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Notizen aus Berlin

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Die Filmauswahl der XIII. „Berlinale“ war diesmal — im Gegensatz zu früheren lahren — auf Vermeidung allzu krasser Exzesse bedacht. Es war auch der nicht immer verstandene Ehrgeiz zu spüren, möglichst viele Nationen, wenn auch nur durch bescheidene oder durchschnittliche Beiträge, vertreten zu lassen, wodurch die stattliche Zahl von 60 Ländern erreicht wurde. Ähnlich dem olympischen Grundsatz, daß wichtiger, als der Sieg die Teilnahme sei, kamen neben den prominenten Filmnationen auch viele kleine und junge Staaten und Nationen zu Wort, deren Filmschaffen trotz mancher filmtechnischer Unzulänglichkeiten interessante nationale und folkloristische Eindrücke und Begegnungen vermittelte. Sie waren größtenteils mit Kurzfilmen vertreten, doch auch die Spielfilme aus Israel, Korea und Griechenland zeigten beachtliche Leistungen.,. ' vj , .

Gleich zu Beginn aber gelang Amerika ein großer Wurf mit dem köstlichen Streifen „Lilien auf dem Felde“ („lilies on the Field“), mit dem großartigen Sidney Poitier, der in gleicher Weise von der Presse und dem begeisterten Festspielpublikum mit großem Applaus aufgenommen wurde. Der Film erhielt sowohl den katholischen wie auch den evangelischen Sonderpreis und wird hoffentlich bei der im Herbst stattfindenden „Internationalen Festwoche des religiösen Films“ seine Wiener Premiere erleben. Der zweite amerikanische Beitrag konnte nur wenig befriedigen. „Freu d“ mit Montgomery Clift erbrachte nur ein äußerliches und vereinfachtes Bild von der Entwicklung und den Forschungen des berühmten Wiener Arztes und Vaters der Psychoanalyse. Frankreich war durch einen vielschichtigen und wenig verständlichen Film des jungen Alain Robbe-Grillet vertreten. „D i e Unsterbliche“ („LTmmortelle“) bediente sich einer unrealen Filmsprache und vermischte Wirklichkeit und Traum, Erinnerungen und Reflexionen zu einer mit kalter Schönheit photographierten Geschichte, die das Publikum rat- und verständnislos zurückließ. Der zweite Streifen war heiterer Art. „Den Seinen gibt's der Herr...“ („Deo gratias“) war ein übermütiges und stellenweise aggressiv-frivoles Spiel um Kirchendiebstähle mit taktlosen Einbeziehungen religiöser Elemente.

Italien präsentierte „Die Wiedersehensfeier“ („La Rimpatriata“). Eine gallbittere Komödie, die den Zuschauer anspringt, ihn eineinhalb Stunden zum Lachen reizt und ihn am Ende wegen dieses Lachens beschämt. Der zweite Beitrag, „Amore in Stockholm“ („II Diavolo“), mit Alberto Sordi, der in Schweden besondere Liebesabenteuer mit den Blondinen des Nordens erleben möchte, ei hielt gemeinsam mit dem grausamen japanischen Film „Schwur der Gehorsamkeit“ den „Goldenen Bären“ der „Berlinale 1963“, eine Auszeichnung, die sehr geteilte Aufnahme fand.

Beinahe zu einem Skandal wurde die Vorführung des deutschen Films „M e n s c h und Bestie“, einem Kain-und-Abel-Drama aus der KZ-Zeit, nach einem unzulänglichen Drehbuch von dem Österreicher Edwin Zbonek mit fragwürdigen Effekten inszeniert und deshalb vehement abgelehnt.

„Berlinale 1963“ — dieses Jahr mit einem besonderen Akzent durch den Besuch von Präsident Kennedy, der einen Tag lang der „Star“ war —, sie ist vorbei, und der Alltag einer mutigen Stadt nimmt wieder seinen Lauf, doch man sollte auch in der Ferne, wenn die flüchtigen Eindrücke der Festspielfilme abgeklungen sind, diese Insel der Freiheit nie vergessen.

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