6743324-1966_50_11.jpg
Digital In Arbeit

GELEBT FÜR ALLE ZEITEN...

Werbung
Werbung
Werbung

„Königinnen der Filmleinwand, Mitglieder der Comėdie Franęaise, Tenore und Primadonnen der Wiener Oper, erinnert ihr euch jemals eurer bedauernswerten Vorfahren, die für euch den Weg bereitet haben, auf dem ihr glanzvoll schreitet? ... Was mich betrifft, ich denke manchmal an sie mit tiefstem Mitleid und mit Bewunderung. Welcher Dämon des Theaters hat in euch — Harlekins, Isabellen, Turlupins, Beatricen — gelebt, von welcher Liebe zu eurem Beruf wart ihr besessen, daß ihr euch in ein verachtetes Metier gestürzt habt, wo ihr nichts als Elend und Beleidigungen zu erwarten hattet! Von Ort zu Ort getrieben, mit Mißtrauen und Argwohn empfangen, habt ihr unter den Witzen und gemeinen Redensarten der Zuschauer eure Bretter auf geschlagen; dann habt ihr, mit Flitter bekleidet, euch gegenseitig Ohrfeigen und Tritte versetzt, um mit Gewalt die Gaffer zu unterhalten, die euch mit Zurufen belästigten, euch mit Gemüseabfällen und Steinen bewarfen. Ja, ihr armen, geschmähten Theaterleute, an euch denke ich mit Rührung und Zärtlichkeit, an euch, die ihr mit eurer Comedia dell’arte als erste in Italien und Frankreich eine Ahnung von dem gegeben habt, was die Kunst der Bühne und die Kunst des Schauspielers einmal werden könnte.“ Diese Sätze stehen in einem Buch Emile Fabres, der viele Jahre lang Leiter der Comėdie Franęaise war. Den Schauspielern des 17. Jahrhunderts aus der Generation vor Moliėre und selbstverständlich Moliėre selbst gilt Fabres Mitgefühl.

Mehr als tausend Jahre lang, vom Ausklang der Antike bis zum Ende der Renaissance, gab es den Beruf des Schauspielers überhaupt nicht. Den Menschen des Mittelalters galt der Komödiant als eine Art Besessener. (Um diese Einstellung lächerlich zu finden, muß man sich davor hüten, sehr große schauspielerische Leistungen auf sich wirken zu lassen.) — Die Ächtung des weltlichen Theaters (und damit des Berufsschauspielers) erfolgte im Jahre 305, auf dem Konzil von Elvire, nach dem dfie Schauspieler für die Dauer der Ausübung ihres Berufes exkommuniziert wurden. Am Ende der Renaissance bot die Kirche selbst die erste Möglichkeit für das Wiederaufleben des Schauspielerberufes: die Theaterleute im Dienste des Papstes waren von der Exkommunikation nicht betroffen. — Etwa 1630, zur Zeit, als er die Acadėmie Franęaise gründete, sammelte Kardinal Richelieu Dramatiker um sich, machte ihnen reiche Geldgeschenke und schrieb sogar selbst Szenen für die von ihm angeregten Theaterstücke. In seinem Palast, den die französischen Könige von ihm erbten, ließ er einen prachtvollen Theatersaal, eine Bühne mit den modernsten Apparaten des Barock- theaters, einbauen.. Überdies veranlaßte er, den.,.König Ludwig XIII., ein Edikt zugunsten der Berufsschauspieler zu 'erlassen, Pierre Corneille, der uns als der große alte Mann der französischen Tragödie gilt, verfaßte 1635 in einem Lustspiel („L’illusion comique“) eine große Tirade zum Lobe des Schauspielerstandes, der erst seit ganz kurzer Zeit nicht mehr verfemt war. („... selbst unser großer König, dieser Blitz des Krieges, dessen Stirn mit Lorbeer gekrönt ist, geruht manchmal, dem französischen Theater sein Ohr zu leihen...“)

