6593137-1952_39_11.jpg
Digital In Arbeit

Endlich: Unter den Dächern von Wien

Werbung
Werbung
Werbung

Gesegnet sei unsere Ungeduld. W i r haben den Film von Wien („Symphonie Wien"), nach dem so dringend gerufen wurde, wenn uns Franzosen (sie vor allem), Engländer, Römer und Hollywooder immer wieder das faszinierende Fluidum ihrer nationalen Metropolen vorzauberten. Wir schämen uns jetzt nicht wenig, daß wir eine Zeitlang glauben konnten, nur ein Spielfilm und nur ein großer, weiser (älterer) Könner Würde einmal den gordischen Knoten lösen. Heute wissen wir, daß ihn nur ein junger Alexander, unbelastet von allen Teils-teils, Wenn und Aber durchhauen konnte — in einem Film ohne Fabel und Aktion (die der Vorwurf selbst schon ednschließt), in einem dokumentarischen Kulturfilm. Wir müssen uns seinen Schöpfer merken, wenn wir uns einmal an den Beginn einer großen künstlerischen Laufbahn erinnern wollen.

Denn wer vor ihm hat es gewagt (und wer nach ihm wird es so bald wieder wagen), die beiden schon im Vorspann („Im Auftrage des Kulturamtes der Stadt Wien — mit Förderung des Bundesministeriums für Unterricht") bedeutungsvoll anklingenden österreichischen Kräftepole in jenen kühnen, produktiven Spannungsbogen zusammenzupressen: die höfisch-monastische Vergangenheit des alten Kaiserreichs mit der Aufbauarbeit der modernen sozialistischen Weltstadtverwaltung, die Unvollendete mit dem Donauwalzer, Beethoven mit den Zwölftönern und die geruhsamen Giebel der Biedermeiervorstadt mit der himmelstürmenden, erdefüllenden frommen Pracht des Barock?

Ein historisch exponierender, ein getragener, ein heiterer und ein „aktueller" Abschnitt,! sinnvoll als vier Teile einer Symphonie gekennzeichnet, runden sich zu einem zwingenden Ganzen. Die delikaten und gescheiten Details (eigentümlich belichtete Nahaufnahmen, Motive im Nebel und neuartige Überblendungen, der riskante Kopfsturz von Straußscher „naiver" Erdseligkeit in Beethovens heroisch errungene „sentimentalische Lebenstrunkenheit, die unheimliche drama- tisch-musikalische Brücke über die Passion 1938—1945, das vielsagende Schlußbild und anderes) stellen der geistigen Führung, der anspruchsvollen Bild-, Musik- und Sprechtext- gestaltung des Films ein ehrenvolles Zeugnis aus. Daß nicht alles so ganz geglückt ist, manches Symbolische dunkel bleibt und manches Deutliche überdeutlich wird, liegt im Wesen1 solcher Experimentier- und Avant- gardeatbeit. Doch ist diesem Film, dem Wolleri und Können seines Regisseurs und dem noblen politischen Gentleman agreement seiner Protektoren, gelungen, was nach diesem Krieg noch keinem Spiel- und Dokumentarfilm über Wien gelungen ist: das Gegensätzliche und Widerspruchsvolle im Werden und Wesen dieser Stadt zu versöhnen und mit einem Schlag eine fürchterliche Alternative abzuschütteln j denn es wird nicht schwer fallen, bei der Entscheidung für das Wien Orson Welles' oder das Paul Hörbigers sich künftighin an das Wien — Albert Quendlers (des Schöpfers der „Symphonie Wien“) zu halten.

Gültige Kriegsbücher, -bühnenstücke und -filme entstehen anscheinend erst ein Jahrzehnt post „festum“. Auch diesmal sind wir erst nahe daran, dran zu sein. In diese Reihe gehört

