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Ein deutsches Drama

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Wenn in diesen Tagen zur Tagung des Lutherischen Weltbundes in Wien der Film „M a r t i n Luther“ gezeigt wird, wird uns im selben Augenblick klar, warum dieses Drama aller Dramen des Abendlandes so selten zum Filmstoff gewählt worden ist: weil es als „Vorwurf“ noch immer zu sehr Vorwurf nach allen Richtungen hin darstellt und weil wir es selber noch nicht zu Ende gelebt haben. Wahrscheinlich ist die Peripetie vorüber, 'vielleicht sind wir schon im vierten Akt.

Wenn es überhaupt möglich ist, dieses deutsche Schicksal annähernd so zu verfilmen, daß es die Katholiken nicht verletzt, ist es in solchem Maße hier geschehen. Die Fassung, die in Wien vorliegt, hat Ernst und Maß. Sie stellt, zwischen 1506 und 1530, also zwischen Luthers Abschied vom weltlichen Studium bis zur Augsburger Konfession, die Zweifel, die Kritik und den Abfall Luthers von Rom als eine Tat des unbeirrbaren Gewissens dar — wir setzen hinzu: die den Mann stufenweise zu Entscheidungen drängte, die ihm ursprünglich ferne gelegen waren. Dies zu beklagen, dürfen wir nicht aufhören. Daß in dem Film an Zeit und Gestalten, so 'fast der ganze Sozialrevolutionäre Aspekt, aber auch von Zügen Luthers, so seine sprachschöpferische Leistung, so vieles im Hintergrund bleibt, was hätte herangezogen werden müssen, mag nicht nur an der filmnotwendigen Verkürzungstechnik liegen, sondern auch daran, daß dieser Film, obwohl von deutschen Fachleuten beraten und an deutschen Stätten gedreht, doch seine angloamerikanische geistige Konzeption und damit letztlich seine Ferne sowohl von der historischen Wirklichkeit wie von der brennenden Bedeutung für uns Mitteleuropäer nicht verbergen kann. Es ist manchmal in diesem Film, als ob eine unbeteiligt-kühle, weltmännische Hand über die Wunde striche.. . Hier hätte die stärkere Heranziehung der modernen katholischen Forschung der Verlebendigung sund Gegenwartsnähe des Films wertvolle Dienste leisten müssen. Nial Mac Ginnes' Luther, eine eindrucksvolle schauspielerische Leistung, ist als würdige, maßvolle Gestalt gefaßt (die getragene deutsche Sprechstimme unterstreicht diesen Zug), die sich damit freilich nicht unbeträchtlich von der rustikalen Dynamik der historischen Luther-Gestalt entfernt. Das Gegenspiel Papst, Tetzel, Dr. Eck, nicht der gütige Staupitz, weist deutlich karikaturistische Züge auf. Auch hier hätte man besser moderner verfahren können — farbiger, weniger schwarz-weiß: erst im Aufeinanderprall ebenbürtiger Gegner risse ja erst die ganze Tiefe und Weite der Tragödie auf.

Dankbar anerkennen die Katholiken die rücksichtsvolle Art, mit der der Film seitens der Evangelischen Filmstellen in der Hauptstadt de katholischen Oesterreichs gestartet wurde. Sie stellt dem religiösen Frieden des Landes ein schönes Zeugnis aus.

Dies hätte, wie man kilometerweit riechen kann, eine Katastrophe werden können: „Das Lied der Hohen Tau er n“, der Film von Kaprun. Und nun ist es doch ein sauberer, anständiger Film in deutsch-österreichischer Gemeinschaftsarbeit geworden. Der Versuchungen: der donnernden Steinlawinen, der heimtückischen Sprengladungen, der in fesche Ingenieure verknallten Burgels, hätte es genug gegeben. Man unterlag ihnen nur sparsam und mit Charme. Wer wollte das Wenige dem Film verargen? Man suche einmal „das Drama“ der Arbeiter dort droben bei Möllstollen, Limbergsperre und Mooser-bodensperre. O ja, es gibt es. In tausend Gereiztheiten, Klapsen und Kollapsen. In über hundert Toten. Aber Film? Film würde daraus allein wahrscheinlich keiner. Die Nachhilfe also, die Anton Kutter in Regie und Drehbuch (nach einer Novelle von Kurt Maix) leisten mußte, ist mit Geschick und Geschmack geschehen. Sie verdeckt nicht den Kern, das harte Ethos der Arbeit und stellenweise auch seine Fragwürdigkeit, die Begegnung zwischen den beiden Königen: -dem schneehäuptigen Glockner und dem gigantischen Klotz aus Beton. In der Gestalt des alten gott- und naturnahen Bergführers Tribusser wächst der Film sogar stellenweise über die übliche Schablone solcher Konfrontationen von Technik und Metaphysik hinaus. Hier hat die echte, bildgewaltige Darstellerkraft Eduard Köcks einen ihrer stärksten Ausdrucke gefunden In Nahaufnahme so urgewaltig Photographien ist Köck vielleicht überhaupt noch nicht gewesen.

Noch zum Problem-Film zählt der amerikanische Film „Vor verschlossenen Türe n“. Ein verhaltenes Pathos läßt die etwas ungerecht verallgemeinernde Anklage gegen die Gesellschaft, die die Jugend in nach Kriminalität stinkenden Großstadtvierteln verkommen lasse und ihr dann in den Besserungsanstalten den Rest gebe, tragbar erscheinen. Der Film entrollt rückschauend aus einem Mordprozeß die Tragödie eines jungen Menschen und zugleich seines einzigen väterlichen Freundes, des Anwaltes, der, bis zuletzt von dem Burschen getäuscht, doch den Weg bis zum bitteren Ende mit ihm geht. Großartig wieder Humphrey Bogart.

Film schau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich), Nr. 7 vom 19. Februar 1955: Iii (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Der Teufelshauptmann“ — IV (FürErwachsene): „Julietta“, „Der Bäcker von Valorgue“, „Glück ins Haus“ — IVa,(Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Rosen aus dem Süden“ — IVb (Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Im Schlafsaal der großen Mädchen“.

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