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Der andere Ton

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Zwei schmale Bände, Prosa und Gedichte, beide zusammen ergeben eine Sammlung, eine Auswahl aus einer Flut von Impressionen — ein Ausschnitt aus einem Lebensweg. Aus dem Leben eines jungen Menschen, der in den letzten 20 Jahren im Sturm unserer Zeit heranwächst. Gerüttelt und geschüttelt, oft über das Maß des Erträglichen. Die gutbürgerliche Kinderstube in Wien behütet mit den Träumen einer späten ästhetisierenden Schönheitskultur. Nachwehen des fln de siecle, der Loriswelt Hofmannsthalscher Prägung. Dann aber ist sofort das andere da: in Angst und Schrecken wird die Welt als ein unverstanden-unverstehbares Loch erfahren, ein Kerker, in dem Kranke, Irre, Verbrecher hausen: Kafka ist plötzlich ganz nah. Kein Zufall, daß, im guten Sinn des Wortes, die besten „Geschichten“ stark an ihn anklingen. Was Kafka noch im Innenraum des Ichs sieht, wird Hakel gezwungen, in der Außenwelt anzuschauen: verquälte, gepeinigte Jahre als Flüchtling quer durch Europa. Armut, Schande und Schönheit Unteritaliens, KZ in Italien — in der Nachschilderung von fern an Carlo Levi erinnernd —, Flucht weiter In den Nahen Osten, nach Palästina. Ein geschundenes Da-Sein also, Immer aber noch klingen herein die Träume und Tränen der Kindheit: Sehnsucht nach Begegnung mit den großen Meistern der Form — diese stammelnde Sehnsucht sucht Aussage des eben Erlebten, des ätzend heißen, versehrenden Augen-Blicks. Das Fragmentarische, Gewollt-Brüchige, Hart-Herbe, Ungerun-dete in Hakeis Stil erweist sich als begründete Aussageform dieser „P r e s e n c e s“, wie die Franzosen sagen würden. Weit ist der Weg her von Peter Altenberg „Wie ich es sehe“: Hakeis Kurzgeschichten vertreten einen Neuimpressionismus, der bewußt über Altenbergs Verhaltenheit hinausgeht: das persönlich und kollektiv erfahrene Leid, die Not der Zeit pressen diese oft so banalen Stories ins Transzedente hinein — zumindest in jene Randzone, in der echte Zeitdichtung heute beheimatet ist. Der tote Bauer In Kalabrien, das kleine, dumpfe Mädchen, ein paar schwarze Bäume — in scharfen, knappen, bewußt kahlen Aussagen wird hier etwas hereingeholt von dem, was die Wachsten einer Generation zwischen den beiden Kriegen zutiefst beeindruckt, ja geformt hat: die Welt ist nicht rund, nicht samten und seidig, sondern eckig, mit tiefen Löchern, an ihren Kanten und Spitzen zerstoßen die Besten sich ihr Herz. Sie ist nicht vertraut, sondern unver-traut, sie birgt nicht Trost, sondern Untrost: so daß von diesem auszugehen ist, um in Lied und Wort eine neue Tröstung zu finden. — Von diesem Weltgefühl geben Hakeis Prosa-Impressionen Bericht in einer sehr verhaltenen, verhüllten Form — expressiv-deklamatorisch, in harter programmatischer Aussage: seine Gedichte. Man tut also gut, diese zuerst zu lesen — als Interpretation jener Sinngebilde seiner Prosa.

Zusammen ergeben sie ein Bild, das sich deutlich absetzt gegen die schöntonigen Reimereien und Romantizismen, die, geschirmt von großen Schatten (Rilke ...), so vielen jungen Lyrikern heute zur Versuchung werden — gerade auch in Österreich — was Almanache und Verssammlungen beweisen. Hier klingt ein anderer Ton.

Dr. Friedrich Heer

Liebeslied aus Meran. Von Maria Veronika Rubatscher. Verlag Herold, Wien. ' Eine Novelle mit stark märchenhaftem und balladeskem Einschlag aus dem mariatheresia-nischen Südtirol. Die Geschichte der Leiden-schaftsehe zwischen der schönen Weinbäuerin Simild und dem wilden Lahnbacher-Jörg, dem Holzknechtkönig. Die herbe, strenge, drangvolle Geschichte ihrer Liebe und Treue über alle Fährnisse hinweg bis zum guten Ende, das die Kaiserin bewirkt, indem sie dem landesflüchtigen Aufrührer verzeiht. Dieses zwar umfänglich kleine, aber kraftvoll bewegte Werk aufgelegt und ihm ein so prächtiges, noch den verwöhntesten Bücherliebhabern ansprechendes Kleid mitgegeben zu haben, muß man dem Verlag danken. Er tat es wohl aus der richtigen Erkenntnis heraus, daß gerade dieses Buch für die Dichterin in einem besonderen Maß charakteristisch ist. Dafür, wie strichsicher sie Land und Menschen zeichnet, wie gewandt sie die Handlung führt, wie sie mit den Mitteln der Volkssprache Atmosphäre schafft und wie sie Bild zum Sinnbild erhöht.

