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Romane der Grenzen

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ABSCHIED VON DIXIELAND. Roman. Von Douglas K i k e r. Aus dem Amerikanischen von H. & C. Wiemken. Carl-Schünemann-Verlag, Bremen. 398 Seiten.

Zu Dixieland, dem alten Baumwoll- und Nigger- gebiet im südlichen Nordamerika-, gehören Städte, wie Memphis, New Orleans und Little Rock, und Little Rock ist ein Begriff geworden. Es ist nicht nötig, mehr zu sagen, denn es weiß schon jedermann, was dort passiert ist. Um aber vorsichtig zu sein, hat Douglas Kiker seinem „Little Rock“ den Namen Antioch gegeben und Allerweltsfiguren aufmarschieren lassen, um seine Negerschulkinderaffäre in die richtige Gegenwart zu bringen. Sie sind weiter nicht erwähnenswert, die Redakteure, Rechtsanwälte, Politiker und Gouverneure, denn sie haben nur dafür zu sorgen, daß der Reporter Jess zu seiner Story kommt und der Leser zum Gefühl, dabei zu sein, wenn die Gemüter aufwallen, weil ein schwarzes Schulkind sich unter die weißen Kinder setzen will; wenn Steine fliegen, die Neger ihre Augen rollen, der Ku-Klux-Klan in alten Bettüchern herummarschiert, und allerlei anfängt, bedrohlich auszusehen, bis schließlich verschiedenes doch wieder im Sande verläuft und Jess sich am Ende ganz überflüssigerweise noch in moralische Unkosten stürzt, worauf er dann Abschied nehmen muß von Dixieland und auch von Dugan, bis das Berühmte Gras gewachsen ist.

Ich sage überflüssigerweise; denn ab Seite 250 ungefähr fängt die Geschichte an, etwas mulmig zu werden. Statt der Negerfrage drängt sich Dugan vor, ein reiches Gänschen mit sonderbaren Manieren und Kinkerlitzchen im Kopf, macht Kapriolen und sorgt für Sex und Liebe, und die Affäre wandert von der Straße ins Schlafzimmer ab; man weiß nicht recht, wozu, wofür und auch weswegen, denn es gehen dabei 150 Seiten drauf und Kiker muß sich mit einem alten Trick von mittlerer Güte behelfen, um seine Story solange noch einigermaßen am Leben zu erhalten.

Das Ding fällt also auseinander, und aus einem gesellschaftskritischen Roman wird eine Mixtur mit den üblichen Gewürzen und nach dem bekannten Rezept. Was bleibt, ist die gerissene Mischung eines berufsmäßigen literarischen Cocktailschüttlers, der insofern Vergnügen macht, als er es versteht, den Dixielandjargon unverdünnt zur Wirkung zu bringen.

DER DOLCH DER LUCRETIA. Roman. Von Albert J. Welti. Artemis-Verlag, Zürich-Stuttgart. 303 Seiten.

Kaum hat man angefangen, wird das Altfränkische spürbar, und ungeduldig, wie man . heute ist, will einem die leicht verschnörkelte Sprach- und Aus- drucksweise und auch das etwas Gottfried-Kellerhafte fremd und vergangen erscheinen. Denn es gibt da noch „die reiche Pracht“ und den „wohnlichen Eindruck“ und die anderen provinziellen Zierformen der älteren Prosa und die Konventionalismen der gehobenen Brauchtums- und Heimatliteratur. Und doch läßt man sich’s gefallen, versagt sich die Kritik und läßt sich etwas vorerzählen von einem zweifachen Witwer und Marquis, der ganz im stillen und geheimen eine hübsche Bahnwärterin liebt. Aber weil er ein Zauderer ist, erreicht er sie nicht und gibt nur ihrem Söhnchen die Liebe, die er ihr nicht geben kann. Doch dann mischt sich der Klatsch ein und der harmlose Mann gerät in Verdächtigungen, und die arme Bahnwärterin muß für etwas büßen, was sie gar nicht getan hat, und es kommt zu ziemlich schauderhaften Vorkommnissen, bis schließlich allerseits die Vernunft wieder obsiegt und ein verhältnismäßig akzeptables Happy-End zum Vorschein kommt. Ich hätte mir’s nun allerdings auch anders denken können und von mir aus hätte der Maler- Dichter Albert J. Welti nicht soviel Aufhebens machen müssen mit dem tragischen Knoten; und eine nette, biedermeierliche Erzählung aus dem Bugey, der sanften Landschaft südlich des Rhoneknies, wäre mir fast angenehmer gewesen; denn es ist das Atmosphärische, das diesem Roman seinen Reiz gibt, und jene nachsommerlichen Intimitäten, die man in Stifters Werk bewundert. Es ist der Zauber dėr Dinge, der sich entfaltet, und es sind Menschen, die manchmal, fast wie Porzellan in Vitrinen, nur noch zum stillen Anschauen da sind. Man sollte ihnen nicht zuviel Leben geben, so daß sie laufen und rennen und gestikulieren müssen.

