Ueber-beanspruchung. — In zerdehnten Szenen spielt so ziemlich jeder Schauspieler für sich seine Rolle; das ganz uneinheitlich konzipierte Bühnenbild (einmal neuklassische Symbolik, dann wieder filmisches Schlachtfeld wie aus der „Wochenschau“) verstärkt die Wirrung. Schade um die Anstrengung aller Beteiligten.

Zwei sehenswerte Aufführungen unserer kleinen Bühnen! Das „Theater im Palais Esterhäzy“ bringt Romain Rollands vielgespieltes Stück „E i n S p i e 1 von Tod und Lieb e“, in dem der große Courvoisier, einer der größten gelehrten Köpfe, die der Französischen Revolution zum Opfer fielen, vor seinem Untergang eine letzte Schlacht gewinnt: seine Frau entscheidet sich für ihn, obwohl sie einem jüngeren Abgeordneten, mit dem sie fliehen könnte, zuneigt. Hans Brand und Ruth Birk gestalten diese Begegnung und innerste Auseinandersetzung eindrucksstark.

Im „Theater der Courage“ stellt sich Charles Wilson, ein Schweizer Rechtsanwalt, der im Kerker seine Stücke schreibt (er wurde wegen Euthanasie verurteilt), zum erstenmal dem Wiener Publikum vor mit der „A u f e r w e c k u n g des L a z a r u s“. Dieses Drama, gewidmet „dem Lebensopfer der Verschütteten“, handelt von einem Manne, der vier Tage durch Bomben verschüttet war und sich nun mit dem aufetweckten Lazarus identifiziert. Nachfolge Christi als „Idiot“, als „Irrer“, der, verraten von seiner Frau und von zwei Aerzten, schließlich von einem Verbrecher erschossen wird. Leider hält det Autor sein Haupt--thema nicht ganz durch, gleitet in eine Kriminalstory ab. Dennoch hat das Drama starke, echte Momente, die ergreifen, es wird auch gut gespielt, wobei uns besonders Hans Dreßler als l ütejiuchurtgjiicötejr, Jolanthe Wührer und Johannes Ferigo als ungleiches Paar gefallen; die Regie durch die vom Rundfunk herkommende Regisseurin Kügler übertönt leider, wo sie unterspielen sollte. In einem diskreten Kammerton müßte dieses Stück noch viel mehr faszinieren; die lauten grellen Lichter verzerren. Man freut sich jedoch aufrichtig, die „Courage“ hier auf einem guten Weg zu sehen.

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