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Ein Papst trat aus dem Ghetto

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Das tragische Schicksal, daß die stürmische Entwicklung des Films selbst wichtige Veröffentlichungen der Filmästheten in den letzten Jahrzehnten veralten ließ, teilt die bedeutendste katholische Enuntiation zu diesem Thema: die Enzyklika Papst Pius' XI. „Vigilanti cura“ vom Jahre 1936 ganz und ga'%icht. Das ist kein ZufalL Die sittlich-religiösen Maßstäbe, die die Enzyklika an das erregende, weltbewegende Phänomen Film legte, erwiesen sich, wie auch sonst, eben auch hier krisenfester und dauernder als die ehrenvollsten Irrtümer und kühnsten Thesen der Aestheten, bestenfalls noch: Pädagogen und Soziologen. Das Säkulare dieser Enzyklika wird denn auch, auch wenn Wir ihre Früchte heute rund-um'schon genießen, erst in unseren Tagen voll erkannt: der bisweilen geradezu erschreckende Siebenmeilenschritt der Kirche in die Welt, in die höchste und allerzeitgemäßeste Gegenständlichkeit ihrer Zivilisation. Neben der unschätzbaren Grundsteinlegung zu einer modernen Stadt- und Land-Filmseelsorge in Form der heute weltweit geübten laufenden Begutachtung und gemeinverständlichen, gewissenverpflichtenden Rangordnung des gesamten Kinöprogrammes finden sich in „Vigilanti cura“ unverkennbare Grundzüge einer Theologie des Films, die noch geschrieben werden muß.

Eine Feier, die die Katholische Filmgilde in Wien dieser Tage zum zwanzigjährigen Jubiläum der Enzyklika in Anwesenheit des päpstlichen Nuntius Erz-bischof Dellepiane veranstaltete, spiegelte die ganze Bedeutung wider, die diese gewichtige und richtunggebende päpstliche Kundgebung im „Jahrhundert des Films“ darstellt. Die gehaltvollen Einleitungsworte Prälat Dr. Rudolfs, die tiefdringende Analyse Chefredakteur Dr. Robert Prantners und das mitreißende Schlußwort Bischof DDr. L ä s z 1 6 s gaben dem Abend ein festliches Gepräge. Es war wie ein Vorspiel zum bevorstehenden ersten österreichischen Filmsonntag, wenn aus dem Munde der Sängerknaben des Schottenstiftes dabei die Psalmworte erklangen: „Kommt herzu, wir wollen fröhlich sein!“

Entgegen dem akuten Herbstanfall der Natur steht das Filmbarometer- in diesen Wochen andauernd auf Hochdruck.

Jugoslawien gibt mit „Entscheidung am Fluß“ ein großgestig inszeniertes und gespieltes, menschlich packendes Partisanendrama, versäumt aber die Gelegenheit, sich durch einen gleich großzügigen Sprung über den eigenen Schatten für die loyale österreichische Geste der „Letzten Brücke“ zu revanchieren:'das Tragische bleibt im Birmenbereich der eigenen Reihen, schließt aber nicht den Gegner ein.

Soldatentum und Krieg werfen auch noch in zwei amerikanische Filme Schatten. „Zur Hölle und zurück“, die Geschichte des meistausgezeichneten Soldaten Murphy, ist kein Loblied auf den Krieg, und „Verdammt zum Schweigen“ sogar eine harte Anklage gegen den „Preußismus“ in der. USA-Armee.

Historie in Prunk und Pracht, zuweilen auch nur pikante Histörchen gibt Sascha Guitry in „V e i-sai 11 e si K önige und Fr a u tn“. -Trotz der „Kurzfassung“ etwas langatmig und auch im Witz schon etwas altersmüde. Die schwulstige nationale Schlußapotheose ließe sich spielend, leicht durch „Deutschland, Deutschland über alles“ ersetzen.

Der deutsche Problemfilm verklemmt sich im „M e i n e i.d b a u e r“ hartnäckig in die Sucht, das Auzengrubersche (schon damals salonbäuerische) Klima näher an unsere Zeit zu rücken und scheitert daran: trotz unwahrscheinlich guten Schauspielerleistungen. Dagegen scheint der Typus O. W. Fischers völlig adäquat mit der brüchigen Neurotik des Mannes von heute zu sein: auch sein neuester Film ...Mein Vater, der Schauspieler“ kommt bei jung und alt. Mann und Frau „gut an“. Man ist wieder einmal versucht, ihn keinen ganz guten Film, aber allerbestes Kino zu nennen. — Recht lecker die deutsche Ehekomö.die „Heute h.eira-, tet mein Mann“ (Annemarie Selinkos Bestsellerie ist in der Literatur das, was soeben „Kino“ genannt wurde); etwas zu wienerisch verkrampft das österreichische Lustspiel „Da s Liebesleben des s c h ö n e n F r a n z“.

Nicht nur Cannes 1956, die ganze Welt reicht dem französischen Unterwasser-Farbfilm Jacques-Yves Cou-steaus und Louis Malles „Die schweigende Welt“ die goldene Palme des Films. Gewiß waren das an sich nicht sonderlich große Expeditionsschiff „Calypso“ und sein Filmteam mit besonderen Kameras und Tauchgeräten ausgerüstet wie nie zuvor Leute vom Film. Dennoch ist, was sie da unten an Lebendem und Blühendem, an leuchtenden Farben und urzeitlichen Geräuschen entdeckten, sensationell. Der Film hetzt förmlich von Gipfel zu Gipfel: vom Massenaufmarsch der Delphine über den „Seemannstod“ des jungen Pottwals und den Leichenschmaus der Haie bis zur aufregenden Idylle um „Jo-Jo“, den Haushund unter Wasser. Die atemraubende Farbphotographie, die brillante „Komposition“ in Schnitt, Musik und Conference, nicht zuletzt auch die aufgesetzten humoristischen Lichter haben nur ein Gegenstück „über dem Wasser“: Walt Disneys Epen vom wilden, schönen Tier auf dem Land. Fast scheint es, als ob die „schweigende Welt“ noch eindringlicher zu uns rede.

F i 1 m s c h a u (Gutachten der Katholischen Film-kommission für Oesterreich), Nr. 43 vom 3. November 1956: II (Für alle zulässig): „Die schweigende Welt“, „Der Bucklige von Bagdad“ — III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Entscheidung am Fluß“, „Verdammt zum Schweigen“ — IV (Für Erwachsene): „Mein Vater, der Schauspieler“, „Zur Hölle und zurück“, „Das Liebesleben des schönen Franz“ — IVa (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Schock“.

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