Mit Richelieu war freilich der Kampf um den Wiederaufstieg der Theaterleute nicht beendet, sondern eigentlich erst an seinem Beginn. 1673 starb Jean Baptiste Moliėre kurz nach der vierten Vorstellung des „eingebildeten Kranken“. Zwanzig Jahre später sprach der berühmte Bischof von Meaux, Bossuet, vernichtende Worte über die Schauspieler und über Moliėre, „der während der Späße des Theaters den letzten Seufzer tut, um sogleich vor den Richterstuhl dessen zu treten, der sagt: ,Wehe über euch, die ihr lacht, denn ihr werdet weinen!' “ Das hat die Comėdiens Franęais vieler Generationen, denen Moliėre der heißgeliebte Patron war und blieb, immer wieder bitter gekränkt. (Im Gegensatz zu Bossuet war Kardinal Verdier der Meinung, daß „jeder große Flug ein Umgang mit dem Himmel sei“ [„tous les grands vols sont ä quelques ėgards une frequentation du ciel“]. Er fand eine Gelegenheit, die Kinder Moliėres zu trösten. Am 17. Februar 1922 besuchte er eine Vorstellung von Racines biblischem Drama „Esther“. Mit ihm kamen der päpstliche Nuntius, Exzellenzen, Eminenzen, der ganze hohe Klerus von Paris. Nach der Vorstellung ließ sich der Erzbischof die Darsteller präsentieren. Beim Verlassen des Theaters sagte er zu dem Hausherrn, dem bekannten Dramatiker Edouard Bourdet: „Diesen Abend, an den wir uns lange erinnern werden, verdanken wir eigentlich Moliėre.“)

Mit den französischen Klassikern hat das europäische Theater wiederbegonnen, und so stammen aus Frankreich die ersten Nachrichten, die wir über die Beziehungen der Autoren zu den Darstellern ihrer Werke haben. Der „Vater der französischen Tragödie“, Pierre Corneille, hat in Rouen das untadelhafte Leben eines verheirateten Anwalts der Krone geführt. Als er sich mit sechzig Jahren in eine junge Schauspielerin aus der Truppe des damals noch unbekannten Moliėre verliebte und ihr galante Billettchen schickte, lachte ihn die reizende Marquise Duparc aus. („Marquise“ ist ein Vorname in diesem Fall und nichts weniger als ein Adelsprädikat.) Das inspirierte den großen Corneille zu einem bezaubernden ärgerlichen Gedicht:

„Marquise, si mon visage A quelques traits un peu vieux, Souvenez-vous qu’a mon age Vous ne vaudrez guėre mieux ...“

Er macht sie — in sehr schönen Versen — darauf aufmerksam, daß er einige Reize hat, die noch dauern werden, wenn die ihren längst dahin sein werden.

„Pensez-y, belle Marquise:

Quoiqu’un grison fasse effroi,

II vaut bien, qu’on le courtise,

Quand il est fait comme moi.“

Indes hat Marquise Duparc ihre Reize nie schwinden sehen. Sie starb in der Blüte ihrer Jahre, kurz nachdem sie aus Liebe zu dem schönen jungen Dichter Jean Racine die Truppe Moliėres verlassen hatte.

Voltaire war sein Leben lang mit Schauspielern in Verbindung. Als junger Mann hat er Adrienne Lecouvreur bewundert und nach ihrem frühen, skandalumwitterten Tod — die Schauspielerin war die Geliebte des Feldherrn Moritz von Sachsen und wurde höchstwahrscheinlich auf Veranlassung einer jungen Dame aus dem hohen französischen Adel vergiftet — schrieb er zu ihrem Gedächtnis Verse, die zu seinen schönsten gehören. Voltaire hat den großen Le Kain für die Bühne ausgebildet und war mit der Clairon befreundet. Die Einnahmen seiner Stücke hat er fast immer den Schauspielern geschenkt. — Beaumarchais Wollte oder konnte nicht ebenso großzügig sein. Er fand heraus, daß die Tantiemenabrechnungen nicht stimmten und seine Prozesse mit den Schauspielern führten im weiteren Verlauf zur Gründung der Aütorengesellschaft.

Das Jahr 1784 ist das Geburtsjahr der „Luise Millerin“ und das Jahr, in dem die lange hinausgezögerte Erstaufführung der „Hochzeit des Figaro“, „dieses Wetterleuchten vor dem Gewitter der Revolution“, stattfand. — Zehn Jahre später endete in Frankreich die Herrschaft Robespierres, und Louise Contat, Beaumarchais’ erste Suzanne, entging auf wunderbare Weise einem gewaltsamen Ende durch die Guillotine. (An die Wand ihres Gefängnisses hatte sie einen stolzen, todesverachtenden Abschied in Versen geschrieben.) In diesem Jahre 1794 begann in Deutschland die Freundschaft Goethes und Schillers.

