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Engel, Narren und Dämonen

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Tolstoi, der Nikolai Lesskow, von dem hier die Rede sein soll, besonders liebte, las oft im Kreise seiner Familie aus dessen Dichtungen vor. Eines Abends rief er dabei aus: „Es ist doch seltsam, daß man Dostojewskij so viel liest, ich verstehe den Grund nicht. Dagegen kann ich einfach nicht begreifen, warum Lesskow nicht gelesen wird!"

Nun, es ging Lesskow so, wie es so manchem Dichter ergangen ist: seine

Zeit mußte erst kommen. Noch vor wenigen Jahren war der Name Lesskow nur wenigen Kennern bekannt, denn selbst in seinem eigenen Lande war dieser Dichter niemals populär, da es einer unduldsamen Kritik gelungen war, ihn totzuschweigen.

Seit mehreren Jahren aber hat im Westen eine wirkliche und echte Renaissance dieses Dichters eingesetzt, die nicht als Modeerscheinung gewertet werden darf, sondern die der Erkenntnis entspringt, daß Lesskows dichterisches Werk in einem viel tieferen und ursprünglicheren Sinne als dasjenige Tolstois oder Dostojewskijs sich aus den wahren Wurzeln des Christentums nährt und somit prädestiniert ist, unserer in ihrer Moral angeschlagenen und seelisch ausgelaugten Zeit Halt und Trost zu bieten.

Nicht weniger als sechs deutschsprachige Verlage brachten seit Kriegsende Einzelausgaben von Werken Lesskows heraus, und seit kurzem liegt auch eine große sechsbändige, sehr würdig ausgestattete Gesamtausgabe der Werke Lesskows in der ausgezeichneten Übersetzung von Johannes von Guenther vor (Verlag Biederstein, München). Zweifellos stößt also der Dichter lange nach seinem Tode (er starb 1895) auf ein großes Interesse beim Publikum.

Dostojewskijs selbstquälerisches Gott- suchertum, das den Umweg über die krasseste Gottesleugnung nahm, mag wohl dem saturierten 19. Jahrhundert besser entsprochen haben als Lesskows kindlich-gläubiges, schlichtes Christentum, das erst den heutigen Menschen, der zwei Kriege, Not in jeder Form, Hoffnungslosigkeit find Verzweiflung über sich ergehen lassen mußte, anzieht und anspricht.

Lesskows Menschen leugnen Gott nicht. Sie sündigen zwar, und ihre menschliche Unzulänglichkeit führt sie oft dazu, gegen manches der Zehn Gebote zu verstoßen; sie gebärden sich auch manchmal, als wüßten sie nichts von einem gerechten Gott, der jeden Menschen eines Tages unweigerlich zur Verantwortung zieht; im großen und ganzen aber gleichen sig in ihrer ganzen Art eher ungezogenen Kindern, die sich gern der Vaterhand entwinden möchten und es letzten Endes doch nicht fertigbringen, weil eben diese Vaterhand sie festhält und nicht losläßt, jeden Augenblick bereit, das strauchelnde Kind an das verzeihende Vaterherz zu ziehen.

Lesskow schrieb Romane, Erzählungen und Legenden. „Die Klerisei", ein Roman aus dem Leben der russischen Geistlichkeit um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, ist ein ausgezeichnetes Kulturgemälde einer entschwundenen Zeit. Das Werk ist etwas lang, aber voll köstlicher Episoden ergreifender Situationen, und interessant auch deshalb, weil der hünenhafte Diakon Achilla in manchen Zügen eine auffallende Ähnlichkeit mit dem heute so populären „Don Camillo“ Gua- reschis aufweist.

Das Leben der russischen Popen beschäftigte Lesskow überhaupt außerordentlich, und einige seiner stärksten Erzählungen nehmen die Motive von dort her, so „Der ungetaufte Pope" und die wohl am meisten übersetzte Novelle „Der versiegelte Engel". Wo in der Literatur begegnet man noch einmal einem solch reinen und demütigen Menschen wie Pamwa, dem „zornlosen Greis", in „Der versiegelte Engel", von dem es heißt: „Wer ihn beschimpfte, den segnete er, wer ihn schlug, vor dem verneigte er sich bis zur Erde. Unüberwindlich war dieser Greis in seiner Demut! Womit hätte man ihn noch schrecken können, da er selber um einen Platz in der Hölle betete? Seine Demut hätte selbst die Teufel aus der Hölle vertrieben oder sie zu Gott zurückgeführt! Wenn sie begonnen hätten, ihn zu peinigen, so hätte er gebeten: ,Plagt mich härter, ich habe es verdient!’ Nein, nein, selbst der Fürst der Hölle könnte eine solche Demut nicht ertragen! Er schlüge sich die Fäuste wund an Pamwa, er bräche sich die Nägel an ihm und müßte schließlich dennoch seine Ohnmacht erkennen und sich vor dem beugen, der solche Liebe und solche Demut erschaffen hat."

Christliche Demut, Nächstenliebe, Gehorsam und Glaube sind die Hauptmotive seiner Legenden, die zum Schönsten gehören, was wir in der Literatur besitzen. Die Stoffe dazu entnahm Lesskow größtenteils frühchristlichen Quellen. Die Zeit des frühen Christentums behandelt Lesskow besonders gern, weil man damals das Christentum so ernst nahm, daß man Jesu Lehre wörtlich befolgte. Das Gebot „Wenn dich dein Auge ärgert, so reiße es aus", erfüllt Zenon, der berühmte Goldschmied von Alexandrien, in Lesskows Erzählung „Der Berg“ wortwörtlich. Der „Gewissenhafte Daniel“ wiederum läuft von einem geistlichen Kirchenfürsten zum anderen und bittet, man möge ihn bestrafen, da er einen Äthiopier erschlagen hat. Doch die Kirchenfürsten entschuldigen die Tat, weil es ein Ungläubiger gewesen, der Kaiser, weil der Schwarze einem feindlichen Stamme angehört hatte. Doch das Gewissen des gewissenhaften Daniel läßt sich damit nicht beschwichtigen.

Abgesehen von diesen farbenreichen und herzerquickenden Legenden, die in ihrer keuschen, verhaltenen und dennoch so eindringlichen Art an die Ikonenmalerei erinnern, hat Lesskow aber auch noch eine ganze Reihe ausgezeichneter Erzählungen über Land und Leute des riesigen Zarenreiches geschrieben, das er aus eigener Anschauung kannte wie kein anderer unter den Dichtem Rußlands. Da treten uns Typen entgegen, die der Leser nie mehr vergessen kann, sei es der verschrobene russische Don Quichote, der verarmte Landedelmann Dormedont Rogoschin oder die alte Fürstin Protosanow in „Ein absterbendes Geschlecht", die Bojarin Andrejewna und ihre Zwerge in „Alte Zeiten", Domna Patonowna in „Eine Kampfnatur" oder Katerina Lwowna — „Eine Lady Macbeth aus Mzensk“, bei der es einem kalt über den Rücken läuft, sei es Arkadij, „Der Toupetkünstler", oder Ljubowj, seine Braut, von der es so menschlich verstehend heißt: „Sie war geradezu grenzenlos ehrlich, sanft und sentimental, sie liebte im Leben das Tragis’che und manchmal trank sie ein wenig."

Zum Schluß sei noch auf einen ganz wesentlichen Zug, dpr uns Lesskows Dichtungen so liebenswert erscheinen läßt, hingewiesen: es ist sein prachtvoller Humor. Golden überglänzt er — wie Gottes Sonne am Himmel — Teufel und Engel, Gute und Böse, Kluge und Einfältige, Entgleiste und Herzensreine, Verbrecher wie Heilige; alle Kreatur auf Erden ist eingesponnen, samt ihren sehr unterschiedlichen Taten, in ein milderndes Netz verstehenden Humors. Di Menschen wissen ja selbst nur zu gut um ihre eigenen Schwächen — freilich, mehr wohl noch um diejenigen des Nächsten — aber: ist es notwendig, immer wieder hart und unerbittlich, grausam und fast mit geheimer Freude auf diese Schwächen hinzuweisen und sie ans Licht zu zerren, wie es allzu viele Dichter heutzutage tun? Nicht immer sind ätzende Laugen und scharfe Messer am

Platz, manches Leiden verlangt nach linderndem Balsam. Wer also müde von der Härte des Lebens ist, wer enttäuscht wurde oder gekränkt, der greife zu Lesskows Dichtungen, zu seinen Erzählungen und Legenden und vor allem zu seinem unsterblichen „Gaukler Pamphalon"! Sie richten auf und geben neuen Lebensmut, sie glätten die Falten der Sorgen und des Mißmutes und verwandeln sie in freundliches Lächeln, ja oft sogar in befreiendes Lachen.

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