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IM STREIFLICHT

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Die Gemeinde Wien hat sich nicht um die Proteste der Öffentlichkeit und fast aller Korporationen und Vereinigungen der geistig und künstlerisch Schaffenden gekümmert. Sie setzt ihr Vorhaben in die Tat um: da6 Theater „Die Insel“, dessen finanzieller Zusammenbruch auch auf die Steuer- und Kulturgroschenpolitik der Gemeinde zurückzuführen ist, wird der KIBA überantwortet und in ein Kino verwandelt Von dem Versprechen, im künftigen „Insel“-Kino nur auserlesene, kulturell wertvolle Filme zu zeigen, halten wir nicht viel. Wir erinnern uns ähnlicher Prophezeiungen vor der Eröffnung des „Forum“-und „Weltspiegel'-Kinos. Wie endete es? Mit einem „Keuschen Adam“ und mit der „Sünderin“ ... Wie so oft gibt es auch hier eine Kehrseite der Medaille: die „Insel“ ist auch ein Opfer des Desinteressement der „christlichen“ Krei6e Wiens: nach dem Untergang der „Stephansspieler“ versuchte man hier eine christliche Theatergemeinde zu zentrieren. Vergebens. Stücke, wie Strindbergs „Ostern“, wurden vor zwölf Zuschauern gespielt. Mit ein Grund, daß die „Insel“ Pfingsten 1951 nicht mehr erlebte.

Kürzlich erklärten sich die Arbeiter einer Wiener Druckerei bereit, unbezahlte Überstunden zu machen, um die Drucklegung wissenschaftlicher Werke zu verbilligen und dadurch vielleicht sogar erst zu ermöglichen. Das war eine lobenswerte und in ihrer Art fast rührende Tat — aber sie fand leider nicht den Beifall der Gewerkschaft, die ihren Angehörigen solche brüderliche Hilfe am Geist zunächst einmal kurzerhand verbot und sich erst später, als sie die Unpopularität dieses ihres unzeitgemäßen Energiebeweises einsah, zu Verhandlungen bereit erklärte, deren Ausgang vorderhand noch recht ungewiß ist. Nun, der Fall, daß ein Geschenk — und nichts anderes wollten die Drucker geben — auf Grund der Gewerkschaftsordnung verboten wird, ist wohl einmalig. Und es mutet reichlich sonderbar an, daß dieselbe Institution, die sich ansonsten — mit wechselndem Erfolg, aber immerhin — bemüht, ihre Mitglieder mit den Gütern des Geistes vertraut zu machen, ein Veto gerade dann einlegt, wenn die Kluft zwischen Handarbeit und Wissenschaft durch persönliche und höchst begrüßenswerte Initative überbrückt werden soll...

Vor einiger Zeit hat Herbert Read, der bekannte englische Dichter und Kunstkritiker, Wien einen längeren Besuch abgestattet. Er besuchte Ausstellungen, er ging in die Ateliers, er ließ sich Bilder und Zeichnungen in Mengen zeigen. Was war seine in Ruhe und zweifellos ohne jede Absicht zur Schönfärberei ausgesprochene Kritik? „So viele junge und eigenwillige Begabungen gibt es weder in Paris noch in London.“ Das sagte ein Mann, der, wie immer man zu seinen manchmal recht eigenwilligen Ansichten über Kunst und Künstler stehen mag, die Verhältnisse in der europäischen bildenden Kunst wie kaum ein anderer aus eigener Anschauung kennt. Da die österreichischen Maler und Zeichner seit je an gewissen Minderwertigkeitskomplexen dem Ausland gegen-, über leiden, wird es nichts schaden, wenn wir dieses Urteil hier schwarz auf weiß festhalten ...

Eines Mittags im Wiener Forum-Lichtspieltheater. Ein paar hundert — sie! — Künstler und Presseleute sind Zeugen einer für Filmösterreich (die Franzosen haben es uns vor einiger Zeit mit einem Rimbaud-Gedicht-Filmchen wieder einmal vorgezeigt) ungewöhnlichen Uraufführung: Verfilmung des E.-A.-Poe-G e d i c h t e s „Der Rabe“ durch eine achtenswerte Avantgardegruppe der „Schönbrunn'-Film. Das anspruchsvolle Publikum hielt nach der Aufführung in einer temperamentvollen Diskussion nicht zurück mit sachlicher Kritik: die Uberschneidung des romantischen Weltschmerzes der Vorlage mit den surrealistischen, abstrakten und naturalistischen Stilexperimenten der Verfilmer ergibt tatsächlich eine nicht sehr organische Mischung. In einem Sprecher aber zollte das Auditorium unter allgemeinem Beifall dem jungen Autorendreigestirn des Films uneingeschränktes Lob für seinen Mut und 6ein Bekenntnis zum Wagnis. Und das ist wirklich so: es muß schlechthin alles bejaht, ermutigt und unterstützt werden, was dem Film überhaupt die unseligen „Gewichte“ und sonstigen terrestrischen Belastungen abzunehmen geeignet ist, auch wenn es um so umstrittene Dinge wie eine Cocteausche Paraphrase zu einem antiken Märchen, einen Bernanos'schen Roman um die Gnade oder die surrealistische Nachpinselung einer romantischen Ballade geht. E 1 n Gebiet allerdings hat sich der Film von heute noch nicht erobert. Er hat zwar kühn und unerschrocken Glauben und Gefühle, Leitartikel und Schneewittchen, Dramen und Romane, Essays und Gedichte verfilmt, aber noch niemals mit überzeugendem Erfolg ein bedeutendes Werk der Stummfilmhochepoche .. .1 Aber was nicht ist, kann noch werden. Und vielleicht ist der Film schon in fünf Jahren wieder so weit wie vor 2? Jahren, Man soll nie die Hoffnung aufgeben.

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