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Lautes Geläut

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Man macht sich so seine Gedanken, wenn in der Weihnachtsdekade, genau in jenen Tagen, da wie in ganz Europa. so besonders in Wien über ernste Filmkrisen gesprochen und geschrieben wird, sage und schreibe zwei Dutzend neue Filme in das Programm einer bescheidenen Eineinhaibniillionenstadt gepumpt, nein: auf Biegen und Brechen hineingepreßt werden. Der in Deutschland wirkende Wiener Filmwirtschafter (nicht Aesthet!, nicht Journalist!) Walter Dadek hat Ziffer für Ziffer belegt, daß die ganze derzeit geltende Kalkulationsvertikale von der Produktion über Verleih und Vertrieb bis zum Kinobesitz falsch ist, unter anderem, weil die Termine einander erschlagen. Vielleicht weiß „man“ das sogar, aber es will niemand den Anfang machen.

So fangen wir denn in Gottes Namen an, zu berichten über ... über 24 Filme? Ist das der Kritik zuzumuten? Ist hier, wo sich die Werbung überdeutlich festrennt, nicht schon wieder eine Station im Circulus vitiosus?

Es hieß in der Vorwoche an dieser Stelle, daß mit „Geschichte einer Nonne“ wahrscheinlich der würdigste und weihnachtlichste Film im Wiener Programm anlaufe, was sich bestätigt hat — trotz der befremdenden Begrüßung, die dieser Film in dem sonst so ehrgeizig geführten Filmteil der „Arbeiter-Zeitung“ gefunden hat. Da wir auch in diesen Tagen zu hoher Auszeichnung nicht unbedingt falsches Warenhausglockengeläut fordern, gebührt unsere Aufmerksamkeit zunächst jenen Filmen, die es mit ernsten, wenn auch harten Problemen sichtlich ernst nehmen. Das ist zuvorderst dem amerikanischen Propagandafilm gegen die Todesstrafe, „Laßt mich leben!“, rundweg zuzubilligen, zumal man einer Darstellerleistung wie der Susan Haywards nicht so bald wieder begegnen wird. Ich halte aber daran fest: ich werde dem humansten Film seinen Humanismus, ganz gleich welcher Abstammung, erst dann glauben, wenn er das letzte Galeriemätzchen abgetan hat. Deutlicher gesagt: es war ganz und gar unnotwendig, daß dieser Film ,in diesem hohen Rang sein todernstes Problem an dem völlig untauglichen Objekt einer ausgekochten Spelunkenpflanze abwickelte. — Auch der englische Psychothriller „Tiger B a y“ ist in seiner Art brillant gemacht, die beiden Hauptdarsteller, Horst Buchholz und die kleine Hayley Mills, sind phänomenal. Wenn der Durchschnittsbesucher am Schluß aber davor zu bangen beginnt, daß der Totschläger vielleicht doch noch der bösen Polizei in die Hände fallen könnte, muß doch etwas faul an der Geschichte sein. — Einfacher liegt das Ding bei dem deutschen Film „Am Tag, als der Regen kam“, den der Sohn eines einstigen großen deutschen Regisseurs, der Hollywoodianer Gerd Oswald, gemacht hat. Der Film ist ganz einfach überbelichtet, die reißerische Milieuexposition ist seinem Herzen näher als das Halbstarkenproblem. Er sagt, wie der Film fast immer, Gott und meint Kattun.

Ungetrübter Genuß dagegen, Teine Freude und anspruchsvolle Unterhaltung kam, wie häufig, . aus den Gefilden des Humors. Dabei ist „Freunde fürs Leben“, Geschichte einer Schulfreundschaft zweier, ungleichartiger.,Buben, schon- jwegen --des. ,-wehmütigen Schlusses nicht mehr. ganz ..dazuzureeh^ nen, aber einen Jugendfilm so subtiler Regungen und charakterlicher Nuancierungen werden wir nicht so bald antreffen. — Dem Film „D ei Hund, der Herr Bozzi hieß“ gelingt ein weiterer Ausbau jenes vielversprechenden Typus des sozialkritischen Märchens, der in letzter Zeit stark reüssiert hat. ' Hinter allem Zauber und Schmunzeln ist noch etwas dahinter. In ihrer Art waren die beiden letztgenannten die besten Filme des Festprogramms.

Ihnen zunächst kam der amerikanische Zeichentrickfilm „Wenn es Nacht wird in Ara-b i e n“, gekoppelt mit dem zauberhaften „A b e nr teuer eines Goldfisches“; aber auch das deutsche Lustspiel erwischte mit „Alles liebt J a q u e 1 i n e“ noch einen Zipfel der Festtagserfolge.

Vielleicht ist es zuviel verlangt, von dem italienischen Filmteam des unvergessenen „Verlorenen Kontinentes“, das sich ein Jahr lang in die Höhle des Löwen begab und beim Film „H1 n $ er der Chinesischen Mauer“ täglich und stündlich das Wohlwollen der chinesischen Volksdemokratie beanspruchen mußte, auch noch /.kritische Distanz“ zu fordern. Genug, es gelangen erstaunlich charakteristische und berückend schöne Farbbilder. Daß der . Höhepunkt ein Rausch von lubel und Aufmarsch-ist, fällt nicht aus dem Rahmen.

F i 1 m s c h a u (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich), Nrn. 51 und 52, vom 19. Und 26. Dezember 1959: II (Für alle zulässig): „Freunde fürs Leben“ **, „Der Löwe von Babylon“ — IIa (Für alle; für Kinder gewisse Vorbehalte): „Die schöne Lügnerin“, „Der Hund, der Herr Bozzi hieß“ ** — III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Das blaue Meer und du“, „Hinter der Chinesischen Mauer“ *, „Interpol ruft Berlin“, „Operation Eismeer“, „Alles liebt Jaqueline“, „Freddy unter fremden Sternen“, „Die Geschichte einer Nonne“ **, „Der letzte Befehl“, „Menschenjagd im Dschungel“. „Mit mir nicht, meine Herren!“ *, „Morgen bist du dran“, „Der Rächer im lila Mantel“ — IV (Für Erwachsene): „Hügel des Schreckens“, „Strich durch die Rechnung“, „Invasion vom Mars“, „Die tolle Tante“ — IVa (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Erinnerung einer Nacht“, „Schöne Frauen, falsche Pfunde“, „Tiger Bay“ *, „Am Tag, als der Regen kam“, „Bezaubernde Arabella“, „Rakete 510“, „Sein Colt war schneller“ — IV b (Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Pedro und die Weiberröcke“ — V (Abzuraten): „Die Kurtisane von Santiago“, „Schmutzige Geschäfte“, „Gewalt gegen Gewalt“. — * = bemerkenswerte Filme. ** = empfehlenswerte Filme.

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