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Literatur von der „Stange“

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DIE GEZEICHNETEN. Roman. Von Willi Heinrich. Stahlberg-Verlag, Karlsruhe. 475 Seiten.

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DIE GEZEICHNETEN. Roman. Von Willi Heinrich. Stahlberg-Verlag, Karlsruhe. 475 Seiten.

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Mit dem Personal, das sich Heinrich für seinen Roman engagiert hat, ist nicht viel Staat zu machen. Es sind Streber, Denunzianten und Karrieremacher, subalterne Kriecher, Wirtschaftswunderkinder und durch „Kraft und Freude“ auf Abwege geratene Damen, Erpresser und gut bürgerlich frisiertes Pack. Unter sie gerąt ein Späthejmkehrer aus Workuta. Spätheimkehrer sind jetzt in einer gewissen deutschen Literatur, die sich aufs Raunzen verlegen und Moralisches von sich zu geben haben, was Heinrichs Her- gett denn auch prompt besorgt. Er ist zwar nicht weniger defizient als die Männlein und Weiblein im goldenen Westen, er ist ein arroganter Kerl, der eigentlich nichts kann und wenig gelernt hat, sich aber einbildet, man habe ihm gleich eine Stelle für 800 oder 1000 Mark im Monat anzubieten. Als das dann nicht der Fall ist, wird er unangenehm, bringt allerlei, das nicht in Ordnung ist, noch mehr durcheinander; spannt einem „Ritterkreuzträger mit Dachschaden" die Braut aus, macht ein Gezerre um Weiber und wird weinerlich, ,als er merkt, daß sie ihn als das nehmen, was er ist: als ein muskulöses Männchen mit der üblichen Achillesferse. Er hat bald, wie der Autor zu sagen pflegt, die Nase voll, benimmt sich sehr enttäuscht und fährt retour. Zwischen Osten und Westen wird er aber angeschossen, bleibt in einem Steinbruch liegen und das Spiel ist aus.

Das Ueberzeugendste ist eigentlich der Schluß: daß man weder im Osten noch im Westen solche Leute brauchen kann. Anderes bleibt auf der Strecke liegen, denn diese nachkriegsdeutsche Milieu- und Zeitkritik versandet sehr bald in der üblichen Liebesaffäre. Außerdem wird mit der Sprache geludert und eine wilde Drauflosschreiberei gefällt sich in Geschmacklosigkeiten. Das Ganze erweist sich als Literatur von der Stange, hat zwar äußere, aber keine inneren Dimensionen und dürfte in spätestens drei Jahren verschollen und vergessen sein. Was wir hoffen. Denn hier hat wieder einer die Welt nur von unten gesehen und von der menschlichen Zoologie scheint er nur die Schlangen, die Kröten und Kellerasseln zu kennen.

EINE FRAU NAMENS SUSANNE. Roman. Von Yvonne de Man. Aus dem Niederländischen von Georg Hermano wsky. Im Verlag der Bonner Buchgemeinde. 248 Seiten.

In der Zeit des Nebukadnezar, also ungefähr 600 Jahre vor unserer Zeitrechnung, lebte im kleinen Jordanstädtchen Abel-Beth-Maacha jene hübsche junge Jüdin, von der im Buche Daniel erzählt wird (Dn 13, 23). Sie ist in diesem Roman die Frau namens Susanne und mit dem Knaben Joachim verlobt, kommt aber früh nach Babylon zu einer Tante, wird weltstädtisch erzogen, findet Zugang am Hof und gehört ein wenig später mit ihrem Gemahl zu jenen emporgekommenen Exiljuden, die an den Wassern Babels weniger weinten als es sich wohl sein ließen. Aber dann bricht das Verhängnis über sie herein; denn als „Susanna im Bade“ wird sie verleumdet und dann siecht die kinderlos Gebliebene an einer schwer zu beschreibenden Krankheit dahin. Um den Nucleus der Skandalgeschichte hat Yvonne de Man ihren Roman geschrieben, archäologisch ziemlich getreu, aber doch modern in der Denkart und Psychologie und in der seelischen Kompliziertheit und Emanzipiertheit der Susanne und manchmal hört sich vieles fast so an, als ob diese altjüdische Susanne heute leben würde. Das stört indessen wenig und falls man kein Kulturgeschichtspedant ist, hat man sein Vergnügen daran. Schließlich ist das Ganze ein Roman und eine archäologische oder gar noch exegetische Verkühlung hätte zwar der historisierenden Akribie gegeben, was sie verlangt, der Sache aber die Erzählerfrische genommen und dem Roman einer witzigen und klugen Frau auch das, das man besonders schätzen wird. Nur gelegentlich stört die etwas keck moderne Ausdrucksweise, wenn etwa von „biologischen Einzelheiten“ geredet, wird,coder van „Kollaboration mit Babyloniern“, denn zu weit darf man so etwas auch nicht treiben.

KONTRAPUNKT DER STUNDEN. Roman. Von Gustavo C o r c a o. Nach einer brasilianischen Originalausgabe deutsch von Georg Hermanowsky und Thekla L e p s i u s. Verlag J. P. Bachem, Köln. 293 Seiten. Preis 13.80 DM.

In drei Teilen und 36 Kapiteln liegen hier die Aufzeichnungen eines Mannes vor, der an unheilbarem Krebs leidend und an einer Zersetzung des Blutes noch höchstens vier Monate vor sich hat. Es sind Monologe in den nahen Tod hinein, anfangs überlegend und gefaßt, dann unruhiger werdend, dann hastig, fragmentarisch und schließlich fiebrig, visionär, verstört und traumhaft. Gegen das Ende zu gibt es Phantasien wie nach Morphiuminjektionen. Das Leben wird noch einmal durchgelebt; das Fragwürdige daran fragwürdiger als je empfunden, verdrängte Schuld wird eingestanden; aber es kommt dann rasch zu einer Art von Selbstzerfleischung, die wie in einem Raptus auch noch das zerstört, was einmal recht war. Der Mann in Torschlußpanik schüttet einfach das Kind mit dem Bade aus. Er gerät in ein wirrmoralisierendes Umsichschlagen und — der Autor kann uns vom Gegenteil nicht überzeugen — zu keiner Aenderung der immer wieder falschen Lage Alles zentriert sich um eine verpfuschte Ehe, die falsch begann und falsch zu Ende ging, und in der Leidenschaft, Haß, Eifersucht und Eitelkeit wie die vier apokalyptischen Pferde erscheinen. Das Buch hinterläßt einen sehr zwiespältigen Eindruck: Streckenweise ist es wie ein Lavastrom, der alles unter sich verbrennt; dazwischen gibt es sonderbare Anwandlungen von Gutherzigkeit, die im Märchen angebracht sein mögen, in einem solchen Roman aber einen Anflug von Albernheit haben: denn der Mann verschenkt in einem Anfall von maßloser Geberlaune fast sein gesamtes Vermögen einem ihm fast unbekannten Küchenmädchen; aber nicht in bar, sondern in Form von kostbaren birmesischen Rubinen, von denen so ein Küchenmädchen keine Ahnung hat. In 4ieser Weise ist vieles verdreht, überdimensioniert, nur aufgeblasen.

WINDSTILLE VOR CONCADOR. Roman. Von Geno Harllaub. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main. 270 Seiten.

Irgend etwas schien mit den Ausweispapieren nicht in Ordnung zu sein, als die zwei Frauen und die drei Männer, die Geno Hartlaub sich aus den Passagieren der „Niobe" ausgesucht hatte, vor Concador an Land gehen wollten, und so kamen sie in Quarantäne und gegen Abend setzte sie das Polizeiboot nach Santa Monica über. Infolgedessen Zwangsaufenthalt auf einer Insel, Langeweile, Durst und Fliegen, Hitze, Aerger, Sorgen, Aengste, die Unbequemlichkeiten des Barackenlebens und schließlich „Schicksale gebündelt“. Denn nach dem Stumpfsinn verdöster Tage gingen die Münder über, Geschichten kamen an den Tag und jeder fing an jeder zu erzählen, was er hinter sich hatte, gefragt und ungefragt, Santa Monica ist also ein Wechselrahmen geworden für wechselnde Lebensbilder, und man erfährt zum Beispiel, was das nette Fräulein Claire auf Fahrt gebracht hat. Liebe selbstverständlich und man hat ja auch nichts anderes erwartet. Der Hintergrund des deutschen Ingenieurs dagegen ist schon etwas dunkler und hat mit dem Krieg zu tun, und dann folgen Egon, der Student, und Madame Rodencu, die Sängerin, Burton, der Arzt, und Pierre, ein Pariser, aber schließlich hat man genug und freut sich, daß die

Ausweispapiere doch in Ordnung befunden werden und das Ding auf Santa Monica ein Ende finden kann. Denn, mit Verlaub zu sagen, die eiserne Entschlossenheit der Verfasserin, sich jeden der Zwangsaufenthalter vorzunehmen, wirkt auf die Dauer fast ermüdend. Man sollte nicht so stramm und so gründlich sein wollen und drei Geschichten wären besser gewesen als sechs, auch wenn man zugeben will, daß Geno Hartlaub es versteht, kultiviert zu erzählen, mit geschickten Zäsuren und einem nicht alltäglichen Talent.

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