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Wiener Burgtheater 1896—1961
Zum neunzigsten Geburtstag eines Herrn Mayer aus Stuttgart fand in Wien eine Veranstaltung statt, die man getrost als einen österreichischen Staatsakt, und etwas mehr, in der Chronik unserer Zeit vermerken darf. Das sind nämlich, einzigartig in ihrer Art, die „Geburtstagsfeiern“ und Jubiläumsveranstaltungen des Burgtheaters für seine altverdienten Mitglieder. Hier allein im heutigen Österreich manifestiert sich unser Volk noch als eine Feiergemeinde und Kulturgesellschaft im hohen, guten Sinn des Begriffs. Vergleichbar nur der so ganz andersartigen Feier-
stunde für Alma Seidler fand nun am 15. April im Burgtheater ein Festakt statt, zum neunzigsten Geburtstag und zum Jubiläum der 65jährigen Zugehörigkeit zum Burgtheater Otto Tresslers. Tressler hat in mehr als fünfhundert Rollen dem Hause gedient, dem er bereits drei Jahre lang angehörte, als Josef Kainz an die Burg kam. Dies und viele andere bedeutsame Parallelen führte Ernst Häussermann in seiner Gedenkrede aus, in der er sich nicht nur als verdient neubestätigter Direktor der Burg, sondern als ein hintersinniger Kenner der Historie und Zditgiršchichte ausWjef. Tressler š®st spielte das Hohe Alter in Szenen aus „Der Bauer als Millionär“, in denen Hermann Thimig sichtlich ergriffen den Fortunatus Wurzel gestaltete (statt. Anneliese Rothenberger als Jugend hätten wir lieber die Konradi gesehen), und dann, in der Sterbeszene, den Cyrano von Bergerac. Das Programmheft vermerkt: Otto Tressler spielte die Rolle des Hohen Alters seit 1942, die Rolle des Cyrano von 1923 bis 1931. Der Jubilar, bekannt als angesehener Bildhauer, Maskenbildner, Musikant, Freund der Frauen und der Jugend, zog in seiner Dankrede alle Register, breitete die Künste des Mimen in nuancierter Fülle aus und gab dazu ganz sich selbst: ein lebendiges Herz, eine einmalige Persönlichkeit. Niemand, der diesem Festabend beiwohnte, wird ihn je vergessen. Geziemend sei auf die Mitwirkung des Wiener Schubertbundes und des Staatsopernballettes hingewiesen. Dieses tanzte zum Schluß den Walzer „An der schönen blauen Donau“. Hier ist die einzige Fehlanzeige über diesen Abend zu melden: Viele hatten erwartet, daß Otto Tressler die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen würde, mit der Primaballerina zuletzt selbst einen Walzer auf den Brettern zu tanzen, die ihm soviel Freude und harte Arbeit bereitet haben.
Ein anderes. Die junge, sympathische, intelligente Wiener Autorin und Schauspielerin Beatrice F e r o 11 i hat ein neues Stück geschrieben, das in den Kammerspielen seine Uraufführung erfuhr: „W u n s c h t r ä u m e“. Wir glauben nicht, daß Wunschträume der begabten Autorin, die das Zeug zu haben scheint, Ironie, Witz und ernstere Bedeutung, Gesellschaftskritik als Gesellschaftskomödie (wir wollen keine großen Namen nennen, in der Nachfolge Shaws, um ihr nicht den Willen und die Wege zu hemmen) zu entwickeln, hier in Erfüllung gehen. Abgesehen von der wenig glücklichen Grundkonzeption, scheint die Autorin von der Vorstellung besessen zu sein, Schlag auf Schlag witzige Worte machen zu müssen. Fürchtet sie, das Publikum zu langweilen? Die Jagd nach dem pausenlosen Dialog läßt sie übersehen, daß ein besseres Lustspiel Menschen braucht: Menschen in Fleisch und Blut, farbig, mit einem eigenen Leben, nicht nur „Rollen“, bei denen man nach drei Sätzen und Gesten weiß, was sie bedeuten sollen: hier also der überstudierte Psychiater Robert (Franz Messner), seine Gänschenbraut (Elfriede Ott), das liebenswerte Elternpaar (Erich Nikowitz und Susi Nicoletti). Hier stok- ken wir einen Augenblick: Susi Nicoletti gibt ihrer „Rolle“, der jugendlichen Mama, weit mehr, als in ihr angelegt ist, nicht nur Charme, sondern ein Air von Schicksal; Schicksal einer Frau zwischen zwei Altern. Gespielt wird allerliebst: Bruno Dallansky, Helli Servi und die Volksoperntänzerin Gerty Gordon, die als eine Art weiblicher „Harvey“, als Phantom, Wunschraum auf die Bühne tanzt. Sehr freundlicher Beifall: für die Schauspieler, für die Autorin.
„Anders als die andern“ muß eine Kellerbühne nicht nur im äußerlichen Habitus sein, wenn sie ihre Existenzberechtigung nachweisen will. Das heißt nicht: originell und extravagant um jeden Preis, wohl aber gibt es wichtige theatralische Aufgaben, die hier und nur hier sachgemäß und sachdienlich bewältigt werden können. Die Bedeutung Adamovs und noch mehr Ionescos für die Theatergeschichte wird wohl später einmal darin gesehen werden, daß sie nach dem Abgesang des Tllusionstheatėrs ihren Beitrag zum „Wohltemperierten Klavier“ oder zum „Ludus tonalis" des zukünftigen Theaters geleistet haben. Man interpretiert diese Werke also am besten in Etüdenform (nicht als Virtuosenstück, sondern als konstruktive Rechenaufgabe der Dramaturgie). Das verlangt eine asketische Zurücknahme des Komödiantischen, eine Konzentration, die wirkliche Reife und Zucht verlangt. Wir beglückwünschen das Theater „Experiment“, daß es dem mit den japanischen Nö-Spielen beschrittenen Weg treu geblieben ist und mit der psychoanalytischen Studie Adamovs, „W ir sind wie wi r wa ren“, wie auch mit Ionescos Farcen „D e r neue Mieter" und „Das heiratsfähige Mädchen“ gute Werkstattarbeit bot. Die Regie des jungen Niels Kopf wußte, worauf es hier ankommt. Der Verwirklichung seiner Intentionen kam das Bühnenbild E. P1 a e n e s, besonders aber der sichere Akzentstil Hellmuth H r o n s am besten entgegen. Er spielte seinen Part wirklich in der Art der berühmten ..Nähmaschine“ Strawinskys.
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