„Es gönnten ihr die Musen jede Gunst,

Und die Natur erschuf in ihr die Kunst.

So häuft sie willig jeden Reiz auf sich,

Und selbst dein Name ziert, Corona, dich.“

Man sollte es nicht für möglich halten, daß diese Verse von dem dreiunddreißigjährigen Goethe stammen und seiner vielgerühmten ersten Iphigenie — Corona Schröter — gelten. Sie sind in einem Gedicht enthalten, das freilich nicht für sie, sondern Zum Andenken an den ausgezeichneten Theatermeister Mieding geschrieben wurde.

Wenn man in Weimar die Fürstengruft mit den beiden gleichen monumentalen Särgen Goethes und Schillers besuchen will, muß man eine Allee durchschreiten, die einen alten Friedhof in ungleiche Hälften teilt. In kleinen Gruppen findet man da Gräber von Schauspielern aus der großen Weimarer Zeit. Es sind rührende, bescheidene Gräber von Leuten, die auch im Tode denen nahe sein wollten, die ihrem Leben Inhalt und Sinn gegeben hatten. Der letzte Wunsch dieser Schauspieler wird noch verständlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, daß beide Dichter, fast zur selben Zeit, das Schönste und Tiefste geschrieben haben, was wohl jemals über Theaterleute gesagt worden ist.

1797 schreibt Goethe während seines Aufenthaltes in der Schweiz die Elegie „Euphrosine“ im Andenken an seine Schauspielschülerin Christiane Becker, die mit neunzehn Jahren gestorben war. Im Glanz der untergehenden Sonne glaubt er auf einer rosigen Wolke die Verstorbene zu schauen und zu hören. Sie unterhält sich lange mit ihm und sagt zum Abschied:

„Einen Wunsch nur vernimm, freundlich gewähre mir ihn: Laß nicht ungerühmt mich zu den Schatten hinabgehn!

Nur die Muse gewährt einiges Leben dem Tod,

Denn gestaltlos schweben umher in Persephoneias Reiche, massenweis, Schatten vom Namen getrennt;

Wen der Dichter aber gerühmt, der wandelt, gestaltet,

Einzeln, gesellet dem Chor aller Heroen zu sich.

Freudig tret ich einher, von deinem Liede verkündet,

Und der Göttin Blick weilet gefällig auf mir.

Mild empfängt sie mich dann und nennt mich; es winken die hohen,

Göttlichen Frauen mich an, immer die nächsten am Thron. Penelopeia redet zu mir, die treuste der Weiber,

Auch Evadne, gelehnt auf den geliebten Gemahl,

Jüngere nahen sich dann, zu früh herunter gesandte,

Und beklagen mit mir unser gemeines Geschick,

Wenn Antigone kommt, die schwesterlichste der Seelen,

Und Polyxena, trüb noch von dem bräutlichen Tod,

Seh ich als Schwestern sie an und trete würdig zu ihnen; Denn der tragischen Kunst holde Geschöpfe sind sie.

Bildete doch ein Dichter auch mich; und seine Gesänge,

Ja, sie vollenden an mir, was mir das Leben versagt.“

In den glücklichsten Tagen seines Lebens, in der Entstehungszeit des „Wallenstein“, greift Schiller den Gedanken des Freundes auf (in dem Prolog von 1798) und gibt ihm Gestalt in dem seither tausende Male zitierten Satz vom Mimen, dem die Nachwelt keine Kränze flicht. Schiller hat die Schauspieler weit mehr geliebt als Goethe, der sich oft über sie geärgert hat und im allgemeinen auch viel strenger war gegen sie. So kommt denn ganz folgerichtig von Schiller der große Trost für die, die durch ihren Beruf ihr ganzes Leben dem Dichter gewidmet haben:

Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze,

Drum muß er geizen mit der Gegenwart,

Den Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen,

Muß seiner Mitwelt mächtig sich versichern,

Und im Gefühl der Würdigsten und Besten Ein lebend Denkmal sich erbaun. — So nimmt er Sich seines Namens Ewigkeit voraus,

Denn wer den Besten seiner Zeit genug Getan, der hat gelebt für alle Zeiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung