6721051-1965_12_12.jpg
Digital In Arbeit

Das Gewissen der Welt

19451960198020002020

DER MONAT DER FALLENDEN BLATTER. Von Bruce Marshall. Deutsch von Hans-Jürgen Wille und Barbara Klau. Verlas Jakob Hegner, Köln—Ölten, 1964. 20 Seiten. Preis 14.50 DM. — DIE LEGENDE VOM VIE RTEN KÖNIG. Von Ediard S c h a p e r. Mit Zeichnungen von Celestino P i a t t i. 100 Seiten. Preis 9.80 DM. — DER GEFANGENE DER BOTSCHAFT. Von Edzard S c h a p e r. Drei Stücke, mit einem Nachwort Ton Max W e h r 11. 188 Seiten, Preis 12.80 DM. — DER AUFRUHR DES GERECHTEN. Eine Chronik von Edzard S c h a p e r. 188 Seilen. Preis 18.80 DM. Alle drei im Verlag Jakob Hegner, Kölll-Olten, 1964. DER FÜRST DER WELT. Roman. Von Erika Mitterer. Non-Stop-Bücherel, Berlin-Grunewald, 1964. 448 Seiten. Preis S.95 DM.

19451960198020002020

DER MONAT DER FALLENDEN BLATTER. Von Bruce Marshall. Deutsch von Hans-Jürgen Wille und Barbara Klau. Verlas Jakob Hegner, Köln—Ölten, 1964. 20 Seiten. Preis 14.50 DM. — DIE LEGENDE VOM VIE RTEN KÖNIG. Von Ediard S c h a p e r. Mit Zeichnungen von Celestino P i a t t i. 100 Seiten. Preis 9.80 DM. — DER GEFANGENE DER BOTSCHAFT. Von Edzard S c h a p e r. Drei Stücke, mit einem Nachwort Ton Max W e h r 11. 188 Seiten, Preis 12.80 DM. — DER AUFRUHR DES GERECHTEN. Eine Chronik von Edzard S c h a p e r. 188 Seilen. Preis 18.80 DM. Alle drei im Verlag Jakob Hegner, Kölll-Olten, 1964. DER FÜRST DER WELT. Roman. Von Erika Mitterer. Non-Stop-Bücherel, Berlin-Grunewald, 1964. 448 Seiten. Preis S.95 DM.

Werbung
Werbung
Werbung

Wieder liegen einige schöne christliche Romane vor, teüs neu erschienen, teils neu aufgelegt. Um mit dem liebenswürdig-heiteren „Monat der fallenden Blätter“ zu beginnen, so ist sein Autor Bruce Marshall dafür bekannt und beliebt, daß er sehr ernste Dinge sehr humorvoll zu servieren weiß. Die slawische Bezeichnung für November „listopad“ heißt Blätterfall. In diesem Monat nun reist ein britischer Philosoph nach Warschau, um in der dortigen metaphysischen Gesellschaft einen Vortrag zu halten und bei dieser Gelegenheit sein Honorar für die polnische Auflage seines Buches zu kassieren. Die naive Unschuld des Philosophieprofessors verfängt sich in die Netze des östlichen Geheimdienstes und kompliziert die mißliche Lage fortlaufend. Eine glänzende Gelegenheit für den Autor, seine Einsichten, Anspielungen und Zeitsatiren in gekonnter erzählerischer Qualität zu servieren. Doch der Komödiant besitzt ein weiches Herz, dem die Herbststirnmung nahegeht. Marshaill hat im Juni 1964 die Mitte zwischen 60 und 70 erreicht, wie sollte er da nicht über die „fallenden Blätter“ philosophieren. Diese heitere Wehmut und wehmütige Heiterkeit verklärt seine Lebensweisheit, macht das Leichte tief, damit es nicht seicht werde, und die Tiefe leicht, damit sie nicht zum Abgrund der Verzweiflung sich ausweite.

