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Fanden sie eine Heimat?

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Gäbe es im Film so etwas wie die Trilogie, so wäre — nach „Die letzte Chance" und- „Vier in einem Jeep" — Leopold Lindtbergs neuer Film „Sie fanden eine Heimat" als der „dritte Abend" anzusprechen. Ein sinnvoller Abschluß übrigens, nach den Besiegten und Siegern nunmehr die schuldlosen Opfer und zugleich Ueberwinder des Krieges, die Menschen von morgen: die Kinder, ins Blickfeld des Films zu rücken. Es sind besondere Kinder, diese 200 Oesterreicher, Deutsche, Italiener, Polen u. a. des bekannten Pestalozzi- Dorfes Trogen bei Appenzell, erst besonders hart Geschlagene und hernach vom Schicksal wieder besonders Geliebte, Stief- und Sonntagskinder zugleich. Ihr Weg beginnt dort, wo der unsere gestern endete, beim schwelenden, dann flackernden und schließlich offen aufzüngelnden Völkerhaß. Er mündet dort, wo alle Wege schließlich münden, im Vergeben und Verstehen.

Die Haltung des Films ist großartig, sein Aufbau klar, überzeugend und, unterstützt durch die unverbildete Darstellung der Kinder- und Erwachsenenrollen, überall von menschlicher Wärme. Eine Szene, die Durchschneidung eines Fastnachtsspukes mit den Erinnerungen eines polnischen Kriegskindes, ist von Billingerscher Dämonie und zählt zu jenem knappen Dutzend „klassischer Literatur", um derentwillen man auch in dunkelsten Zweifelstunden den Film als menschlichen Fortschritt ansehen möchte.

Zwei Fragen bleiben offen. Soll „das" Kinderdorf schlechtweg eine Dauer- oder nur eine Notstandseinrichtung sein? Und: kann es außer dem elterlichen Heim das die Kinder nicht besitzen auch noch die Heimat, das Vaterland ersetzen? Die erste Frage rührt der Film nicht an. In der Antwort auf die zweite scheint mir der Film, der dem polnischen Staat die Heimberufung seiner Kinder grundsätzlich verübelt, übers Ziel zu schießen. Der Traum vom Weltbürgertum ist schön wie das Märchen vom Schlaraffenland. Doch wer ihn geträumt, ist noch allemal daraus erwacht.

Walt Disney, der große Rattenfänger, hat nach der problematischen Experimentier- und „Holly- Wut" seiner „Alice im Wunderland" wieder zu sich selbst gefunden, ins Kinderland, in dem wir alle einmal zu Hause waren — wehe den Vertriebenen! Ein schottisches Märchen unseres Jahrhunderts, James Barries „Peter Pans heitere Abenteue r", hat unter den Zauberhänden der Poeten, Maler und Konstrukteure des Disney-Stabes berückende Gestalt angenommen.

Uraltes Märchengut feiert Hochzeit mit augenzwinkernden aktuellen Anspielungen. Die Kinderlein hören es gerne.

Im Vorprogramm dazu, „W a s s e r v ö g e 1", wird ernste und fröhliche Wissenschaft getrieben. Ein rasantes Finale, di grotesken Bewegungen von Tieren, untermalt von der Ungarischen Rhapsodie, ist ein Königsspaß. Ich lasse mir seither nicht nehmen, daß Liszt seine „Zweite" für Walt Disney geschrieben hat.

Camillo —- Fernandel in einer ernsten Ehekomödie! Kommt noch der idiotische, ganz und gar nicht den Inhalt treffende Titel „V e r- botene Frucht“ dazu sein Verfasser hätte todsicher nicht „Faust — der Tragödie erster Teil", sondern etwa „Es geschah aus heißer Liebe" oder „Die Jungfrau auf dem Dach" gesagt, so ist die pikante Sensation fertig. Schade. Denn die seelische Geometrie dieses Films hat im Grunde mehr als das übliche flächige Dreieck aufzuweisen: eine richtige dritte Dimension, die Tragikomik des bürgerlichen Ausbrechers, der ganz konsequent die Gattin nicht mit einer Ebenbürtigen, sondern einem ganz billigen, ordinären Flitscherl betrügt. Fernandel gibt dieser französischen Taschenausgabe des „Professors Unrat" schicksalumwitterte Züge. Seine halbseidene Partnerin zieht sich jeweils einmal an und zweimal aus. Manche Szene davon, ausführlich und mit „Liebe zum Detail" gemalt, erscheint uns hierzulande durchaus entbehrlich. Die Franzosen sind da anderer Ansicht Aber sie hören es nicht gerne.

Unter drei weiteren Amerikanern der Woche steht eine überraschend aus dem Schema F biegende Bing-Crosby-Rolle: „Einmal wird die Sonne wieder scheinen", über der etwas verkrampften Psychologie des Loretta-Young-Films „Aus Liebe zu di r", dem lächerlich-hysterischen, aber brillant gespielten Spionagereißer „Der Verschwörer" und einem nicht ganz geglückten Anlauf zum Edelwildwester: „V e r- wegene Gegner"; unter zwei Deutschen ist die Festedruffkomik der Lingen-Hörbiger-Posse „Man lebt nur einmal" hoch erträglicher als die klebrige Zuckrigkeit von „Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein".

In der besser und besser werdenden Austria- Wochenschau gibt es diesmal wahrhaft beklemmende Aufnahmen vom Abwurf der Wasserstoffbombe. Ein deutschsprachiger „Kommentar" dazu und nicht bloß die Uebersetzung des vorgeschriebenen amerikanischen Textes wäre allerdings, wenn dies erlaubt wäre, dringend nötig gewesen ...

Filmschau Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich, Nr. 15 vom 15. April 1954: II Für alle zulässig: „Peter Pans heitere Abenteuer" und „Wasservögel" Vorprogramm — III Für Erwachsene und reifere Jugend: „War es die große Liebe?" — IV Für Erwachsene: „Der Mann von Alamo”, „Unter den Sternen von Capri" — IV a Für Erwachsene mit Vorbehalt: „Verwegene Gegner", „Der Verschwörer", „Mein Herz gehört dem Rebell".

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