Dr. Friedrich S a c h e r

An Etsdi and Eisack. Südtiroler Almanach. Herausgegeben von der „Gesellschaft der Freunde Südtirols.“ Wien und Innsbruck, 176 Seiten, 14 Abbildungen und eine große Karte als Beilage.

In ansprechender Form legen hier die Freunde Südtirols, auch heute stärkerer Unterstützung würdig, als sie sie wohl derzeit finden, einen lebendig gestalteten und zwischen Dichtung und politischer Orientierung über die wichtigsten Tagesprobleme Südtirols wohlausgewogenen Almanach vor, der neben charakteristischen Proben südtirolischer Dichtkunst — Wenter, Oberkofler, Mumelter, Bruder Willram, Weingartner — auch wertvolle historische Beiträge aus berufener Feder bringt und schon deswegen von wirklicher Bedeutung ist. Der Wortlaut des „Pariser Abkommens“ Gruber-Degasperi leitet diesen Teil des hübschen und reichillustrierten Buches ein. Ihm folgen Stimmen zur Südtiroler Frage, die ausführliche und für die Geschichtsschreibung wichtige Darstellung des Umsiedlungsplanes (Prof. Dr. Reut-Nicolussi), eine besonders erwähnenswerte Studie von Prof. Dr. Hans Kramer über die Sprach- und Volkstumsgrenzen Im alten Tirol mit umfangreichen Quellenangaben, eine Zusammenstellung der letzten Wahlen in Südtirol und ihrer Bedeutung und schließlich ein origneller, aus den USA stammender Plan, Südtirol zu einem „Internationalen Park“ zu erklären. Es entspricht der Bedeutung dieser Beiträge, daß sie zum Teil auch in französischer und englischer Sprache wiedergegeben sind. Michael W a 1 d e g g

Tiroler Land — Tiroler Leut. Eine Auslese heiterer Mundartgedichte, ausgewählt und herausgegeben von Karl P a u 1 i n. 3. Auflage. Wagnersche Universitätsbuchhandlung (Eckart Schumacher). Kleinoktav, 128 Seiten.

Vor 150 Jahren erschienen die ersten Tiroler Mundartdichtungen im Druck, vor 100 Jahren die erste Anthologie, teils gedichtet oder überarbeitet, teils gesammelt von Karl v. Lutte-rotti, dem Original von Imst, der Stadt alten Fastnachtsbrauches und scharfen Witzes. Auf dieser Sammlung baute K. Paulin seine mundartlichen Vorträge und schließlich seine Auslesen auf, nicht nach fachlichen Gesichtspunkten, sondern nach praktischen für mündlichen Vortrag, immer mehr aus dem neueren Besitz mundartlicher „Dichtungen“ heiteren Inhalts hinzunehmend. Es sind Reime und Scherze bekannter Literaten von Lutterotti über Schönherr zu Zangerle, fast 100 Stück, hübsch zusammengestellt. Dr. A. Dörrer

Im Schatten des Königs. Roman. Von Helene Haluschka. Verlag Anton Pustet, Graz-Salzburg.

Ein spannender, gepflegt geschriebener historischer Roman um die Gestalt der ersten, menschlich fesselndsten Favoritin Ludwigs XIV., der Herzogin von La Valltere. Figuren und Zeit werden ohne allzu willkürliche Verzeichnung der Tatsachen lebendig. Der Leser erfährt viele Einzelheiten, die er nie In den' Quellen, vor allem den berühmten Memoiren des Herzogs von Saint-Simon, aufstöbern würde. Daß die Autorin gerade dort, wo kühle Schärfe der Zeichnung die stärkste Wirkung täte, Rosabrille und Weichzeichner verwendet, ist ein verzeihlicher Tribut der schreibenden Frau und dürfte den Wert des Buches als hübsches Geschenk für unsere vielen Freunde der Memoirenliteratur nicht schmälern. Gruber-Menningen

Lieder und Gesichte. Von Margareta Hudig-Frey. A.-Francke-AG-Verlag, Bern.

Es wäre ungerecht, die Verfasserin oberflächlich zu nennen. Aber die Schächte, die sie ins Innere der Seele wie der Sprache gräbt, reichen nicht in jene Tiefen, wo die unverlierbaren Schätze ruhen, um ins Licht gehoben zu werden. Die Lieder sind gekonnt, den Gesichtern mangelt die Beweiskraft über-standenen Leides, sie vermögen daher nicht zu erschüttern. Schöngefügte Worte, ahnungslos über den Abgrund unserer Zelt gespannt. „Zeitlose“ Kunst? Ja. Und der Weg? Aus der Zeit in die Ewigkeit. Vorerst aber: Hinein i n die Zeit.

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