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Der Löwe glänzt matt

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Die begehrte Trophäe des „Goldenen Löwen“ heimste Frankreich ein. Eine vertretbare Entscheidung, auch wenn die gezeigten Filme meist besser als die Juroren waren.

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Die begehrte Trophäe des „Goldenen Löwen“ heimste Frankreich ein. Eine vertretbare Entscheidung, auch wenn die gezeigten Filme meist besser als die Juroren waren.

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Man hat gut daran getan, die hochtrabende Bezeichnung „Mo-stra d'arte Cinematograf ica“ endlich aufzugeben und sich mit „Mostra Internazionale del Ci-nemä“ zufriedenzugeben. Mit TV-Filmen und Videokassetten expandierte das Programm auch in andere Medientechniken, und wenn die Retrospektive einer To talschau von Walt Disney gewidmet war, so konnte man insgesamt nur mehr sehr bedingt von Filmkunst sprechen.

Abgesehen von den Disney-Filmen waren in den zehn Sektionen des Festivals über 150 Filme zu sehen.

Die wichtigsten hatte man für den Wettbewerb „Venezia XLII“ programmiert, wobei es diesmal nicht - wie oft schon - ein Ubergewicht von Italien und Frankreich gab. Die beiden großen romanischen Filmnationen mußten sich ebenso mit zwei Beiträgen begnügen wie die USA, die UdSSR, Spanien und Japan.

Mit je einem Film waren Argentinien, die BRD, Belgien, die CSSR, Griechenland, Großbritannien, Jugoslawien, die Niederlande, Rumänien, die Schweiz und die Türkei vertreten. Vier Filme liefen außer Wettbewerb, so-daß die Jury unter dem Vorsitz des bekannten Film- und Fernsehregisseurs Krzysztof Zanussi (er hatte im Vorjahr — ziemlich umstritten — den „Goldenen Löwen“ gewonnen) insgesamt 24 Streifen zu begutachten hatte.

Nicht unerwartet ging der Hauptpreis des Festivals, der „Goldene Löwe“, an die Französin Agnes Varda für ihren Streifen „Sans toit ni loi“ (Ohne Dach und Gesetz), die Geschichte einer Gammlerin, die campierend durch das winterliche Südfrankreich zieht, wo sie eines Tages erfroren aufgefunden wird. Die Umwelt begegnet ihr mit gemischten Gefühlen, ist aber nicht schuld an ihrem Ende, da das Mädchen wenig Persönlichkeit und Verantwortung zeigt.

Sicher ist der Varda wieder ein handwerklich guter Film gelungen, aber kein Meisterwerk wie mit ihrem Spielfilmerstling „Cleo de 5 ä 7“ von 1962. Die Erschütterungskraft, die von dem hier gezeigten Menschenschicksal ausgehen sollte, fehlt.

Immerhin konnte sich die Jury dadurch bestätigt fühlen, daß auch die beiden wichtigsten „inoffiziellen“ Jurys, nämlich jene der OCIC (Internationale Katholi sehe Filmorganisation) und der FIPRESCI (Internationaler Filmjournalistenverband) dem Film ihren Preis zusprachen.

Zu hoch gegriffen schien mir auch der männliche Schauspielpreis für Gerard Depardieu in Maurice Pilats Film „Police“. Der Kampf eines Polizisten gegen die Drogenszene, sein Alltag auch mit anderen schrägen Figuren, verlangt dem seit Jahren zuviel Spielenden eine gute Routineleistung ab, aber nicht mehr.

Da hätte wohl eher Jack Nicholson, ganz hervorragend in dem gallbitteren, von schwarzem Humor getränkten Mafia-Film „Prizzi's Honor“ von Altmeister John Houston, die Trophäe verdient.

Immerhin erhielt der fast achtzigjährige Huston für sein Gesamtwerk einen speziellen „Goldenen Löwen“, ebenso wie der kaum jüngere Portugiese Manoel de Oliveira, der hier mit der sie-benstündigen Originalfassung von Paul Claudels „Der seidene Schuh“ angerückt kam.

Den Großen Spezialpreis der Jury erhielt der argentinische Streifen „Tangos. El Exilio de Gardel“, der das Milieu argentinischer Emigranten in Paris sehr menschlich und einfühlsam, aber auch geschickt aufgelöst durch Musik und Tanz darstellt.