Der hohe Rang erzählerischen Könnens bewährt sich als gesteigerte Verantwortung bei Edzard Schaper. Für ihn gilt der Satz S. Freibargs: Der Dichter ist das Gedächtnis und das Gewissen der Welt, ja das Gewissen in dem Dialog, den die Zeit mit Gott führt. Schaper, der die epische Breite liebt, hat sich diesmal sehr kurz gefaßt, dramatisch zugespitzt, in drei Stücken, die für Rundfunk und Fernsehen geschrieben wurden: „Strenger Abschied“, „Der Gefangene der Botschaft“, „Die Kosaken“. Alle drei haben sehr reale historische Hintergründe aus den jüngsten Ereignissen: die Auslieferung Internierter gegen jedes Völker- und Menschenrecht, die Abweisung von Flüchtlingen, die Zuflucht in einer ausländischen Botschaft gesucht hatten, woraufhin der in der gleichen Botschaft asylierte Bischof aus Solidarität sein Asyl verläßt, und schließlich das letzte Stück: die berühmt-berüchtigte „Repatriierung“ der Kosaken von Lienz nach Rußland, der Spiegel dieser traurigen Ereignisse in der verwirrten Seele des englischen Majors, der mit der Durchführung betraut war und dafür befördert wurde. Alle diese „Helden“ sind Gefangene der Zeitumstände, der Gesetze, des Gehorsams und werden in letzter einsamer Entscheidung der Botschaft ihres Gewissens überstellt. Hier jedoch schlägt die Gefangenschaft in Geborgenheit um, geborgen im Menschlichen, das sie retten, und schließlich geborgen im Schöpfer dieses Menschlichen. In streng geführten Dialogen wird das Wesentliche zur Sprache: die Bewältigung des Unrechts und des Bösen im eigenen Herzen, sie allein rettet den Menschen und nicht irgendwelche vom Menschen gebastelte Fassaden,und sollten sie einen noch so religiösen Anstrich haben. Von diesem Innen wird der Mensch gewandelt und nicht von noch so gut und fromm organisierten Außenbezirken. Das gilt auch für die Sprache, sie bewegt sich nicht in leeren Bezügen, in ästhetischen Perspektiven von Wort zu Wort. Bei Schaper wird das Wort zum Logos, zum Sinn des Menschen. Das gilt dann besonders für die andere Novelle „Der Aufruhr des Gerechten“. „Mit Gottes Milch wird jetzt, wie es von alters her heißt, böslich Gips gemischt.“ „Böslich“ meint nicht unbedingt die Absicht der Mischer, sie tun es oft mit wohlüberlegten und frommen Absichten, aber meinen dabei „machen“ zu können, was sich nur trinken läßt, ereifern sich über Äußerlichkeiten (Statistiken, ob diese oder jene Verordnung, diese oder jene Einrichtung, latein oder deutsch usw.), wobei sich das „Böslich“ leider dann auch in die Absicht einschleichen kann (Intrige, Arroganz, „für den Ruf sorgt ja meistens doch nur die Mißgunst der Mitbrüder“), und vergessen dabei das wesentlich Auszeichnende für den Christen: die Liebe. Dieser fühlt sich der „Gerechte“ verpflichtet, er läßt die ihm anvertrauten Schafe nicht im Stich, schon gar nicht aus Kompetenzintrigen, erst recht nicht als die Katastrophe hereinbricht. Diese Liebe führt ihn auch wieder, allerdings erst in einem Gefangenenlager Sibiriens, mit seinem Vorgesetzten zusammen (die mißgünstigen, auf das Recht bedachten Mitbrüder haben sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht und disputieren in ihr souverän richterlich über die überstande-nen „Mißlichkeiten“).

Diese Liebe ist auch die letzte Weisheit der ergreifenden Legende vom vierten König. Sie ist dem Roman „Der vierte König“ entnommen, und es war eine glückliche Idee, sie gesondert in einer gefälligen Geschenkausgabe zu drucken. Mit den Heiligen Drei Königen war auch ein kleiner, kindlicher, russischer König aufgebrochen, um seine Geschenke nach Bethlehem zu bringen. Doch unterwegs zwingt ihn sein mitfühlendes Herz, sie nach und nach auszuteilen, er selbst gerät aus lauter Mitleid in Gefangenschaft und kommt schließlich erst zur Passionsstunde nach Jerusalem. Heruntergekommen an Leib und Seele trifft er dort eine Frau wieder, der er einst geholfen, und bricht unter dem Kreuz zusammen mit der Frage: „Aber mein Herz und ihr Herz, nimmst Du sie an?“ Eine der schönsten Legenden um das Leben Christi und des Christen.

Schließlich fügt sich in die letzten Gedankengänge auch die Neuauflage von Erika Mitterens „Der Fürst der Welt“ ein. „Durch die Darstellung der Zeitenwende des ausgehenden Mittelalters wollte ich meine eigene Zeit besser begreifen und die Frage beantworten, wie, in einem scheinbar intakten Gemeinwesen und in den Herzen der Menschen, die Machtergreifung des Bösen möglich wird.“ Es sind durchweg „NichtHelden“ einer Kleinstadt, die in Inquisition lind Hexenprozesse verwickelt werden. Eindringlich wird gezeigt, welches Unheil auch die alltäglichen Laster der Ohrenbläserei, des Neides, der Schadenfreude, der (auch religiös getarnten) Geltungssucht, der Neugierde usw. heraufbeschwören können. Am übelsten wütet eine anmaßende Alles- und Besserwisserei, die mit ihrem Unfehlbarkeitsdünkel Gewissenszwang ausübt, wogegen gerade Unschuld und Arglosigkeit so hilflos dastehen und daher in härtester Glaubensprüfung zugrundegehen. Auch hier helfen nichts rein äußerliche Maßregeln (die Inquisition hat sie ad absurdum geführt), nur die Wandlung der Herzen, die nur mit kräftiger Milch, keineswegs mit Gips, und wenn er noch so fromm und fortschrittlich angerührt wird, erreicht werden kann.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung