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Der veruntreute Himmel

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„Der veruntreute Himmel ist der größte Fehlbetrag unserer Zeit. Seinetwegen kann die Rechnung nicht in Ordnung kommen ... Ich hab' schon sehr früh erkannt, daß der Aufstand gegen die Metaphysik die Ursache unseres ganzen Elends ist... dabei ist der Aufruhr selbst noch weniger verabscheuenswert als die Gleichgültigkeit in seinem Gefolge, die kosmische Verdummung des Menschen.“-. .

Merkwürdig.-, Der .Dichte - Franz -Werfel hatbdiese A Salze und den Roman .,D e r v e r u n-tr e u-1 e H i m m e 1“, dessen Nachspiel sie entstammen, zu einer, Zeit geschrieben, da es noch nicht Mondraketen, Automation, Prosperity und totale Wohlfahrt gegeben hat. Um wieviel mehr empfinden wir heute die Gestalt der böhmischen Magd Teta Linek als Aufstand der frommen Einfalt gegen die „Realgesinnung“, „gegen die Geistesverfassung des ungegliederten Massenmenschen ... gegen den Roboter, den mechanisierten Golem, der hilflos an seinen Schmerzen laboriert und von einem Krampf in den andern fällt.. .“. Dies ist die eine Dimension des Buches Werf eis. Die andere: der Weg des ewigen Juden zu Gott. Ich kenne unter den Selbstbekenntnissen der großen Konvertiten dieses Jahrhunderts keines, das so ergreifend das tiefe, ehrliche Ringen um die religiöse Wahrheit und Wirklichkeit widerspiegelt wie Werfeis „Veruntreuter Himmel“: „Sie wissen, daß ich extra muros stehe. Sie werden aber auch aus unseren Gesprächen erkannt haben, daß ich jedem Glauben, vor allem aber dem katholischen, mit größter Liebe und Verehrung zuneige.“ Ueber die Endstation Werfeis auf diesem Wege sind wir nicht im klaren. Sie blieb im Dunkeln, und unsere Augen und Ohren sind schwach, aber unser Herz kann hoffen.

Ernst Marischka, der schon früher den Bogen seines Filmstiles von der „Matthäuspassion“ zu „Sissy“ bis zum Zerreißen gespannt hat, präsentiert in diesen Tagen wieder neben dem „Dreimäderlhaus“ den „Veruntreuten Himmel“. Den obigen geistigen Ballast wirft er kurzerhand ab. Er schafft damit Raum für den „Roman“, den Konflikt in Teta Linek, die sich bekanntlich den Himmel erkaufen will, von einem Schwindler aber um alles geprellt wird. Das kommt klar, sauber und als persönliches Schicksal erschütternd heraus, zumal eine Wiener Volksschauspielerin damit die Rolle ihres Lebens spielt: Annie Rosar. Dabei geht es freilich nicht ohne Schnitte ins Fleisch ab. Die Gestalt des im Schicksal der gräflichen Familie und ihrer Magd, ja noch mehr: in der wirren Zeit so tief verankerten Dichters, Juden und Emigranten Werfel schrumpft in'der substanzlosen Kurzfassung eines Hausfreundes Theo zu einem blassen Schemen im luftleeren Raum zusammen, das die unglückliche Fehlbesetzung mit dem charmanten, eleganten Bonvivanttyp Victor de Kowas noch überdeutlich macht. Von hier aus droht stellenweise das ganze geistige Gerüst des Films aus den Angeln gehoben zu werden.

Aber: die Pranke des Löwen schlägt zu. Mit aller Wucht dacht Marischka über das schwanke Zelt einen barocken Baldachin, der bei Werfel in matteren, gedämpften Farben flimmert, hier aber in triumphierenden Farben und Gesängen schwelgt. Ein gutes

Drittel des Films gehört dem Rom- und Papst-Erlebnis Teta Lineks, zu dem ein — heute doppelt denkwürdiger — Empfang bei Papst Pius XII. einen überwältigenden Rahmen liefert. Hier ist der große Wiener Spielleiter in seinem Reich, hier ist er König und ihm niemand gleich. Und damit gibt er auch mit diesem Film, was er dem geistigen und religiösen Ziel des Buches, seines Schöpfers und seiner hunderte tausende- stillen,T.reunde schuldig, bleibt, Millionen Menschen in Form von. herz-, aug- und..ohrerfreuen-.. den großartigen Fildern reichlich wieder, schafft ein. einmaliges vatikanisches Filmdokument und schenkt dem Wiener Filmprogramm zu Weihnachten 1958 seinen festlichsten Beitrag ...

... unter stärkster, weltweiter Konkurrenz, denn immerhin sahen, erlebten wir noch Hemingways „D e r alte Mann.und das Meer“ als einzigartigen Ein-Mann-Film (Spencer Tracy) auf der Leinwand wieder, zwar auch mit schmerzlichen Verkürzungen des episch breiten und intensiven Originals, aber doch mit einem spürbaren Hauch von unvergänglicher Poesie. Zu den großen Premieren ist noch ,;C a 1 a-buig“ (spanisch-italienisch) zu zählen, in dem ein müder Raketenforscher (Edmund Gwenn) unter kleinen Leuten im Dorf Ferien macht, dort wie ein Weihnachtsmann schmunzelnde Heiterkeit verbreitet und wohl auch irgendwie zu sich selbst findet. Mit kräftigeren Farben tupft der Däne Gabriel Axel von der Palette seiner brillanten Dorfsatire (Einbruch des Petrol-Amerikanismus in die Idylle) in den Film „Goldene Berge“ hinein.

Mit dem letzteren entfernt themenverwandt, aber doch nicht mehr ganz im gleichen Rang, gibt sich der italienische Film „A nnavon Brooklyn“, mit Gina Lollobrigida und Vittorio de Sica, den überdies überflüssige religiöse Spötteleien verunzieren. „D i e Trapp-Familie in Amerika“ (deutsch) bietet das Thema des ersten Teiles noch einmal auf, lei-. der nicht mehr ganz die alte Frische und Leuchtkraft. „Er wachende Herzen“ (französisch), ein Film Claude Autant-Laras, versucht sich in der „keusch-pikanten“ Wiedergabe des Colette-Stiles. Quod licet jovi, non licet bovi... Kaserne und Krieg ziehen zum Friedensfest nur zweimal über die Leinwand: in der plumpen amerikanischen Groteske „Blindgänger der Kompanie“ und dem pathetischen Italiener „Himmel in Flammen“; deutscher Klamauk, gottlob, nur einmal: „Jetzt ist er da - aus US A“.

Daß es ein Kinderfest ist, haben nicht vergessen: „Schneewittchen“ von Disney, ein alter „Klassiker“, „S i n d b a d s 7. Reise“, eine neue imposante amerikanische Märchenmaschinerie, und „M ajestät auf Abwegen“ mit etwas ver-krampf lustigen deutschen Filmkindern.

Sechs Feiertagspremieren wurden nicht mehr erreicht. Laßt uns das neue Jahr damit beginnen: man lobt und schimpft dann viel erfrischter und ausgeruhter.

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