Ein weiblicher Schauspielpreis wurde unverständlicherweise nicht vergeben.

Die kleine Ausgabe der obengenannten Trophäe, den Spezialpreis, gab es für den amerikanischen Streifen „Light-Ship“ des aus Polen gebürtigen Jerzy Sko-lomowski, die Geschichte eines Terrorüberfalls auf ein Küsten-wachboot, nach einer Erzählung des Deutschen Siegfried Lenz. Der Film ist thematisch und formal nicht sonderlich von Belang. Er erhielt seine Publicity vor allem durch die Äußerung von Sko-limowski über Klaus Maria Brandauer (der hier den „Guten“ mehr schlecht als recht spielt).

Der Regisseur fand die Allüren Brandauers bei den Dreharbeiten so unerträglich, daß er äußerte, er würde ihn am liebsten ohrfeigen, wenn er nach Venedig käme (das tat Brandauer aber nicht, da man ihm kein eigenes Flugzeug bewilligte), und hinzufügte, er würde eher verhungern als noch einmal mit dem Österreicher arbeiten.

Auch mit dem „Silbernen Löwen“ für den belgischen Film „Dust“ von Marion Hansel kann man keine rechte Freude haben. Die Story einer altjüngferlich frustrierten Engländerin (Jane Birkin), die mit ihrem Vater (Trevor

Howard) in Südafrika in einem sehr gespannten Verhältnis lebt und ihn umbringt, als er eine schwarze Dienstmagd zu seiner Bettgenossin macht, worauf sie selbst ohne Mittel dasteht und sich die Vergewaltigung durch den Mann des Negermädchens gefallen lassen muß, bringt zum Thema Rassenkonflikt in Südafrika kaum etwas ein.

Besseres blieb hingegen unbe-lohnt. Da wäre vor allem der jugoslawische Film „Das Leben ist schön“ zu nennen: eine bittere Satire auf Macht, Korruption und Willkür der Bonzen von heute; unter denen dann ein aufrechter Mann aus dem Volk das große Liquidieren veranstaltet. Dem Film ist vor allem die dynamischeJn-szenierung von Boro Draskovic zugute zu halten.

Der in Wien ausgebildete Robert Dornhelm, durch „She dan ces alone“ auch international bekanntgeworden, drehte für Österreich, aber fast ausschließlich in Los Angeles und mit amerikanischen Schauspielern (wir durften nur Heinrich Schweiger beistellen) unter dem Titel „Echo Park“ eine Dreiecksgeschichte mit viel Witz, Herz und Ironie. Im Ensemble Tom Hulce, der grandiose Mozart aus Milos Formans „Amadeus“, Michael Bowen (ein Sproß aus der Schauspielerdynastie Carradine) sowie die reizende Susan Dey.

Das Fazit: Es gab kein überragendes Filmereignis, aber auch keine ganz argen Pleiten. Kollegen berichteten mir, daß das Gesamtniveau höher gewesen sei als heuer in Cannes.

Staatspräsident Cossiga beehrte das Festival zum Abschluß, zwischendurch kreuzten mehrere italienische Minister auf. Frankreichs Kulturminister Jack Lang kam mit Madame Tisse-rand, auch seine griechische Kollegin Melina Mercouri, der einstige Filmstar.

Das Volk von Venedig, wenn auch vorwiegend reichere Schichten, nahmen lebhaft Anteil am Festival. Aber da unkte gleich zu Beginn der Biennale-Präsident Portoghesi, man solle doch den Lido verlassen und ins Industrieviertel Arsenale gehen! Und zwischendurch sprach man einmal von einem Gegenfestival in Me-stre.

Mit solchen Ideen hat man die „Mostra“ in den siebziger Jahren schon einmal ruiniert. Sie hat sich heuer ohnedies schon in einzelnen Kinos der Stadt Venedig ausgebreitet. Aber ihr Schwerpunkt kann und soll nur der Lido sein.

Der Autor ist Sekretär der Katholischen Filmlcommission Österreichs und Filmreferent des Katholischen Zentrums für Massenkommunikation.

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