6554241-1948_12_15.jpg
Digital In Arbeit

Grenzen des Propagandafilms

Werbung
Werbung
Werbung

Der italienische Film „Citta aperta“ („Rom — offene Stadt“), der kürzlich in einer einmaligen Sonderaufführung der Gesellschaft der Filmfreunde Österreichs (in italienischer Sprache, mit russischen Titeln) gezeigt wurde, wirft eine Überlegung auf, die bei der heutigen ausgedehnten Erzeugung von Filmen des nationalen Widerstandes gegen die deutsche Besetzung von großer Bedeutung ist: wie weit ist künstlerischer Naturalismus den weltanschaulichen Zielen solche? Filme dienlich; wo ist die Grenze, nach deren Überschreitung sich die Wirkung ins Gegenteil verkehrt?

Umberto Rosselinis Film „Citta aperta“ hat diese Grenze eindeutig überschritten.

Die Gesinnung des Films steht außer Zweifel. Er schildert das harte Schicksal italienischer Widerstandskämpfer in der letzten Krise der deutschen Okkupation, vornehmlich den Opfertod eines weltlichen und eines geistlichen Führers der nationalen’ Resistance. Mit diesem Inhalt durfte der Film der Zustimmung aller Gutgesinnten von vornherein sicher sein. Um so betroffener mußte ein ausgewähltes Publikum der Wiener Sonderaufführung ' feststellen, daß der Film diesen Stoff mit einem Brutalismus darstellt, der die übelsten Praktiken des Hollywoodschen Sensätionsfilms weit übertrifft. Die zweite, größere Hälfte des Films gehört der ausführlichen Darstellung der Folterung des einen und der Exekution des anderen Helden. Ist im ersten Teil der harte Realismus noch sichtlich von künstlerischem Wollen diktiert, so unterlaufen dem Film im zweiten Teil Mätzchen, wie die Nahaufnahmen glühender Zau?en und zischender Fleischteile, die mit Ernst nicht mehr diskutiert werden können, sondern in jedem gesunden Menschen tiur Abscheu und Empörung auslösen müssen.

Die Bestürzung des Publikums war allgemein, zumal es von dem Ereignis völlig unvorbereitet getroffen wurde. Ein Sprecher der Gesellschaft hatte vor Beginn des Films zwar, ausführlich die Ziele und nächsten Veranstaltungen der Vereinigung vorge- Stellt, es aber unbeereiflicherweise unterlassen, dem Publikum wenigstens mit einigen knappen Sätzen die Vorgeschichte und Eigenart des ungewöhnlichen Films verständlich zu machen und es solcherart auf das ungeheuerliche Ereignis vorzubereiten.

Eines aber muß der Veranstaltung ohne Zweifel gutgeschrieben werden: sie hat als Generalprobe unter Ausschluß der breiteren Öffentlichkeit eindeutig dargetan, daß ein öffentliche Vorführung dieses Films hierzulande untragbar wäre.

„Cäsar und Kleopatra“

Das ägyptische Zwischenspiel C. J. Cäsars liegt zeitlich zwischen den Entscheidungssiegen gegen Pompeius bei Pharsalos und dessen letzte Parteigänger bei Thapsüs und nimmt einen ganzen südlichen Winter ein. Es fehlte zwar auch in Alexandria nicht an bewegten Ereignissen vom klassisch gewordenen Tempo Cäsars — „magnis itineribus progressus“, „veni vidi, vici“ —; die Verfolgung des Pompeius, der Thronstreit zwischen dem Knaben Ptolemäus Dionysos und seiner Schwestereattin Kleopatra, Cäsars Parteinahme für die letztere, die Belagerung der römischen Legionen in der Burg und schließlich ein Sieg mit List und echt cäsari- schem Glück füllten die Tage vom Spätherbst 48 v. Chr. bis Frühling 47 v. Chr. auch mit äußeren Ereignissen genugsam aus. Und doch liegt über diesen Wintermonaten ein Hauch von persönlichstem Erleben und grüblerischer Besinnung, der dem sonst so nüchternen, korrekten, unfehlbar rechnenden und zustoßenden Charakter des Staatsmannes im Grunde fremd war. Sind es die dunkelblauen Wüstennächte, die dieses intime Zwischenspiel im Leben des Eroberers auslösen, oder schon die Schatten der Todes ähnung —, drei Jahre später werden die Dolche der Prätorianer das Herz durchbohren, das sich jetzt noch einmal mit der Kraft und Sehnsucht des Alternden unruhig aufbäumt...

Hier setzt die bekannte Bühnenkomödie des großen irischen Spötters an. Bernard Shaw spürt den Knick in der Linie Cäsars, die Krise im Leben des Eroberers — und des Mannes. Das Pathos eines Machttraumes tnd zugleich die Romantik der Liebe zu persiflieren: eine Aufgabe, würdig des königlichen Spottes G. B. Shaws. Und klassisch die Lösung: die unnachahmlich feine Ironie, mit der sein Cäsar sich selbstkritisch philosophierend über die Methodik des Er oberers lustig macht und sich sozusagen darüber hinaushebt und das weise Lächeln der Resignation, mit dem der Mann Cäsar die kätzchenhaft geschmeidige Intrigantin Kleopatra — das wilde, schöne Tier, das Weibchen der Weltgeschichte katexochen — distanziert und am Ende (venit, vidit, vicit) durch die wahre, die innere Größe entwaffnet und besiegt — ein unrömischer, ein moderner, ein Bernard Shawscher Sieg.

Es war ein mehr als gewagtes Unternehmen, diese prätentiöse Miniature auf der Leinwand eines farbigen Kolossalfilms zu vergrößern. Das Wagnis ist geglückt. Mit einem überzeugenden Generalaufgebot englischer Bühnen- und Filmdarsteller, mit dem letzten Triumph der Farbtechnik, Architektur, Kamera und Musik entsteht in dem englischen Film „Cäsar und Kleopatra" eine neue Fassung, in der sich der

Diamant, der boshafte, gescheit Originaldialog Bernard Shaws in tausend Strahlen bricht. Dabei liegt überraschend die Stärke des Films nicht im Auftrumpfen mit Monumental- und Massenszenen von der Art John D. Griffiths oder Cžcile de Milles, sondern gerade im Intimen, Andeutenden, Problematischen. So bleiben auch Szenen wže die Aussprache bei Nacht mit der Sphinx oder die schlaue Großmut Cäsars gegenüber seinen Gegnern stärker in Erinnerung als die bildlichen Höhepunkte, wie der Brand der Bibliothek und anderes. Der deutsche Dialog ist knapp, gewitzt, gespitzt; als wär’s ein Stück von ihm, von Shaw selber.

Dieser Film setzt ein anspruchsvolles, historisch und literarisch vorgebildetes, mindestens interessiertes Publikum voraus und wird innerhalb dieser Eingrenzung seinen Weg machen wie seine Geschwister gleichen Geistes: Filme von Sacha Guitry oder Curt Götz. Mag das Brot wichtiger sein, so ist es doch schön, wenn es vereinzelt auch Kuchen gibt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung