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Die krummen Zeilen Gottes

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„Gott schreibt gerade, auch auf krummen Zeilen . .." Die krummen Zeilen: Da entsteht in Frankreich von einem uns hier unbekannten Buchautor und Regisseur (Leo Joannon) und ganz und gar nicht unter dem Protektorat, eher unter dem Unbehagen, ja Widerstreben kirchlicher Kreise ein Film „Der Abtrünnige", ein richtiger „religiöser Film". Der Hauptdarsteller, Pierre Fresnay, ist evangelischer Konfession — aber die Story des Films enthält eine so echte, ja so spezifische katholisch-theologische Problematik, daß der Film trotz seines hohen künstlerischen Ranges geradezu Gefahr läuft, für einen großen Teil des Publikums — auch der Durchschnittskatholiken! — unverständlich zu bleiben oder anzustoßen.

Aber „Gott schreibt gerade": einen bestimmten Teil der Besucher springt dieser Film mit einet heilsamen Erlebniswucht an, wie kaum zuvor etwa ein preisgekrönter oder höchst empfohlener religiöser Film. Wer freilich den Blick — beispielsweise — in die zerrissenen seelischen Landschaften und Skandale (im evangelischen Sinne) Graham Greenes oder die heiligen Aergernisse und Herausforderungen der modernen französischen katholischen Dichter und Schriftsteller (denen dieser Film so nahesteht, daß seine Fabel ständig mit dem gleichnamigen Roman von Bernanos verwechselt wird) nicht ertragen kann, dem wird geraten, diesem Film fernzubleiben. Denn dieser Film, sagt „La Croix" dazu, „bedarf einer Erklärung, urr verstanden zu werden. Er ist für die Starken bestimmt. Das Thema ist gefährlich. Viele würden es zweifelsohne lieber sehen, wenn ein solches Thema nicht verfilmt würde. Aber da es getan wurde muß man zugeben, daß er im Glauben an echte; Priestertum getan wurde. Ein theologisches Problem wird einem großen Publikum erklärt, eine der für uns schmerzlichsten Gewissensangelegenheiten wurde mit Respekt behandelt. Wegen de: Delikatesse des Themas, der Spannung des Dramas und der Heftigkeit des Endes kann dieser Filn trotz seiner hohen Qualitäten nicht vor Iler Weh und in allen Kreisen gezeigt werden.“

Das Thema — „sacerdos in aetermim“ — iss das Geheimnis der unauslöschlichen Wirksamkeit der Weihe und des Amtes des Priesters über alle Lmwürdigkeit und Selbstpreisgabe hinaus. Maurice Morand, die Titelgestalt des Films, muß Priester sein, auch nach seinem Abfall. Obwohl die Gründe dieses Abfalls im dunkeln bleiben., dürfen wir sie mit einiger Sicherheit in Morands Aergernis- nehmen an gewissen äußerlichen Entartungserscheinungen der Kirche suchen, da er ja ein Buch über „30 Jahre Christus — 2000 Jahre Judas“ schreibt — hier zeigt sich zum ersten Male wie dann öfter die messerscharfe Dialogistik des Films, die Morands gotteslästerliche Reden und Haltungen immer als negative Potenz seiner Religiosität, niemals als ihren Nullpunkt, als ihre Erkaltung und Erstarrung sichtbar und hörbar macht. In drei furchtbaren Erschütterungen vollzieht sich nun die Umkehr, Abkehr und Heimkehr •des Abtrünnigen: über eine vorerst bloß mitleidige Regung im Gefangenenlager, die ihn einem sterbenden Priester die Absolution erteilen heißt; über ein eigentümliches Haß-Liebe-Verhältnis zu einem jungen Freund und Theologen, aus dem sich unter schrecklichen Verknotungen, auf den „krümmsten Wegen" also, die Krise vorbereitet und zuspitzt; bis schließlich zur chokierendsten aller schokieren- den Szenen dieses davon zum Bersten vollen Films:- dem Totschlag an dem Freund, aus dem der letzte Stoß zur letzten Abklärung kommt: „Ich habe ihn getötet. Ich bin ein katholischer Priester", sagt Morand zu den ihn abführenden Zivilgardisten.

