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Am Lido nur Plätschern

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Keine deutschsprachigen Filme, keine Gegenwartsstoffe, aber auch keine peinliche Polit-Ent-scheidung der Jury brachte heuer die Biennale. Louis Malle und Ermanno Olmi triumphierten.

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Keine deutschsprachigen Filme, keine Gegenwartsstoffe, aber auch keine peinliche Polit-Ent-scheidung der Jury brachte heuer die Biennale. Louis Malle und Ermanno Olmi triumphierten.

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Vier Jahre lang hatte der Katholik Gian Luigi Rondi die „Mo-stra Internazionale del Cinema“ mit Anstand und Erfolg,über die Runden gebracht. Heuer ging er wieder seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Filmkritiker der angesehenen römischen Tageszeitung „II Tempo“ nach.

Da der Präsident der Biennale, Paolo Portoghesi, Sozialist ist, bestellte man Rondis Nachfolger Gugliemo Biraghi, politisch unabhängig, aber eher der Linken zugeneigt, nicht als Direktor, sondern nur als Kurator für ein Jahr. Ihm blieb nur eine kurze Vorbereitungszeit für die heurige „Mo-stra“, aber sicher viel Arbeit und Verantwortung und zuletzt Tadel für seine Filmauswahl. Aber er hatte zumindest aus der Not eine Tugend gemacht. Das Programm quoll nicht mehr über von Sektionen und Filmen, es war insgesamt überschaubar. Video — wie noch vor zwei Jahren — gab es nicht mehr.

Nach den Festivals von Berlin, Cannes, Moskau und Locarno bleibt für die Biennale von Venedig Anfang September, auch wenn sie das älteste, international noch immer sehr angesehene Filmfest ist, nicht mehr allzuviel über. Da mußten bei den 23 Filmen, die heuer im Wettbewerb um die „Löwen“ zugelassen waren, die Italiener allein mit vier Beiträgen einspringen, von denen dann nur einer Spitzenniveau hatte. Frankreich brachte es—mit etlichen Co-Produktionen - gar auf sechs Filme, auch hier war nur einer ein Haupttreffer. Von den fünf US-Filmen liefen die drei besseren außer Konkurrenz, darunter der letzte John Huston-Film „The Dead“, den der kürzlich verstorbene Altmeister naeh einer Kurzgeschichte aus den „Dubliners“ von James Joyce drehte. Huston stand bereits unter ständiger Sauerstoffbehandlung, als er bei diesem an sich spröden Stoff noch die Pranke des Löwen zeigte.

Einen österreichischen Beitrag gab es wie üblich in Venedig nicht, auch keinen einzigen deutschsprachigen Film, es fehlten auch Lateinamerika und Afrika. Auf Inhalte, die die Gegenwart behandeln, ließen sich die wenigsten Filmschöpfer ein, man floh meist in frühere Dezennien unseres Jahrhunderts.

Die internationale Jury unter dem Vorsitz der berühmten griechischen Schauspielerin Irene Papas verzichtete erfreulicherweise auf den berüchtigten politischen Proporz zwischen Ost und West. Ihre Entscheidungen wurden daher von Presse und Publikum mit Zustimmung aufgenommen.

Louis Malles Film „Au revoir les enfants“, den er nach zehn Jahren Filmtätigkeit in den USA in seiner Heimat drehte, galt von Anfang an als Favorit für den „Goldenen Löwen“ und erhielt schließlich auch-den ersten Preis. Er war der menschlich und politisch am meisten engagierte Film des Festivals, erzählt er doch eine wahre Geschichte aus Malles Jugend. Im Winter 1943 holt die Gestapo aus einem kirchlichen Internat in der Nähe von Paris den geistlichen Leiter, der drei Schüler jüdischer Abstammung gedeckt hatte. Alle vier kamen schließlich in KZs um. Ohne jegliche Polemik, aber mit dem Können eines Großen entwickelt Malle hier eine Geschichte menschlicher Freundschaft und Solidarität, die auch mit dem Preis der OCIC (Internationale Katholische Filmorganisation) ausgezeichnet wurde.

Ein „Silberner Löwe“ ging an das Gastgeberland. Ermanno Olmi, Schöpfer des unvergeßlichen Meisterwerks „Der Holzschuhbaum“, hat in .Lunga Vita alla Si-gnora“ gleichfalls einen jungen Menschen in den Mittelpunkt gestellt. Es geht um ein Fest, das eine Gesellschaft von Snobs und Le-muren einer alten Dame bereitet und bei dem ein etwa sechzehnjähriger Aushilfskellner die Welt der Erwachsenen kennenlernt. Mit feinsozialkritischen Pointen schuf Olmi hier einen köstlichen Film.

Der zweite „Silberne Löwe“ wurde ex aequo James Ivorys Streifen „Maurice“ zugesprochen, der - wie schon „Zimmer mit Aussicht“ - auf einen Roman von E. M. Forster zurückgeht. Die Geschichte einer homosexuellen Besessenheit in der englischen Gesellschaft um 1910 ließ zwar prägnante Milieuschilderung erkennen und brachte für James Wilby und Hugh Grant Schauspielerpreise, ist aber nicht Ivorys beste Arbeit.

Da es keine Sektion „Venezia Giovane“ mehr gab und auch eine „Internationale Woche der Kritik“ mit sieben Filmen nicht allzu viel brachte, kam es kaum zu Entdeckungen von jungen Talenten. Der Wettbewerb wurde ohnedies von reiferen Herren beherrscht, wobei bekannte Regisseure wie Luigi Comencini, Giuseppe Mon-taldo sowie die Franko-Schweizer Alain Tanner und Claude Goretta enttäuschten. Wie bei vielen Festivals konnte man sich mitunter an gutes Altes halten. Da gab es eine vollständige Retrospektive von Joseph L. Mankiewicz, einem perfekten Handwerker des Hollywood-Films, dessen erfolgreichste Arbeit wohl „All about Eve“ mit Bette Davis, Ann Baxter und der damals noch jungen Marilyn Monroe in einer Nebenrolle war, und schließlich eine Sektion „50 Jahre Cinecittä“, in der viel Großes, was in dieser Epoche aus der Filmstadt bei Rom hervorging, präsentiert wurde.

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