zweifellos der amerikanische Film „E n t- Scheidung vor Mo rgengraue n.J Schade, daß er am Schlüsse die letzte Antwort auf die anfangs so klar gestellte Frage kaltschnäuzig verweigert. Denn bis dahin hat er wie kaum ein Kriegsfilm je zuvor hinter der grausig-exakten Maschinerie des Handwerks die zermalmende Wucht eines unlöslichen menschlichen Konflikts aufleuchten lassen: Nenn es Verrat (so der Titel der literarischen Vorlage), wenn ein junger Deutscher in amerikanischer Gefangenschaft den Spezialauftrag übernimmt, hinter der deutschen Linie ganz bestimmte Feststellungen zu treffen, die die letzte sinnlose Ausblutung seines Volkes verhindern sollen! Nenn es Verrat, wenn dieser Junge, halbes Kind noch, bei Erfüllung dieses Auftrags buchstäblich in letzter Minute — vor Morgengrauen — an den Schicksalsufern des Rheins von der sich zum letzten Male wild aufbäumenden Front überrollt wird und den bitter-ehrlosen Tod des Spions stirbt. („Im Westen nichts Neues“, ist man versucht, zu schließen.) Nenn es Verrat: den eigenen, höchsten Befehl gegen Befehl und Eid auf den „Obersten Befehlshaber", die Taten Becks und Fromms und Stauffen- bergs, Goerdelers und DelpsI Nenn es Verrat, nenn sie Verräter .., „Entscheidung im Morgengrauen“ ist ein großer, einzigartiger Film, dem nur im letzten Teil der Atem (nicht aus-, sondern sozusagen) durchgeht: in einem kaum mehr erträglichen Furioso des Hetzens, Jagens, Sterbens und Untergehens, das die unerbittliche Tiefe und Klarheit des Motivs fast zu ersticken droht Man wird den amerikanischen Film und seine europäischen Darsteller (Oskar Werner vor allem, aber auch Hildegard Knef in einer Episode am Rande) lange nicht vergessen.

An der fast brutalen Ehrlichkeit dieses Films gemessen, schneidet das in unseren Tagen als zu zweckhaft empfundene Fair play des gleichfalls aus Hollywood kommenden (und gleichfalls zum Teil in Deutschland gedrehten) Films „Rommel, der Wüstenfuchs“ weniger günstig ab. Zudem stören hier stark die zumeist auf das Konto der englischen Quelle zu buchenden Verzeichnungen der Gestalten Rommels, Rundstedts und Strölins. Der — gelinde gesagt — Wahnsinn der kindischen Hitler-Karikatur dagegen scheint ausschließlich auf das Konto Hollywoods zu gehen. Es ist wunderlicherweise derselbe Fehler, ta den auch die großen russischen Propagandafilme verfielen. Ja, spürt denn hüben und drüben niemand, wie tief dadurch die langandauernde und opferreiche Abwehr gegen Hitler herabgewürdigt wird? Es wäre eine Schande gewesen, wenn das halbe Erdenrund mit einer solchen komischen Marionette, wie sie diese Filme zusammenlügen, erst in sechs Jahren voll dem Blut von Millionen Menschen zu Rande gekommen wäre!

Diese und andere mit den Händen zu greifende Einwände hätten völlig genügt, um dem Rommel-Film bei der Premiere in der Hauptstadt des friedliebenden, unparteiischen und an den letzten Feinheiten der überraschend wandlungsfähiigen Geschichtsschreibung über des Teufels Generäle nur sehr bedingt interessierten Österreich den angebrachten kühlen Empfang zu sichern. Es kam leider anders. Kommunistische Demonstranten, deren Pfeile sehr wohl im Köcher zu ruhen geruhen, wenn sich Hunderttausende in Deutschland und

Österreich gegen die alle Menschen berührende sittliche Selbstpreisgabė eines Films etwa vom Schlage der „Sünderin“ äuf- lehnen, fühlten sich diesmal von einem bloß schwächeren, nicht gerade politisch instinkt- haften Film stärker verwundet und inszenierten — „'s ist mal bei uns so Sitte" um die Iden des Herbst—eine dreitägige Straßenschlacht mit fast 100 Verletzten auf beiden Seiten. Sie er

reichten damit in diesem irdischen Jammertal, was sie in ihrem ideologischen Eden niemals erreicht hätten: die örtliche Verlegung der Aufführung in geschütztere Zonen. Wo den Film nunmehr — den einen zur Wehr, den andern nicht eben zur Ehr — eine Aufmerksamkeit erwarten dürfte, die. er in diesem Ausmaße nicht ganz verdient.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung