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Gewagtes Spiel

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Nach Zürich, München, Berlin, Innsbruck und Salzburg sieht nun auch Wien „Die begnadete Angst". Die letzte Arbeit des Georges Bernanos. Die Antike hat Europa die Lehre und Weisheit von den vier Tugenden Übermacht, die das Mittelalter und unsere humanistische Schulkultur als Angelpunkte eines rechten mannhaften Lebens in Freiheit und Würde Kardinaltugenden nennt. Bernanos sagt in diesem seinem Testament ein letztes Mal seine vier Ängste aus: die Angst um seine Seele, die Angst um Frankreich, die Angst um die Christenheit, die Angst um den Menschen. Die hier geführte Reihenfolge könnte befremden; doch hat sie ihren Grund in der eigentümlichen Existenz dieses Mannes. Bernanos wußte sehr wohl: was nützt §s mir, die bittersten Pamphlete, die christlichsten Romane, die ergreifendsten Aufrufe geschrieben zu haben, wenn meine Seele Schaden leidet? Kann ich das verantworten, was ich den „weltgeilen Prälaten" (um eine Prägung Haeckers zu gebrauchen), den erfolgsüchtigen, immer noch nach Geld, Geltung und Macht schielenden Kirchenführern und einigen anderen da ins Gesicht hinednschreia? Die Scham und Sorge des großen christlichen Publizisten ob der Lüge des Prophetismus (sie sitzt, in Eitelkeit und Rechtssimn verborgen, mitten im Vogelnest des schreibenden Herzens), diese Sorge um das Nichtbestehenkönnen der Seele war in Bernanos gebunden an eine entsetzliche Angst des Leibes. Angst um das „liebe Leben"; eine Angst von Kindern, die ihn aber so entsetzlich befallen hatte, daß er sich durch sie oft bis in den Grund hinein entehrt fühlte. Die Blanche de la Force ist dieser Bernanos: der, zur Operation geführt, seine Angstschauer mit Gebeten zu Gott zu heben versucht; der schließlich, an der Schwelle des Operationssaales, die Marseillaise singt.

Denn seine Angst um die Schande seiner Seele und seines Leibes ist eins mit seiner Angst um Frankreich. Dieser Abkömmling und Erbe aus dem Geschlecht der Jeanne d’Arc,

aus spanischem Blut und lothringischem Boden, trägt, sehr zu unterscheiden von den nationalistischen Technikern und Reklamefachleuten der industriellen Gewerkschaft, wirklich in allen Fasern seines Seins, tiefer als Denken und Fühlen, seine Liebe zu seinem heiligen Volk der Franzosen, zum heiligen Lande Frankreich. Ziehen wir nicht die Augenbrauen hoch: fern der Pathetik der Mythomanen, Romantizisten und Hysterischen gibt es diese echte, reine Liebe zum heiligen Vaterland. Für sie gilt Hölderlins Wort: „Verbotene Frucht, wie der Lorbeer, ist, aber Am meisten das Vaterland. Die aber kost’ ein jeder zuletzt." Diese Liebe sagt sich bei allen echten Vaterlandsfreunden, wie Goethe, Hölderlin, Mommsen, in einer tiefen. Verzweiflung über die Niedertracht, „Gemeinheit", Un- würde und Verdorbenheit der Volks-Genossen aus. Sie steigert sich in der christlichen Person zur Angst um das spirituelle Versagen der Nation. Bernanos hat sich unter den Geierfängen dieser Angst gewunden; das Volk des Benedikt von Aniane, der Zisterzienser, Prä- monstratenser und hundert anderer Ordensgründungen, das Volk der Jeanne d’Arc, Pascals, der Arnauds, das in Port Royal und den hugenottischen Dörfern und Städten predigend zu leben und singend zu sterben verstand, schien ihm herabgesunken zu einem Geschlecht lemurischer Sklaven, knechtischer Zwerge, die in schlechter Furcht und Lüge vegetieren. Das Sterben der Karmeliterinnen auf dem Schaffot der Französischen Revolution (die er so sehr gehaßt und geliebt hatte, wußte er doch, daß es ohne sie keinen Renouveau catholique in Frankreich, keinen Bernanos geben könnte) stellt er deshalb in diesem seinem letzten Werk sich und seinen Franzosen als eine Sterbelehre, als eine Lebelehre vor: Mensch, lerne anständig zu sterben, mitten durch deine Ängste hindurch, mögen dir diese von Gott, der Natur, vom Teufel, der Stärke oder Schwäche zugetragen werden.