Bert Herzog

DER TEUFEL IN DER WÜSTE. Von Paul Horgan. Deutsch von Annemarie und Heinrich Böll. Walter-Verlag, Olten. 72 Seiten. Preis 6.05 sfr.

Diese Erzählung sollte man Priestern schenken, die der Mut und das Vertrauen verlassen will; man sollte sie allen jenen schenken, die an der scheinbaren Ausweglosigkeit des irdischen Lebens leiden. Denn hier ist ein meisterlicher Dialog zwischen einem sterbenden Priester in der Wüste und der Versucherin Schlange (= Erde) geschrieben: unser Anteil an Zeit ist uns vom Vater im Himmel bestimmt und der Tod kommt immer zur rechten Zeit; man kann sich dann darauf verlassen: „Das Gute wird oft getan, ohne daß der, der es tut, auch nur die leiseste Vorstellung hat, er täte etwas Gutes. Das Böse aber ist immer erkannt!“ Wer in der Erdenzeit darauf geachtet hat, ist bis ins Sterben getröstet.

GEISTER UND LEUTE. Zehn Geschichten. Von Alfred An der sch. Walter-Verlag, Olten. 205 Seiten.

„Ein Brevier verschiedener Erzählweisen“ nennt der Verfasser selbst sein „Lesebuch“. Es ist ihm in höchstem Maße gelungen, stilsicher den jeweiligen Stoff zu behandeln. Dadurch ist dieses Buch so un- gemein fesselnd. Aber auch die Geschichten haben einen verschiedenen Gehalt: das Phantastischste und Realste, das Zeitpolitische und die wahrhafte Dichtung werden geboten. Ein sonderbares, ein/ bemerkenswertes Buch.

DIE GRENZE GOTTES. Roman. Von J. L. Martin D e s c a 1 z o, Butzon und Bereiter, Kevelaer. Aus dem Spanischen von Bruno G e u t e r. 302 Seiten.

Diesen Roman hat ein Priester geschrieben, der dafür den höchsten spanischen Literaturpreis erhielt. Dies ist zu bemerken, da der Roman alles andere als gewöhnlich ist — in Inhalt und Form. Es kommen darin der liebe Gott und der Teufel, die Geistlichen zwischen beiden, die Sünder zwischen beiden, die Wunder zwischen beiden, Heroismus und Niedertracht zwischen beiden vor. Das Gemisch eines ländlich-spanischen Dorfes ersteht vor dem Leser, der gezwungen wird, Stellung zu nehmen: wo ist wirklich im realen Leben die Grenze Gottes. Es werden so wohltuend-unwahrscheinliche Dinge von diesem Priester über die Priester gesagt, über Gott gesagt, über die Heiligen, über die Dummheit und sonstige Alltäglichkeit. Man müßte seitenweise zitieren. Da dies nicht möglich ist, muß man lesen; man wird gespannt und gebannt lesen und wieder nachlesen. Vielleicht hat hier ein priesterlicher Dichter und dichterisch lebender Priester vor eine Tür gestoßen, die wir gern übersehen hätten — die uns nun aber nicht mehr entläßt, es sei denn, daß wir sie selbst öffnen: W o ist Gott? Im deutlichen Undeutlichen? Im verkleinerten Großen? Zwischen den Dingen und Geschehnissen und doch ebenso darüber hinaus und tief darinnen? Es ist der Lohn, wenn man diesen Roman gelesen hat, daß man aus diesen Fragen nicht mehr herauskann ...

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