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Wiedersehen mit dem Film aus dem Westen

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Auf absehbare Zeit werden wir mit dem Film fremdsprachlicher Herkunft zu rechnen haben. Während langer Jahre hatten wir aus dem Westen nur französische Filme gesehen, abgesehen von der ziemlich unbedeutenden italienischen Produktion. Um so gespannter konnte man den neueren englischen und amerikanischen Film erwarten. Er kam zu uns und warb um Verständnis und vielleicht auch Einsicht in die Größe der Völker, von denen er stammt.

Wollte man die vier großen Gruppen von Filmen, wie sie jetzt in Wien laufen, kurz charakterisieren, so ist zuerst festzustellen, daß sie allesamt ganz eindeutig der Filmtraumfabrik entstammen, auch wenn sie wie der nissische Film die Realistik des Milieus möglichst ungeschminkt zeigen wollen, ein Vorzug, den übrigens der französische Film in einigen Spitzenleistungen und gelegentlich der amerikanische Film zeigen, während die bisherige Auswahl der englischen Filme mit ihrem — zwar realistischen, aber eben für unseren Geschmack schon zu abgetragenen — Milieu der Welt vor 1914 mit ihrer damaligen Problematik weniger zu sagen hat

Als typisch für den amerikanischen Spitzenfilm sei herausgegriffen „D i e e w i g e E v a“ (It Started with Eve), bezaubernd in der nur dem geschulten Filmseher voll zugänglichen Sorgfalt, mit der kleinste Einzelheiten liebevoll durchgeführt und die selbst in guten Filmen sehr häufigen Regiefehler vermieden werden. Ober die Geschichte ist nicht viel zu sagen: Sie beginnt mit einer Lüge, der Sohn

(Robert Cummings) stellt seinem scheinbar sterbenden Vater (Charles Laughton) ein schnell herbeigeholtes Mädel (Deanna Durhin) als Braut vor, damit der Vater ein liebes und beruhigendes Bild im Sterben mit hinübernimmt, natürlich stirbt er dann nicht (sonst gäbe es ja keine Geschichte ab), aus der Lüge wird Wahrheit, aus Verstellung Liebe und aus dem Ehrgeiz der kleinen, unentdeckten Sängerin das große Glück, und du, beschwingter Zuseher, magst dir beim Verlassen des Kinos selbst ausmalen, ob sie nun ihren Traum als Sängerin oder als glückliche Gattin eines Millionärssohnes erreicht. Der amerikanische Film hat zwei besondere Stärken: Er kann Zustände im eigenen Land unbarmherzig kritisieren und nahezu jeder Film hat wenigstens die eine oder andere Wendung im Dialog, die eine bedeutsame Kritik politischer oder sozialer Mißstände umfaßt; er kann aber auch mit dem Mantel des Wunschtraumes, der Sentimentalität in raffinierter Aufmachung über alle diese Dinge den Menschen hinwegtäuschen. Darum ist es so wichtig, in diesem Film, der zur zweiten Gattung gehört, die Namen der Schau-* Spieler zu nennen: Laughton, bekannt durch seine Verkörperung „Heinrichs VIII.“, „Rembrandts“ und des unvergeßlichen „Kammerdieners“, hier der Millionär, menschlicher und klüger und ein besserer Vater als alle anderen, daneben Deanna Durbin, die wir schon als 15jährige mit Leopold

Stokowtfci m einem Film vor mehr als neben Jahren bewunderten, in ihrer Stimme reiner und ■oller geworden und auch eine bessere Darstellerin. Wenn sie am Klavier sitzt, so spielen ihre Hände tatsächlich auf den Tasten, wenn der alte Herr in der Verwirrung einen Knochen einsteckt, so zieht er ihn einige Szenen später tatsächlich statt des Taschentuches wieder heraus. Es lohnt sich, den Film auf solche Einzelheiten hin anzusehen und darüber die Handlung zu vergessen, die gewiß nicht ohne gelegentlich tiefere Wendungen bleibt. Und trotz allem ist es der beste der Filme geworden, den wir jetzt zu sehen bekamen.

Wie sehr aber die fremde Sprache ein Hindernis zum ungetrübten Genuß werden kann, zeigt sich im „Leben des Paul Ehrlich“ der hier unter dem Titel „6 0 6 — die Z a u/b e r k u g e 1“ läuft, das Leben jenes fleißigen Arztes und Chemikers, der im Heilmittel „Salvarsan“ nach langwierigen Versuchsreihen gemeinsam mit dem Japaner Hata die „Zauberkugel“ zur Tötung eines der furditbarsten Krankheitserreger fand. Lange, ein wenig gelehrte Dialoge führen in die Entwicklung dieses chemo-therapeutischen Heilstoffes ein, ermüden aber den, der auf das Lesen der Untertitel angewiesen ist. Die innere Dramatik des aufregenden Kampfes des Entdeckers ist wenig deutlich, sie muß durch einige politische Seitenhiebe gegen das wilhelminische Dc-utsdiland — unter starker Betonung der späteren Theorie von der „Herrenrasse“ — gestützt werden. Und doch in seinem Ernst, in seiner Betonung der Wahrheit als dem Ziel der Wissensdiaft gut: Am Ende seines Lebens muß dieser Paul Ehrlich feststellen, daß nicht allein die Krankheiten des Leibes, sondern auch die der Seele zu heilen sind, die miteinander wuchern, Habsucht, Haß und Gewalt. Es .ist ein wahres und großes Wort, diese Verflechtung, der Übel von Leib und Seele hinzustellen an den Ausgang eines Lebens im Dienste der Heilung.

Auch die Darstellung der Entdeckung des Radiums in „Madame Curie“ nimmt eine ähnliche Wendung für die leidende Menschheit. Dramatisch geballt, dazwischen tief menschliche ■Sfcenen aus dem gegenseitigen Verhältnis des Ehepaares Curie selbst, wie sie nur beste Filmwerke hervorzaubern.

In eine ganz andere Welt führt uns der französische Film „Ich suche ein Abenteue r“, der als der jüngste seines Landes zu uns gekommen ist. Es ist ausnahmsweise kein realistisdi schildernder Film — gewiß, auch der „Ewige Bann“, mit seinem blonden Tristan und seiner ausgewaschen blonden Isolde, ein träumerisches Reststück der deutsdien Besatzungszeit in Frankreich, war nicht realistisch, hatte aber in vielem jenes echte Merkmal einer. Darstellung aufzuweisen, die bei allem Märchenhaften, wie es nun das Hauptgebiet des Filmes ist, in der Figur des Zwergen und seines Elternpaares den irdischen und in allen erdhaften Leidenschaften verhafteten Menschen

zeigt. Der junge Mann aber, der das Abenteuer sucht, ist so recht ein Gesdiöpf der Schattenwelt, die über die Leinwand tobt wie in der Zeit der Hans Albers, der Draufgänger, so daß sidi in das Lachen des Publikums das Lächeln über die Tatsache mischt, daß Witz mit Narretei gepaart ist wie ein König mit seinem Possenmacher.

Wenn nun das Schattenspiel sich dazu versteigt, über die Grenzen unserer Natur in das Übersinnliche zu gehen, so eignen dem Film sogar noch mehr die technisdien Qualitäten, diesen Schritt zu wagen, als der Bühne. Der Film zeigt sidi darin von einer neuen Seite. In ihr spiegelt sich nochmals vielfältig das Gesicht des gegenwärtigen Standes der Traumfabrik, zwischen Witz und Narretei.

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