Warum aber soviel Aufsehen machen um dieses i Sterben eifriger Französinnen und eines Franzosen? Sterben nicht alle Tage tausend und abertausend für ihr Vaterland? In Flandern und Korea, in der Luft, zu Lande und auf dem Meer? Bernanos konnte sein Vaterland nur im Mutterland geborgen verstehen, in der „Kirche“, In der Einen Menschheit, in der alle Sünden, Laster, Mefntaten kommunizieren mit allen Opfern der Liebe und Entsagung. Allerheiligen — Allerseelen; hier begegnet sich Bernanos mit Claudels Vorspiel im „Seidenen Schuh“, mit diesem Claudel, den er so haßte, wie hur zwei Männer der beiden Frankreich sich hassen können. Die ungeheuer große Schuldlast der Menschheit muß getragen werden; Geschichte gibt es also solange, als sich Menschen finden, die für die anderen leben, sich opfern, sterben. Die Karmelite rinnen in der „begnadeten Angst sterben für die Rettung Frankreichs, für die Reinigung der Französischen Revolution.

Damit sägt Bernanos: Liebe Kinder, es werden noch viele, sehr viele sterben müssen für die Reinigung der Kirche, der Christenheit. Denn Sie ist besudelt wie ein Kind, das tief in den Schmutz gefallen ist (Peguy: die heiligen Märtyrer waschen die Menschheit ab, wie ein Kind ). Es ist nicht leichter zu machen. Bereiten wir uns also auf das Blutzeugentum vor; liiebe Freunde, wischen wir den Sand und die Lüge aus den Augen, die wir selbst uns hineingestreut haben mit unserer christlichen Lebenslüge, Wir haben ja Gott und Welt dermaßen ineinander gemischt, Maß kein armer Teufel sich mehr auskennt; haben Gott und den Menschen so verharmlost, daß heute kaum einer mehr den rechten Umgang mit Gott weiß: der Niedergang des Gebets, der Darbringung, Aufbereitung, Uberformung der ganzen menschlichen Existenz im Gebet, bezeugt uns das mahnender als alles andere. Nun aber, Kinder, ist es höchste Zeit: lernen wir schleunigst beten, sonst lernen wir nicht atmen,; leben, lieben, leiden, opfern. „Die begnadete Angst" ist ein einziger Hinweis, eine Anleitüng zum Betenlernen. Wir sind froh, feststellen zu dürfen, daß hier der Höhepunkt der Wiener Aufführung liegt; wie da die greise Priorin die kleine, zaghafte und tollkühne Blanche in die spirituale Disziplin einweist t— der Karmel als hohe Schule des Gebets — und ihr dann, in einem grauenvollen Sterben, steilvertretend die Todesangst vorwegnimmt (Maria Eis).

