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Berlinale 1959

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Die IX. Internationalen Filmfestspiele Berlin, bekannt als Berlinale, beherrschten, vom 26 Juni bis 7. Juli das Bild und den Lebensrhythmus der Stadt. Weder die Wahl des neuen deutschen Bundespräsidenten noch sportliche Großveranstaltungen konnten das Interesse an dem größten Fest, das die von politischen Krisen umbrandeten Bewohner dieser Bastion der freien Welt jährlich feiern, beeinträchtigen.

Um es gleich vorwegzunehmen: Das Festival hatte künstlerisch insgesamt gutes Mittelgewicht. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde die geistige wie formale Spannweite zwischen dem Gros der vorgeführten Beiträge geringer, die wirklichen Katastrophen spärlicher. Die Produktionen der jungen Nationen und neuen Filmländer zeigten neben ihren folkloristischen Reizen meist schon die Ueber- windung eines embryonalen Gestaltungstadiums und waren als Stimmen im Konzert der 44 beteiligten Nationen keine Mißklänge. Die großen Ereignisse waren vorhanden, wenn sie auch nicht dominierten.

Ueber diese haben inzwischen die Jurys ihre Urteile gesprochen. Die zwölf „Geschworenen“, denen die Bewertung der Spielfilme übertragen war, fällten diesmal (was ich bei vielen Festivals der letzten Jahre in starken Zweifel ziehen mußte) durchaus berechtigte Entscheidungen Der „Goldene Bär" für den französischen Film „Les cousins“ geht in Ordnung, wenn man bedenkt, daß hier unserer Zeit am unmittelbarsten und' mit hervorragenden Mitteln in Kameraführung, Darstellung und Regie (Claude Chabrol) auf den Nerv gefühlt wurde, wobei das klinische Bild dieser Diagnose durch den intellektuellen Pessimismus und moralischen Relativismus, der nicht nur die Filmschöpfer der „grande nation"kennzeichnet, verdüstert und verzerrt erscheint.

Mit solch brennender thematischer Aktualität konnte natürlich Japans mittelalterliches Epos „D i e verborgene Festung" nickt konkurrieren. Es wurde aber durch Akiro Kurosawas geniale Inszenierung eine geballte Ladung entfesselter Filmkunst. Somit ist der Regiepreis für ihn über jeden Zweifel erhaben und ich kann nicht umhin, den Schöpfer von „Rashomon“, „Die sieben Samurai“ und „Thron des Blutes" nach seinem neuen Meisterwerk als . den größten lebenden Filmregisseur zu bezeichnen. Mit atemloser ' Begeisterung mußte man der Gewalt seiner Bilder und der sich völlig ausschöpfenden Darstellung des Tragischen wie des Komischen folgen.

Klare Sachen waren die beiden Schauspielpreise: für Jean Gab ins präcFftigen Clochard in „Im Kittchen Ust- kein Zimmera freiv nnd 4ie.,vjttmis- kapriziöse Shirley. M ac.Laine in der gleichfalls zur Ueberdurchschnittsklasse zählenden Hollywood-Komödie „Immer die verflixten Frauen".

Die zweite Sensation des Festivals — neben Kurosawa — war ein . Kind: Die 12jährige Hayley Mills, Tochter des hervorragenden britischen Charakterdarstellers John Mills, erhielt einen Sonderpreis für ihre einfach umwerfende, an einer höchst schwierigen Aufgabe glänzend bewährte Natürlichkeit in dem englischen Kriminaldrama „Tiger B a y", das auch durch seinen menschlichen und sozialen Hintergrund, die perfekte Regieleistung von J. Lee Thompson sowie einen sehr gereiften Horst Buchholz eine Würdigung verdiente.

Ein glattes Fehlurteil leistete sich hingegen die

Kulturfilmjury, indem sie wieder Walt Disneys obligaten Berlinale-Film „W e i ß e W i 1 d n i s“ mit dem ersten Preis auszeichnete, obgleich hier der an sich virtuose Stil von „Die Wüste lebt“ und ihren Nachfolgern in keiner Weise weiterentwickelt wurde.

Die Jury des Internationalen Katholischen Filmbüros (OC1C), der auch der Schreiber dieses Berichts angehörte, konnte hier wieder einmal ausgleichende Gerechtigkeit spielen und dem (angeblich wegen eines — durchaus freudlosen — Protests der Vereinigten Arabischen Republik) zurückgesetzten abendfüllenden Farbdokumentarfilm „P a r a- dies und Feuerofen" ihren Preis zuerkennen. Hier ist dem bislang noch kaum bekannten Regisseur Herbert Viktor nicht nur ein fabelhaft gemachter Bildbericht über das heutige Israel gelungen, sondern auch Deutschland eine hoch einzuschätzende geistige Rehabilitierung gegenüber Menschen, die zu seinen bedauernswertesten Opfern zählten. Ohne damit zu aktuellen politischen Differenzen Stellung nehmen zu wollen, glaubte die Jury, einem Werk ihre Anerkennung nicht vorenthalten zu dürfen, das unter den vorgeführten Filmen „nach Inhalt und Gestaltung am meisten zum geistigen Fort- Suliritt und zur Förderung menschlicher Werte beiträgt“ (Formel für die OCIC-Festspielpreise). Nicht zuletzt ließ sich die Jury zu ihrer Entscheidung dadurch bestimmen, daß in der Darstellung der Staatswerdung eines aus zahlreichen Nationalitäten zusammenwachsenden Volkes auf Christen, Juden und Mohammedanern heiligem Boden nicht nur politische, sondern vor allem auch religiöse Beweggründe überzeugend zum Ausdruck kommen.

Durchaus anzuerkennen war der Spruch der Kulturfilmjury zu den Kurzfilmen: hier war Hollands hervorragender Beitrag „Lobet das Meer" eine Klasse für sich. Mit seinen beachtlichen Kulturfilmen „Reise auf den Mond“ und „Kaiser der Zeitenwende" konnte Oesterreich zwar keine Preise, aber gute Kritiken und ehrlichen Publikumsbeifall erringen.

Für das reiche restliche Angebot an Hauptfilmen müssen hier Versuche von Wertkategorien genügen. In den 2. Rang nach den Preisträgern könnte man noch die beiden italienischen Filmdramen, ein erfrischendes dänisches Lustspiel und den wunderschönen indischen Film „Die heilige Insel“ setzen. Guter Durchschnitt kam aus Irland und Holland. Problematisches möchte ich nach dem Format der künstlerischen Bewältigung wie.. folgt, reihen;.. Schweden, Argentinien, Peutsp.h- land (Helmut ., Kästners., modeme . Hamlet;Versinn „J2ęr„:Ę.est. ist .Schweigen“), Nnrwęget;..rwjd.JOestet-j reich (Walter Kolm-Velte ehrliches, aber weithin mißglücktes Experiment „Panoptikum 59“). Schwächer waren die jeweils zweiten Beiträge von Amerika, England und Japan, bescheiden die Produktionen aus Brasilien, Finnland, Griechenland, Iran. Korea, Venezuela, aus der Vereinigten Arabischen Republik und von der UNO, während Spanien und Mexiko diesmal die absoluten Tiefpunkte beistellten.

Insgesamt konnte Berlin wohl sein ansehnliches Vorjahrsniveau halten. Da sich auch Cannes gegenüber 1958 deutlich verbessert gezeigt hatte, bleibt noch zu hoffen, daß Venedig den Tiefpunkt des letzten Jahres überwinden und der Jahrgang 1959 in der Filmkunst nicht zu den schlechtesten gehören wird.

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