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„FREIHEIT UND GERECHTIGKEIT“

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Festspiele, welchem Medium sie auch gewidmet sind, sollen 4 eigentlich Spiegelbild einer bestimmten Produktiohs-periode sein und möglichst deren reifste und außergewöhnliche Leistungen präsentieren. Nur selten freilich kommt ein Festival diesem Idealwunsch seiher Gestalter und Besucher nahe. Stehen doch die verschiedensten Faktoren und Imponderabilien diesem Glücksfall entgegen. Das beginnt mit den Meinungsverschiedenheiten in den jeweiligen Auswahl-

Kommissionen und findet bei den oft überraschenden Entscheidungen der Juroren noch'fangV nicht' sein Ende. Der Kompromiß ist daher auch hier, wie in den meisten Dingen des menschlichen Lebens, die am häufigsten in Erscheinung tretende Lösung.

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Das Wesentliche all dieser mehr oder weniger gelungenen und gelingenden Bemühungen bleibt doch wohl die Realität der Begegnung. Schon sie allein ist so wertvoll und aufschlußreich, daß man allein um ihretwillen bereit ist, auf anderen Gebieten Konzessionen und Abstriche zu machen, selbst wenn sie einen oft schmerzlich berühren. Darum erscheinen einem auch jene massiven Attacken und superkritischen Stimmen, die nach künstlerischen oder organisatorischen Pannen bei einem solchen Festival sofort für dessen unbarmherzige Ausmerzung plädieren, ebenso übereilt und gefährlich wie jene Äußerungen, die aus oft recht durchsichtigen Gründen alles über den grünen Klee loben und damit den Veranstaltern ebenfalls ein Danaergeschenk machen. Konstruktive Festspielbetrachtung und -kritik muß darauf ausgerichtet sein, die einmal angebahnte internationale Aussprache mit allen Mitteln zu erhalten und sukzessive die erkannten Fehler und Mängel auszubessern. Andernfalls könnte man sich selbst nur zu leicht der Möglichkeit eines Treffens auf breitester Ebene voreilig berauben.

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Diese grundsätzlichen Erwägungen sind gerade im Zusammenhang mit einer Betrachtung des 3. Internationalen Fernsehwettbewerbs in Berlin besonders wichtig. Denn hier wurden angesichts mancher bedauerlicher Mißgriffe und eines in seiner Gesamtheit nicht besonders überragenden künstlerischen Niveaus Meinungen laut, die energisch an den Wurzeln des Fortbestandes dieses unter vielen Schwierigkeiten entwickelten Festivals rüttelten. Bekannte und berüchtigte deutsche Gründlichkeit könnte hier eine in ihren Grundzügen und Absichten wertvolle Institution vernichten und wieder einmal „das Kind mit dem Bad ausschütten“, wie es das Sprichwort so treffend skizziert.

Fünf Tage lang liefen über die gut und zahlreich placierten Bildschirme in den verschiedenen Konferenzsälen der nahe der Sektorengrenze inmitten des langsam wieder heranwachsenden Tiergartens gelegenen Kongreßhalle — von den Berlinern wegen ihrer architektonischen Form wenig respektvoll, aber irgendwie treffend „Musik-Auster“ genannt — an die dreißig Filme und Fernsehspiele aus rund 20 Nationen in Konkurrenz. Alle bestrebt, dem gestellten Thema „Freiheit und Gerechtigkeit“ einigermaßen zu entsprechen. Und hier beginnt schon eines der großen Handikaps dieses Wettbewerbs.

Es war sicher naheliegend, die Veranstaltungen in Berlin, dieser überaus neuralgischen Nahtstelle zwischen Ost und West, wo einem täglich die erschütternd schmerzhafte Praxis von Deutung und Realisierung dieser beiden Begriffe vorexerziert wird, unter dieses verpflichtende Motto zu stellen. Daß aber die UER (Union Europeenne de Radiodiffusion) als federführende Organisation auch bei derartigen Fernsehbegegnungen daraus eine sich über Jahre erstreckende Auflage

machte, trägt schon wieder den Keim der Sterilität in sich. Denn höchstwahrscheinlich wird es nicht alle Jahre so viele überragende TV-Aussagen zu diesem Motto geben, daß sich mit ihnen ein anspruchsvoller Wettbewerb bestreiten ließe. Die jüngst vergangenen fünf Tage an der Spree jedenfalls haben die Richtigkeit dieser Auffassung entscheidend erhärtet.

Da war zum Beispiel ein weder inhaltlich noch optisch besonders hervorragender Dokumentarbericht aus den USA über international fundierte Maßnahmen zur Zähmung des asiatischen Stromes Mekong zu sehen. An sich ein sehr löbliches und auch imponierendes Unterfangen völkerverbindender Gemeinschaftsarbeit, dessen Verbindung zu dem proklamierten Thema aber doch ziemlich an den Haaren herbeigezogen erscheint. In die gleiche Kategorie gehörte auch eine überaus lyrisch gestimmte Dokumentation japanischer Provenienz, in der wir mit dem Schicksal zweier geistesgestörter japanischer Jungen konfrontiert wurden. Rührend, daß sie durch die Bemühungen ihrer Umwelt als Hüterbuben einer Rinderherde produktiver Tätigkeit und damit der menschlichen Gesellschaft wieder nähergebracht werden. Aber das Ganze hat doch nur in sehr übertragenem Sinne mit dem verpflichtenden Motto zu tun. Während der insgesamt 26 Stunden beanspruchenden Vorführungen fanden sich noch so manche ähnliche Darbietungen, die an sich schon die Auffassung untermauerten, daß man es sich in Zukunft sehr wohl überlegen müsse, ob eine solche thematische Festlegung sinnvoll und berechtigt ist.

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Zu der Tatsache der überaus schwierigen Beschaffung geeigneten Materials gesellte sich dann ferner die Erkenntnis, daß die Frage der Auslegung leicht prekäre Situationen heraufbeschwören - kann. Auch hierfür wurden den Festi-valiers handgreifliche Unterlagen geliefert. Die für die Programmgestaltung mitverantwortliche Auswahlkommission — ihr gehörten Politiker, Kritiker und Wissenschaftler an — hatte den niederländischen Beitrag“,?Ernte der Vergangenheit“ mit dem Bemerken abgelehnt, daß seine Bezogenheit zu der Devise des Festivals doch sehr oberflächlicher Natur sei. Der Film zeigte in Rückblenden Erlebnisse alliierter Flieger, die während des Krieges über Holland abgeschossen worden waren und deren Flugzeugwrack man bei der Trockenlegung der Zuidersee aufgefunden hatte.

Der zweite niederländische Beitrag „Interview zwischen Null und Zero“ über einen jüdischen Schauspieler, der sich beim Fluge nach Amsterdam an die während seiner Kindheit erlittenen Greuel erinnert, war von der Auswahlkommission akzeptiert worden. Die Holländer aber fühlten sich durch die erste Zurückweisung irgendwie brüskiert und stellten die Bedingung, daß sie den zweiten Film nur am Wettbewerb teilnehmen ließen, wenn der erste wenigstens außer..Konkurrehz-gezeigt würde. Daraufhin beharrte die Kommission bei ihrer Erstentscheidung. Mit dem Erfolg, daß die Holländer, nun vollends verärgert, die Teilnahme überhaupt absagten und sich in der Weltpresse ein Rumoren erhob, daß den Deutschen Ressentiments aus ihrer unbewältigten Vergangenheit vorwarf.

Abgesehen davon, daß sich diese Kontroverse bei ein wenig mehr diplomatischem Fingerspitzengefühl seitens der Auswahlkommission hätte vermeiden lassen, unterstreicht dieses Faktum wiederum die Schwierigkeiten, in welche die Verantwortlichen durch eine so festumrissene Themenstellung hineinmanövriert werden können. Dieser Vorfall wog dann am Schluß des Festivals noch um so schwerer, weil die internationale Jury in einer zusätzlichen Bemerkung zu'ihrem Preisentscheid feststellte, daß viele der gezeigten Beiträge keineswegs in der notwendigen Beziehung zum gestellten Thema gestanden hätten, und man erwarte, daß in Zukunft

die Sichtung des angebotenen Materials in noch engerer Anlehnung an das Motto nach strengeren Maßstäben erfolge.

Klarer und deutlicher hätte also die Problematik der Unterordnung des Wettbewerbs unter bestimmte Begriffe wohl kaum demonstriert werden können. Man wird sich aber auch in Zukunft darüber Gedanken machen müssen, ob es nicht angeraten ist, eine gewisse Klassifizierung bei der Bewertung einzuführen.

Ein Fernsehspiel unterliegt doch anderen Kriterien als ein Dokumentarbericht. Wohl ist der „Himbeerpflücker“ von Fritz Hochwälder ein Versuch gestalteter Zeitgeschichte, mit dem Österreich heuer in Berlin seine Visitenkarte abgab, aber zu der Attraktivität eines solchen Werkes gesellen sich doch schauspielerische und regieliche Intensität, die bei einer noch so spannenden Gegenwartsreportage eben ganz fehlen oder wesentlich anders gelagert sind.

Sie alle in einen Topf zu werfen, wie das heuer noch in Berlin geschah, muß zwangsläufig zu einer Nivellierung führen, die dem künstlerischen und geistigen Gewicht eines solchen Festivals durchaus nicht dienlich ist. Sonst kann es nämlich allzu leicht geschehen — und dies wurde auch von einzelnen Mitgliedern der Jury freimütig zugegeben —, daß der Urteilsspruch überwiegend nach thematischen Erwägungen gefällt wird, wobei die künstlerische Würdigung arg ins Hintertreffen gerät oder vielleicht ganz unter den Tisch fällt.

Nun sollte es jedoch mit eine der wesentlichen Aufgaben eines Fernsehfestivals sein, in künstlerischer Hinsicht allmählich jene Maßstäbe zu finden und Wertungen zu setzen, die dieses junge, noch um Ausdrucksformen ringende Medium so dringend braucht. Recht aufschlußreich war in diesem Zusammenhang eine der verschiedenen Diskussionen zwischen Autoren, Regisseuren und Kritikern, bei der Regisseur John Olden — er zeigte den in eine Art Fernsehspiel verpackten historischen Rückblick auf den Dollfuß-Mord unter dem Titel „An der schönen blauen Donau“ — es bedauerte, daß der Zuschauer nicht mehr nur an ein Fernsehprogramm gebunden ist. Der gestaltende und ausübende Künstler könnte jetzt leicht das Gefühl haben, lediglich einer Zuschauerberieselung zu dienen, die er mehr mit Routine als mit wirklicher Anteilnahme absolviere.

Viele der zahlreichen Sendungen, Aufzeichnungen und Fernsehspiele, die auf den Festivalier in Berlin einstürmten — ihre Ziffer im Interesse einer Niveauerhöhung zu reduzieren, wird auch mit zu den künftigen Neuerungen gehören —, hielten sich keineswegs an das Grundprinzip des Fernsehens, daß nämlich dessen Faszination vom Bild und nicht vom Wort ausgeht. Es wurde viel auf den Bildschirmen geredet. Leider oft nicht von Persönlichkeiten, deren Ausstrahlung den tönenden Sermon wettmachte. Auch das stehende Bild, das sogenannte Insert, war vieler Regisseure liebstes Kind, was auch nicht gerade zur Beseitigung der oft vor den Bildschirmen aufwuchernden Langeweile beitrug. .

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Symptomatisch für das Überangebot an mittelmäßigen Fernsehdarbietungen dieses Festivals war die Tatsache, daß sowohl die internationale Jury wie auch die internationalen Pressejuroren und die Mitglieder der Jugendjury alle dem gleichen Dokumentarbericht „Mensch unter Menschen“ der Autor-Regisseure Erich Bottlinger und Wolf Littmann vom Südwestfunk Baden-Baden den ersten Preis zuerkannten. Eine saubere, ehrlich und objektiv gemeinte Reportage über das Leben der Juden im jetzigen Deutschland, jedoch kein faszinierende Kunstwerk des Fernsehens, trug also den Sieg davon.

Seine Entstehung zu fördern oder es zu finden, sollte nach den auch von Festivaldirektor Dr. Bauer angekündigten Reformen Sinn und Ziel eines von allzu thematischer Starrheit gelösten Fernsehwettbewerbs an der Spree sein, dem eine interessierte, breitere Öffentlichkeit entsprechende Resonanz bieten müßte.

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