Damit sind wir bei der Wiener Aufführung selbst angelangt. Alle notwendige Kritik darf nicht die Pflicht versäumen, alle Menschen, die noch ein lebenswertes Leben Zu leben wünschen, darauf hinzu weisen: seht euch das an; denkt nach über die Gesetze des inneren und äußeren Lebens. Die Schande Wiens sei nicht verschwiegen (nachdem hier schon so viel von der Scham und Schande „anderer“ gesägt wurde): die Premiere fand vor halbleerem Haus statt; selbst Kritiker schämten sich nicht, durch ostentatives Kopfschütteln und Leibverdrehen während der Aufführung ihren Unverstand, ihren mangelnden Willen, zu sehen und zu lernen, leibhaftig zu bezeugen. Wälterlin, der bereits in Zürich die Erstaufführung betreute, hatte sich in Wien für das große Haus der Burg entschieden, obwohl ihm das Akademietheäter vorgeschlagen •worden war. Der Rezensent war mit ihm vor der Aufführung einer Meinung in dieser Hinsicht: dieses Spiel verlangt eine weitdimensdo- nierte Öffentlichkeit, hier wird ja ein Exempel statuiert nicht nur für das geheime Interieur, für dich und mich, sondern für „Frankreich“, Europa, die Christenheit; für alle Welt dies- ünd jenseits der Vorhänge dieses und jenes Welttheaters. Nach der Aufführung denken Wir anders. Das Akademietheater wäre besser gewesen; es geht zuviel verloren an innerer Substanz; trotz prächtigem Bühnenbild (Theo Otto) und sehr bemühter Regie (Wälterlin), trotz tapferer Anstrengung aller Schauspieler schafft es das Wiener Ensemble nicht recht (mit zwei Ausnahmen: Maria Eis und Hilde

Wagener). Statt Welt-Offentlichkeit droht bisweilen Prater-Rumor (so in den „Volksszenen"), statt spiritualer Tiefe und Innensein droht Sentimentalität und Verschleifung ins Gefühlsame und GeStierende. Annemarie Düringer, als Blanche, die hochbegabte junge Schauspielerin, ist der Rolle nicht gewachsen. Das würde sich vielleicht nicht so stark auswirken, wenn nicht Helene Thimig, eine Fehlbesetzung, die ganze Aufführung mit Akzenten versehen würde, die sie einfach verzerren, ja in einen Raum verschieben, der Bernanos hier nur sehr nebenbei, wenn überhaupt, interessiert: gesteigerte Sensibilität wird als Ersatz für Kernreifung und Wandlung geboten. Vergessen wir doch nicht: Bernanos will hier in einer Atomzer trümmerungsmaschine, in einem Zyklotron, die innerste Umbildung des Personkerns, sein Ausreifen in den Stürmen der Schwäche und Gnade, zu jenem heilen, vollgesunden Sein zeigen, für das als gültiges Zeichen die Heiterkeit im Sterben steht. Trotz allem: eine Aufführung, die jeder sehen muß, der noch ein Organ für Humanismus und personale Existenz besitzt.

Die Josefstadt bringt die altbewährte Komödie „Dr. med. Hiob P r ae t or iu s von CurtGoetz, Diese Geschichte von dem charmanten Frauenarzt, in den alle Patientinnen verliebt sind, weil er sie mit kleinen Mätzchen, Tricks, Histörchen, die bei manchen Ärzten heute noch üblich sind, über den Ernst des Leben und Sterbens hinwegjongliert. Folgerichtig kommt er selbst, mitten in seinem gutgespielten Leben, gemeinsam mit seiner charmanten sächselnden Frau (Liesl Kienast, ganz prächtig) durch einen Lachanfall (mit folgendem Autounfall) ums Leben. Die liebenswürdige Humorik, viele nette kleine Geschichten können heute, nach zwei Kriegen, nicht darüber hinwegtfiuschen, daß dieser amüsante Held sich seinen „Kampf gegen die Mikrobe der menschlichen Dummheit" und der Autor das Plaudern über Leben und Sterben etwas zu leicht macht. Wobei er natür lich nicht für die fatalen Lichter verantwortlich gemacht werden kann, die vom heiteren Sterben der Blanche de la Force auf seinen Lach- und Todesanfall fallen. Trotzdem wäre eine innere Koordinierung der Wiener Theaterspielpläne zu überlegen; wir nehmen nicht an, daß hier Absicht vor liegt: daß also etwa den Nur-Grinzing- und Nur-Stadion- Wienern in der Joeefstadt gezeigt werden soll, wie nett und passend es ist, durch einen Autounfall ums Leben zu kommen, während die „Kerzlweiber“ sich in der Burg erbauen sollen. Theaterkultur einer Stadt würde voraussetzen, daß eine Hand weiß, was die andere spielt.

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