Dieser Schluß, den oberflächliche Betrachter in seiner Härte, ja Brutalität, für unnotwendig Balten, erscheint mir und anderen geradezu unentbehrlich, zumindest aber stiltreu und höchst charakteristisch für diesen auch sonst immer auf des Messers Schneide wandelnden, alles riskierenden und in keinem anderen Land der Erde als Frankreich denkbaren Film. Nur in einem Film, der so Aeußerstes wagt wie die Szene im Nachtlokal, da Morand durch die Weihe des Weines (theologisch umstritten, da außerhalb des Meßopfers!) den Freund zum Trinken zwingt, um das Blut Christi vor der Schändung durch eine betrunkene Tän-

zerin zu schützen, ist eben auch jene unerhört sublime Szene der „Wandlung" im Gefangenenlager möglich, da der junge Freund Gerard streng nach den Anweisungen Morands inmitten der lippenfrommen, aber herzenskalten Kameraden den verlassenen Leib Christi rettet.

Nur wer die letzte Absicht dieses Filmes nicht spürt, wird seine erregten Höhepunkte als krasse Effekte verkennen. Ein anderes freilich ist, ob Ge sicherte und Geborgene ihn „ertragen". Wer unter uns aber ist gesichert? Schaudernd kauen wir die gräßlichen Einakter der Tageschronik wieder. 'Wenn der Widersacher so furchtbar ist, wie furchtbar groß und unfaßbar muß erst ER sein, der allein ihn besiegen kann? Wer unter uns ertrüge seinen Anblick — wenn wir schon zittern, 1 wenn er auf so krummen Zeilensogerade schreibt?

Der neue Metrofilm „Julius Caesar” packt Shakespeare an seinem empfindlichsten Körperteil,. Das ist ja gar nicht das Drama des körperlich bresthaften, abergläubischen, eitlen und schwankenden, kronehungrigen Konsuls, _ sagt der Film und „besetzt" den Caesar mit einem zweitrangigen . • Darsteller und fülligen und gemütlichen graumelierten alten Herrn. Es ist ja ein richtiges Brutus-, allenfalls noch Antonius- .und irgendwie noch Cassius-Drama, sagt der Film und läßt in diesen Rollen seine Metro-Löwen vpn' der Kette (James Mason. Marlon Brando, Johj Gielgud, in den unbedeutenden zwei Frauenrollen noch die Garson und die Kerr!). Und da rollen nun die unvergänglichen Verse Shakespeares, in der deutschen Fassung Schlegel-Tiecks, daß es eine Freude ist. Die Regie legt außerdem noch eine Schlacht von Philippi hin, mit Engnaß, Bogenschützen usf., die sich gewaschen hat. Eine grandiose Inszenierung, mit einer bisher kaum gesehenen Komparserie zur Leichenrede. Aber .Film? Nee, Freundchen, Mitbürger, Römer. Film ist das.keiper

Antels „Kaiserman över" dagegen ist ein . echter Shakespeare-Film: Wie es euch gefällt… ! Euch operettenhungrigen, seit Jahrzehnten schon nicht mehr auf der Bühne an Liebe und Trompetenblasen sattgewordenen Wienern! Der Film ist eine tüchtige Mischung .aller Erfolgsingredienzien von Fabel und Musik bis zu beliebten Darstellern und mattschimmernden Farben.' Er bereichert das Gemüt, und die Leute vom. Bau. Weh ihm, der anderer Meinung ist! Weh dem! Der lügt.

Filmseha (Gutachten der Katholischen' Filmkommission für Oesterreich), Nr. 35 36 vom

9. September 1954: II (für alle zulässig): „Der erste Kuß“, „Der Raub der 'Säbihetinneh", ' „Rosen-Reserl", „Schloß Hubertus" —- III (füt Erwachsene und reifere Jugend): J,Teufelskünste’";’ „Das Gewand" — IV (für" Erwachsene); " „Die Teufelspassage"; „Der Abtrünnige", „Kaiser-'1 manöver", „Ich war eine amerikanische Spionin"— IVa (für Erwachsene mit Vorbehalt): „Mörder ohne Maske", „Feind im Dunkel"— IV b (für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): ‘ ' „Die Schlange am Nil“, „Lukretia Borgia"— V (äb- zuraten): „Am Anfang war die Sünde",

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